Es herrscht große Hitze in Dakar als ich Martine Ndiaye treffe, die Leiterin des «Festival Film Femme Afrique». Ndiaye, französischer Herkunft, folgte ihrem senegalischen Mann und lebt seit 40 Jahren in Senegal. Seit langem engagiert sie sich kulturell, vor allem im Bereich Kino. Das afrikanische Frauenfilmfestival, das jetzt am 26. April startet, organisiert sie seit 2003.
Fatou Faye, Projektmanagerin für Feminismus und Migration, sprach mit Martine Ndiaye, Leiterin des senegalesischen Frauenfilmfestivals «Festival Film Femme Afrique»
Die Sonne steht im Zenit – es ist Martines Mittagspause, während der sie mich in ihrem Büro im Dakarer Stadtteil Mamelles empfängt. Ein Haus in Weiß mit einer einfachen Einrichtung, die durch gepflegte Kokospalmen und andere Blumen ihren Charme erhält. Martine führt mich auf eine gut belüftete Terrasse mit vielen verschiedenen Baumarten. In einer Stadt wie Dakar, in der Bäume systematisch für den Bau von neuen Gebäuden gefällt werden, ohne ökologische Standards zu berücksichtigen, ist das besonders. Es ist diese Umgebung, die mich erahnen lässt, warum das diesjährige Festival Umwelt zum Thema macht.
Warum fingen Sie 2003 an, ein Filmfestival für afrikanische Frauen zu organisieren?
Ich stellte fest, dass in den ersten Filmfestivals in Senegal, wie Cinécap, der Frauenanteil sehr gering war. Man fand nur eine Frau unter sieben Männern! Also habe ich mir gesagt, lasst uns den Frauen eine Stimme geben. Auch, damit sie mehr an sich glauben. Denn es ist so, dass Frauen sich oft nicht auf Filmfestivals bewerben, weil sie Angst haben, und weil sie oft nicht so gut reden können wie Männer. Indem wir ihnen exklusiv ein Festival einräumen oder andere Dinge nur für sie tun, gibt es das Problem nicht und Frauen trauen sich, sich zu äußern.
Ist es schwer, so ein Projekt umzusetzen in einer Gesellschaft, in der geschlechterbasierte Gewalt integraler Bestandteil des Alltags von Frauen ist?
Es ist extrem schwer, dieses Projekt umzusetzen! Aber nicht unbedingt wegen des Kontexts, sondern weil es sehr schwer ist, solch ein Festival in Senegal zu organisieren. Das muss ich sagen, denn wir haben kaum Geld. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den zwanzig Jahren, wo das Festival jetzt besteht, haben wir noch nie Unterstützung vom Frauenministerium bekommen. Ich kann mir das nicht erklären. Wir konnten Geld aus dem Kultusministerium einwerben, aber nicht vom Frauenministerium.
Was geschlechterbasierte Gewalt angeht: Umso besser ist es, ein Festival zu haben, um darüber zu sprechen. Denn wir wissen, dass es diese Gewalt gibt, und sprechen in Senegal kaum darüber. Es gibt ab und an Demos, es gibt soziale Bewegungen wie «Doyna», und dennoch reden wir zu wenig darüber. Filme sind ein tolles Mittel, um das anzustoßen! Vor allem, weil es eine Diskussion nach jeder Filmvorstellung gibt – das ist integraler Bestandteil unseres Festivals.
Was ist deine Motivation gewesen, dieses Festival ins Leben zu rufen?
Genau das: Ich glaube, dass Kino ein exzellentes Mittel ist, um gesellschaftliche Probleme zu diskutieren. Ganz am Anfang habe ich mich gegen Zwangsehen und Ehen mit Minderjährigen eingesetzt und als ich dazu Filme gesehen habe, dachte ich: Wir müssen ein Filmfestival organisieren zum Thema Gewalt gegen Frauen und damit eine gesellschaftliche Debatte anstoßen!
Zu wievielt organisiert ihr das Festival?
Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal eine bezahlte Koordinatorin. Darüber hinaus gibt es dieses Mal zwei, die im Zivildienst sind. Ansonsten sind es alles Freiwillige und Frauen im Ruhestand, die etwas tun wollen. Insgesamt sind wir um die zehn Personen, die das Festival wuppen.
Woher bekommt ihr finanzielle Unterstützung?
Es gibt einige, die Geld geben. Dazu zählen die niederländische Regierung und niederländische Vereine, deutsche Stiftungen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die das Festival grundsätzlich finanziert, und die Heinrich-Böll-Stