Mitte des 19. Jahrhunderts begann Frankreich, große Gebiete der Sahara zu kolonisieren. Aus dem großen Kolonialgebiet gingen unter anderem die Länder Niger, Obervolta (heute Burkina Faso) und Mali hervor. Die als koloniale Herrschaft begonnene Machtbeziehung verfestigte sich durch ausbeuterische Handelsverträge nach Nigers politischer Unabhängigkeit. Die Geschichte des Uranbergbaus im Land ist dafür ein besonders gutes Beispiel.
Ab 1899 kolonisierte Frankreich die Region, die heute als Niger bezeichnet wird. Als das Land 1960 seine Unabhängigkeit errang, geschah dies – wie in anderen französischen Kolonien auch – nicht ohne «Gegenleistung»: Frankreich sicherte sich den exklusiven Zugang zu wichtigen Rohstoffen, darunter Uran. In einem Beitrag im Deutschlandfunk beschreibt Benjamin Moscovici dies eindrücklich:
«Wie sehr Frankreich auch nach der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien auf seine alten Privilegien bestand, zeigt ein Brief des damaligen französischen Finanzministers Michel Debré an seinen Amtskollegen aus Gabun vom Juli 1960. Darin schreibt Debré unverblümt: ‹Wir geben Euch die Unabhängigkeit unter der Bedingung, dass sich der Staat nach seiner Unabhängigkeit an die vereinbarten Handelsverträge hält. Das eine geht nicht ohne das andere.›»
An der Sicherung von Rohstoffen hat sich bis heute nichts geändert, wie Moscovici für Uran ausführt:
«In Niger beispielsweise fördert der staatlich-französische Industriekonzern Orano, ehemals Areva, genug Uran, um damit rund 40 Prozent des gesamten französischen Bedarfs zu decken, und zahlt dafür rund ein Drittel der üblichen Preise. […] Es ist das wohl extremste Beispiel für die Ausnutzung von Verträgen, die Frankreich den ehemaligen Kolonien im Gegenzug für ihre Unabhängigkeit aufgezwungen hat.»
Uran – ein Rohstoff von strategischer Bedeutung
Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde sowohl die militärische als auch die zivile Nutzung der Atomspaltung interessant und die Produktion von Atomstrom wurde 1956/57 mit den ersten kommerziell betriebenen Atomkraftwerken (AKW) auch wirtschaftlich Realität. Für beides wird das spaltbare Element Uran (U-235) benötigt – so begann eine fieberhafte Suche nach dem strategisch bedeutsamen Rohstoff.
Im Oktober 1945 gründete Frankreich das Atomenergiekommissariat (Commissariat à l’energie atomique, CEA). Zugleich waren die Geolog*innen des Büros für geologische und bergbauliche Forschungen (Bureau de Recherches Géologiques et Minières, BRGM) damit beauftragt, nach Uran zu suchen. Man fand es sowohl in Frankreich als auch im ehemaligen Französisch-Westafrika: in Mounana, Gabun, und im heutigen Niger: im Jahr 1957 in Azelik, 1965 in der Region des (späteren) Arlit und 1967 in Akouta. Schließlich entdeckten Geolog*innen auch in Mali Uran, nahe der Grenze zu Guinea. Alle drei Länder sind seit 1960 formell unabhängig, die oben erwähnten Verträge verpflichten sie jedoch, Frankreich Zugang zu den Rohstoffen zu gewähren.
Nur für kurze Zeit: «Arlit – ein zweites Paris»
1968 wurde die Société des mines de l’Aïr (Somaïr), gegründet, um das Uranvorkommen am Rande des Aïr-Gebirges auszubeuten. Frankreichs Regierung hält mit 64 Prozent den größten Anteil, die Regierung von Niger hält 36 Prozent. Das Vorkommen liegt in einer dünn besiedelten Region am Rande der Sahara, und so wurde, um französische Ingenieur*innen und Techniker*innen in das unwirtliche Gebiet zu locken, eine kleine Stadt aus dem Boden gestampft: Arlit. Bungalows samt Swimmingpool für das französische Personal und einfachere Gebäude für die Arbeiter*innen, die mit ihren Familien dorthin zogen. Auf ähnliche Weise entstand später die Stadt Akokan. Um die Bergwerke und Siedlungen mit Elektrizität zu versorgen, wurde ein Kohlebergwerk und -kraftwerk in Tchirozérine eingerichtet; Arlit sollte ein «zweites Paris» werden. Ein Tagebau wurde ausgehoben, um an die Uranlagerstätten zu kommen. 1971 produzierte Somaïr schließlich das erste Uran. Für den Export muss dieses erst über Land in den Süden, bis zur Hafenstadt Cotonou in Benin, gebracht werden, von wo aus es nach Frankreich verschifft wird. Hier wird das Uran angereichert und zu Brennstäben für AKWs verarbeitet.
Günter Wippel, Diplom-Volkswirt, setzt sich seit rund 40 Jahren kritisch mit Atomkraft und vor allem mit dem Uranbergbau auseinander. 1992 war er Mitorganisator des World Uranium Hearing und 2006 gründete er mit anderen Aktiven die NGO uranium-network.org, die mit NGOs vor allem in Niger, Tansania, Namibia und Malawi zusammenarbeitet, die dem Uranbergbau kritisch gegenüberstehen.
1974 gründeten dieselben Partner – Frankreich und Niger – die Compagnie Minière d’Akouta (COMINAK). Hier wurde Uran bis März 2021 unter Tage abgebaut, da die Vorkommen in einer Tiefe von 200 bis 250 Metern liegen. Was 1978 begann, gilt heute als das ausgedehnteste Untertage-Bergwerk der Welt mit Stollen, die insgesamt über 250 Kilometer lang sind.
Die Blütezeit von Arlit währte jedoch nicht lange: 1976 deckten australische Aktivist*innen ein Urankartell auf, das den Uranpreis nach oben getrieben hatte. In der Folge begann der Preis langsam zu fallen. Nach dem katastrophalen Kernschmelze-Unfall im US-Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg im Jahr 1979 kam der weitere Ausbau der Atomkraft in den USA zum Erliegen und wurde in anderen Teilen der Welt erheblich gebremst. Der Uranpreis stürzte von einem Hoch von 160 US-Dollar pro Pfund (1976) auf ein Viertel dieses Preises, rund 40 US-Dollar pro Pfund (1982), und sank bis zum Jahr 2000 weiter auf etwa 10 US-Dollar pro Pfund.
Für die Stadt Arlit, die einzig für den Uranbergbau entstand und noch heute davon abhängt, ging es bergab. Weniger Uranabbau bedeutete weniger Verdienst – weniger Geld, das ausgegeben werden konnte, weniger Geschäft für Läden, Bars usw. Was die Abhängigkeit einer Stadt vom Uranbergbau bedeutet, zeigen Uranium City in Kanada und Uravan in den USA eindrücklich. Mit Schließung der Minen starben die Städte 1981 bzw. 1985 aus. Der Regisseur Idrissou Mora-Kpai hielt dies im Film Film Film «Arlit, deuxième Paris» (2005) fest – eines der wenigen Filmdokumente jener Zeit. Die negativen Gesundheitsfolgen des Uranbergbaus deuteten sich da bereits an, so lautet ein Zitat aus dem Film: «Man stirbt einfach in Arlit ...».
Schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit
In den Somaïr-Minen Arlit, Tomou und Artois sowie im Bergwerk Akokan ist der Urangehalt des Gesteins allerdings sehr gering: 0,1 Prozent (Somaïr) bzw. durchschnittlich 0,4 Prozent (COMINAK). Dies führt dazu, dass das mehr als Tausendfache im Verhältnis zum gewonnenen Uran an Abraum anfällt. Dieser enthält radioaktive Zerfallsprodukte, die Hunderttausende von Jahren strahlen werden.
Kein Wunder also, dass Anfang der 2000er-Jahre, knapp 30 Jahre nach Beginn des Uranbergbaus, Bergarbeiter*innen zunehmend «unerklärliche» Erkrankungen, etwa Lungenkrankheiten, feststellten, die teilweise tödlich endeten. Sie begannen Fragen zu stellen und gründeten die Nichtregierungsorganisation (NGO) Aghirin’man. Die Unternehmen blockten ab: Es gebe keine negativen Gesundheitsauswirkungen. Das ließe sich auch erklären: Es wurden keine festgestellt. Berichten zufolge gab und gibt es in den Krankenhäusern keine Ärzt*innen, die Berufskrankheiten diagnostizieren können bzw. dürfen – deshalb existieren auch keine. Schließlich kontaktierte Aghirin’man das unabhängige französische Strahlenmesslabor CRIIRAD, das 2004 und 2005 Messungen vor Ort vornahm. Der Bericht «Auswirkungen des Uranbergbaus durch die Tochterunternehmen Cogema-Areva im Niger – Bilanz der Analysen des Labors CRIIRAD» stellt eine deutlich über den Grenzwerten liegende radioaktive Kontamination fest – in mehreren Brunnen, in der Luft sowie in Metallen, die von den Uranunternehmen an lokale Händler*innen abgegeben und für den Hausbau verwendet wurden.
In der Folge kam es zu Verhandlungen zwischen den NGOs CRIIRAD und SHERPA, einer französischen Rechtsanwaltsvereinigung, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzt, einerseits und Areva andererseits. 2009 wurde gemeinschaftlich eine Beobachtungsstelle eingerichtet, um die Gesundheit der Bergleute zu überwachen. Drei Jahre später wurde sie jedoch von den NGOs frustriert wieder verlassen, weil sich nichts Grundlegendes geändert hatte.
Die unveränderte und nach wie vor bedenkliche Umwelt- und Gesundheitssituation rief 2010 schließlich Greenpeace auf den Plan. In einem von CRIIRAD unterstützten Bericht wird deutlich, dass Trinkwasser und Atemluft deutlich über Grenzwerte hinaus radioaktiv belastet waren und dass belastetes Metall auf den Markt gelangte und verarbeitet wurde.
Die Familie eines an Lungenkrebs verstorbenen französischen Ingenieurs, Serge Venel, klagte gegen Areva auf Entschädigung – und bekam 2012 in erster Instanz Recht. Das nährte die Hoffnung vieler erkrankter Areva-Mitarbeiter*innen, eine Entschädigung zu erhalten. Allerdings kassierte die nächste Instanz 2013 das Urteil wieder und machte damit jegliche Hoffnung zunichte. Zum Vergleich: In den USA hatten Uranarbeiter nach langem Kampf 1990 die Verabschiedung eines Gesetzes zur Entschädigung von durch Radioaktivität Geschädigten (Radiation Exposure Compensation Act) erreicht. Bis 2021 wurden rund 897 Millionen US-Dollar ausgezahlt. In der Bundesrepublik wurden bis 2021 über eine Milliarde Euro an erkrankte ehemalige Mitarbeiter*innen der Wismut, dem Uranbergbaubetrieb in der DDR, ausgezahlt.
In Niger ist aktuell ein Gerichtsverfahren anhängig, in dem ehemalige Mitarbeiter von Areva (jetzt: Orano) das Unternehmen beschuldigen, bei der Schließung der Anlage im Jahr 2021 seine Verpflichtungen insbesondere in Bezug auf ihre medizinische Betreuung nicht eingehalten zu haben.
Neuer Uranpreis-Boom 2007/08 und erstarkende Proteste
Ab 2004 stieg der Uranpreis langsam wieder an, und aus nicht ganz erklärlichen Gründen schnellte er 2007/08 dann auf 135 US-Dollar pro Pfund. Explorationsunternehmen, vornehmlich mit Sitz in Australien und Kanada, überfluteten nahezu alle afrikanischen Länder, so auch Niger, Tschad, Mali, Kamerun, die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik, Tansania, Malawi und Namibia. Angesichts des steigenden Uranpreises wollte Präsident Mamadou Tandja erreichen, dass Niger mehr vom Uranbergbau profitiert. Er versuchte deshalb, die Monopolstellung Frankreichs in Niger zu brechen. So vergab Niger 2007 eine Uranabbaulizenz an das chinesische Unternehmen CNNC. Der Staat Niger hielt 33 Prozent an dem neu gegründeten Unternehmen Société des mines d’Azelik (Somina). Die Regierung vergab im Norden viele weitere Explorationslizenzen an ausländische Unternehmen, nicht nur für Uran – was zu Protesten in Niger und Frankreich führte.
Im Februar 2010 wurde Präsident Tandja durch einen unblutigen Putsch gestürzt. Nach einer Übergangsregierung wurde Mahamadou Issoufou im März 2011 zum neuen Präsidenten gewählt. Er war als Bergbauingenieur in Frankreich ausgebildet worden und hatte 1980 bis 1985 eine leitende Position bei Somaïr inne.
Die Eröffnung der Azelik-Mine Ende 2010 zog erbitterte Proteste der Bevölkerung nach sich. Die Anwohner*innen – viele davon Kel Tamasheq (Tuareg) – hatten den Eindruck, ihnen würde das Land unter den Füßen weggezogen. Trotzdem – und trotz finanzieller Probleme – wurde im Bergwerk Azelik zunächst unter chinesischer Leitung weiter Uran abgebaut. 2014 wurde die Produktion wegen der hohen Zinsen bei gleichzeitig niedrigem Uranpreis aufgegeben.
Die Proteste um den Uranbergbau und den zu geringen Gewinnanteil Nigers hielten jedoch noch mehrere Jahre an und wurden von französischen NGOs unterstützt. Das Collectif Tchinaghen organisierte beispielsweise eine Ausstellung samt informativer Pressemappe mit dem Titel «Der Fluch des Urans – Nord-Niger als Opfer seiner Reichtümer». Im November 2013 veröffentlichte Oxfam einen Bericht, der mehr Transparenz und die Einhaltung nigrischer Gesetze fordert und darüber hinaus verlangt, dass Areva keinen weiteren Druck auf Niger ausübt, Steuererleichterungen zu gewähren. Auf eine AlJazeera-Dokumentation von 2014, die ähnliche Kritikpunkte anführte, antwortete der französische Staatskonzern detailliert, wehrte die Kritik ab und versuchte, sich reinzuwaschen.
Die Versuche der nigrischen Regierung, den Anteil der Lizenzgebühren zu vergrößern, führten dazu, dass Areva im Dezember 2013 androhte, die Bergwerke in Niger vorzeitig zu schließen. Wenige Monate später wurde die Produktion der Minen – laut Angabe des Unternehmens zu Revisionszwecken – vorübergehend eingestellt. Das bedeutete für den Staat Niger einen beträchtlichen Einnahmeausfall. In der Folge kam es im Verlauf des Jahres 2014 zu einer Einigung: Die Steuererleichterungen für Areva wurden vermindert und die Einnahmen Nigers erhöht. Gleichzeitig verschob Areva den Start des Uranprojekts Imouraren auf einen Zeitpunkt, zu dem der Uranpreis wieder höher liegt.
Das Ende von Areva und ein Uranpreis-Tief
Infolge der Fukushima-Katastrophe und der Stilllegung deutscher Atomkraftwerke sank die weltweite Nachfrage nach Uran, wegen der langjährigen Abschaltung der meisten japanischen – und sukzessive der deutschen – Atomkraftwerke um rund 14 Prozent. Als Folge schloss die kanadische Cameco 2017 ihr McArthur Uranbergwerk (vorübergehend) und die kasachische Kazatomprom kündigte eine Verringerung der Produktion um 20 Prozent an. Areva seinerseits gab eine Produktionsminderung von 21 Prozent für sein Akouta-Uranbergwerk in Niger bekannt.
Zu den Auswirkungen des gesunkenen Uranpreises kam eine Reihe von Fehlentscheidungen von Seiten Arevas, die bittere wirtschaftliche Konsequenzen für das Unternehmen hatten und zu dessen Bankrott beitrugen. Da Areva schon 2011 einen Verlust von 1,6 Milliarden Euro bilanzierte, waren die Konsequenzen der Fehlkäufe umso gravierender. So erwies sich das zunächst hochgepriesene nigrische Vorkommen Imouraren als schwierig bis «nicht abbaubar», sodass Areva 2015 und 2016 Abschreibungen von insgesamt 510 Millionen Euro auf das Vorkommen vornehmen musste (später schrieb Orano weitere 178 Millionen Euro ab). In Namibia hatte Areva im Juni 2007 das Trekoppje-Projekt von UraMin unbesehen für 2,5 Milliarden US-Dollar gekauft. Es stellte sich als Reinfall heraus: Das Vorkommen war nur einen Bruchteil dessen wert, sodass Areva 2011 darauf 1,97 Milliarden Euro abschreiben musste. Die Umstände des Kaufs und der teils ungeklärte Verbleib des Geldes führten in Frankreich zu einem veritablen Skandal: Die französischen Finanzbehörden durchsuchten die Geschäftsräume des Staatsunternehmens und die Geschäftsführerin Anne Lauvergeon verlor ihren Posten. Das Debakel ist ausführlich dokumentiert, etwa auf arte. Areva war zudem in der Zentralafrikanischen Republik und in der Demokratischen Republik Kongo in finanziell schwierige Projekte verwickelt, die die Überschuldung noch verschlimmerten, sodass das Unternehmen im Herbst 2014 vor dem Konkurs stand. Die französische Regierung sprang mit einem Umstrukturierungsplan ein: Der Bau neuer Atomkraftwerke wurde an den – ebenfalls verschuldeten – staatlichen Stromkonzern EdF übertragen. Der französische Staat steuerte, von der Europäischen Union genehmigt, rund 4,5 Milliarden Euro zur Umstrukturierung bei. Areva ging im August 2017 von der Börse und 2018 wurde ein neues Unternehmen – Orano – gegründet.
Das Ende des Bergwerks Akouta
Im Februar 2019 kursierten Gerüchte, Areva wolle das Bergwerk von Cominak schließen; drei Monate später stand die Schließung fest und am 31. März 2021 wurde sie vollzogen. Hunderte von Arbeitsplätzen gingen verloren, die Arbeiter*innen erhielten Abfindungen, doch etwa 800 Arbeiter*innen, die über Subunternehmen angestellt waren, sollten leer ausgehen – was zu einer Intervention des NGO-Dachverbands Coordination de la Société Civile Arlit führte.
Während der 40-jährigen Betriebszeit des Bergwerks sind mehr als 75.000 Tonnen Uran abgebaut worden. Bei einem Urangehalt von 0,1 bis maximal 0,6 Prozent sind die Massen an radioaktivem und toxischem Abraum entsprechend groß: Rund 20 Millionen Tonnen Abraum liegen ungeschützt herum, auf mehrere Quadratkilometer verteilt. Orano, Betreiber von Cominak, hat einen nur unzureichenden Plan für die Sanierung der Abraumhalden vorgelegt, demzufolge in den nächsten zehn Jahren 150 Millionen Euro in die Sanierung fließen, wobei das Gebiet im Anschluss weitere fünf Jahre überwacht werden soll. Doch die Sahara-Winde verwehen den radioaktiven Staub und verteilen ihn – und so gelangt radioaktives Material weiterhin ins Grundwasser.
Nach wie vor ist fraglich, ob sich die radioaktive Kontamination eingrenzen lässt. Eher ist zu erwarten, dass eine weitere sacrifice area (dt. Opfergebiet) entsteht, weil die Verseuchung so groß(-flächig) ist, dass man sie nicht eindämmen kann. Der in den USA gängige Begriff beschreibt die sich selbst überlassenen Abraumgebiete geschlossener Uranminen. Abraum strahlt Hunderttausende von Jahren und stellt für Menschen, Tiere und die Umwelt eine große Gefahr dar. Eine Abdeckung des Abraums müsste diesen riesigen Zeitraum überstehen und eine Überwachung müsste entsprechend weit über das Jahr 2038 hinausgehen. Das deutsche Uranbergwerk Wismut ist das beste Beispiel dafür, was das bedeutet: Bis Ende 2020 haben die Steuerzahler*innen die Sanierung mit 6,8 Milliarden Euro finanziert – und ein Ende ist nicht in Sicht, weil immer wieder kleine Sicherheitslücken auftreten, die überwacht und repariert werden müssen. Das zeigt auch: Selbst die weltweit am besten sanierte Uranmine strahlt über Jahrtausende weiter und kontaminiert die Umwelt.
Im Januar 2023 schrieb CRIIRAD, das französische unabhängige Strahlenmesslabor, einen Artikel mit dem Titel «ORANO in Niger: Millionen Tonnen nicht sanierter radioaktiver Abraum, ein Damoklesschwert für die Trinkwasserversorgung von über 100.000 Menschen». Währenddessen betreibt Somaïr den Tagebau von Arlit weiter und produziert jährlich rund 2.000 Tonnen Yellowcake bzw. Urankonzentrat; ein Ende ist nicht abzusehen.
Neue Uranbergwerke … ?
Das kanadische Unternehmen Global Atomic machte südlich der bisherigen Uranbergbauregion ein Uranvorkommen aus (Dasa-Projekt), erhielt 2020 eine Abbaugenehmigung von den nigrischen Behörden und begann im November 2022 mit der ersten Sprengung den Bau der Untertagemine. Der nigrische Staat ist mit 10 Prozent am Abbauunternehmen SOMIDA beteiligt. Zivilgesellschaftliche Organisationen protestierten gegen das Projekt; sie erreichten im Februar 2023 durch einen Gerichtsbeschluss die Einstellung der Arbeiten – allerdings nur für kurze Zeit. Die nächste Instanz hob die vorübergehende Einstellung wieder auf, die Arbeiten gehen weiter. Ob das Projekt wirtschaftlich erfolgreich sein wird, hängt von der weiteren Entwicklung des Uranpreises ab.
Während das Dasa-Projekt das am weitesten fortgeschrittene ist, haben noch weitere Unternehmen Projekte in Vorbereitung, so zum Beispiel das Projekt Madaouéla des kanadischen Unternehmens GoviEx. Festzuhalten ist, dass Frankreich bzw. Orano neben den chinesischen und kanadischen Investitionsvorhaben keine Monopolstellung in Niger mehr innehat. Es ist allerdings fraglich, ob dies dazu führt, dass die Menschen in Niger mehr vom Uranbergbau profitieren werden.
Was bleibt?
«Niger – 22,4 Millionen Einwohner*innen, 41,4 Prozent leben in extremer Armut. Das Land rangiert an letzter Stelle im Human Development Index, es ist viertgrößter Uranproduzent der Welt.» Besser als die Agence France-Presse kann man die nigrischen Verhältnisse fast nicht beschreiben. War Niger damals, als der Uranbergbau begann, eines der ärmsten und am wenigsten industriell entwickelten Länder der Welt, ist es über 50 Jahre später, nachdem weit mehr als 100.000 Tonnen Urankonzentrat exportiert worden sind, nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt.
Was bleibt, ist eine Last von 20 bis 40 Millionen Tonnen radioaktiven und toxischen Abraums, der ungeschützt in der Landschaft liegt und die Gesundheit und Trinkwasserversorgung von rund 150.000 Menschen in der Region Arlit und Akokan gefährdet. Almoustapha Alhacen von der NGO Aghirin’man drückt es so aus: «Wir haben keine nachhaltige Entwicklung, wir haben eine nachhaltige Kontamination.»
Ungelöst bleibt auch das Problem der Gesundheitsschäden der Uran-Arbeiter*innen und der ansässigen Bevölkerung: Gesundheitsuntersuchungen fehlen, eine umfassende Gesundheitsstudie erst recht. Auf den Kosten für die Behandlung der Erkrankungen bleiben die Menschen sitzen. Aufgeklärt wurden sie damals nicht und werden sie auch heute nicht von offiziellen Stellen.
Im Endergebnis profitiert Europa vom wertvollen Energierohstoff Uran, während die Probleme – seien es Gesundheitsprobleme oder langfristige Umweltprobleme – in Niger bleiben, ohne dass das französische Staatsunternehmen jemals Verantwortung dafür übernommen hätte. Der Uranbergbau ist damit ein weiteres Beispiel für die Kontinuität kolonialer Beziehungen. Ob sich der koloniale Charakter der Handels- und Investitionsbeziehungen Nigers mit den Industriestaaten ändern wird, bleibt angesichts des Putsches vom Juli 2023 offen.
Uran in Mali und Mauretanien
Im äußersten Südwesten von Mali, nahe der Grenze zu Guinea, lokalisierte das französische Unternehmen Cogema in den frühen 1980er-Jahren ein kleines Uran-Kupfer-Silber-Vorkommen. Es liegt in der Nähe einer Ansammlung von 21 Dörfern, in Falea. Die Region ist bewaldet und hat ausreichend Wasser – die Dorfbewohner*innen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Land- und Fischwirtschaft. 2008 sahen sie sich plötzlich mit schwerem Gerät konfrontiert, das teils mitten im Dorf, teils in der Nähe von Wasserstellen den Boden aufbohrte und diese in der Folge kontaminierte. Die Anwohner*innen beschlossen, keinen Bergbau in ihrer Region zuzulassen, der ihre Existenzgrundlagen gefährdet. Um den Widerstand besser organisieren zu können, schlossen sich 21 Dörfer der Region zusammen und gründeten das Bündnis FALEA 21. Zusammen mit erfahrenen Aktivist*innen gründeten sie die Association des Ressortissants des Amis de la Commune de Falea (ARACF). NGO-Vertreter*innen aus Frankreich unterstützten die ARACF dabei, die Gefahren des Uranbergbaus und der Radioaktivität besser einschätzen zu können. Die intensive Zusammenarbeit mit internationalen Partnern verhalf ARACF zu einiger Aufmerksamkeit. So wurde eine Ausstellung in drei Sprachen produziert und an vielen Orten ausgestellt, auch im Europäischen Parlament. Die Organisation Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) organisierte zusammen mit ARACF und der NGO uranium-network.org im März 2012 die Konferenz «Uranium, Santé et Environnement» (dt. Uran, Gesundheit und Umwelt) mit internationalen Expert*innen, um die negativen Auswirkungen eines möglichen Uranbergbaus in Mali bekannter zu machen.
Im März 2011 trafen die Abgeordneten des Europaparlaments Michèle Rivasi und Eva Joly den damaligen Präsidenten von Mali, Amadou Toumani Touré, und erreichten seine Zusage für den Stopp der Uranexploration in Falea. Hinzu kam, dass der Uranpreis fast so schnell wieder sank, wie er gestiegen war. Damit schwanden die Hoffnungen der (ausländischen) Unternehmen, schnell Gewinne erzielen zu können. Das Vorkommen in Falea wechselte zweimal den Besitzer, 2016 erwarb das kanadische Unternehmen GoviEx das Vorkommen. Von einem konkreten Abbau scheint man jedoch weit entfernt zu sein.
Als im Zuge des Uranpreis-Booms von 2007/08 Explorationsunternehmen in nahezu alle Länder Afrikas gelockt wurden, entdeckte einer der Newcomer der Bergbauszene, Aura Energy mit Sitz in Australien, ein dicht unter dem Wüstenboden liegendes Uranvorkommen nahe der Grenze zur Westsahara. Das Unternehmen gewann Investoren mit der Aussicht, das Vorkommen leicht und damit billig abzubauen, da keine aufwendige Bergwerkstechnik erforderlich sei. Jedoch ist Wasser für die Urangewinnung unabdingbar – und in der Sahara eine Rarität. Dem Unternehmen gelang es jedoch, ein reichhaltiges Wasservorkommen und damit eine wichtige Grundlage für die Urangewinnung aufzufinden. So erhielt es 2017 eine Abbaugenehmigung von der mauretanischen Regierung. Ob das zuständige Ministerium die fachliche Qualifikation hatte, den Abbau von Uran zu beurteilen und sachgemäß zu überwachen, bleibt – wie generell in afrikanischen Staaten – fraglich, denn die Bewertung eines Umweltverträglichkeitsgutachtens erfordert fundierte Kenntnisse in Sachen Radioaktivität, Geologie, Hydrogeologie und Verfahrenstechniken.
Als Newcomer auf dem Uranmarkt dürfte Aura Energy mit seinem Projekt keine gute Chancen haben. Denn der Uranmarkt ist hochgradig oligopolisiert: Sechs Länder mit fast ausschließlich in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen beherrschen 80 Prozent des Uranmarktes. Wie ausgeführt liegt die Ursache des seit 2017 gestiegenen Uranpreises hauptsächlich in der Produktionseinschränkung der drei großen Uranförderer – und nicht in einer gestiegenen Nachfrage. Sobald die großen Unternehmen ihre Produktion wieder hochfahren, dürfte wenig Spielraum für Firmen wie Aura Energy bleiben. Bedenklich bleibt allerdings, dass das wertvolle Grundwasser der Sahara für die Urangewinnung verschwendet werden könnte, anstatt es sinnvoll zu nutzen: für Mensch und Vieh.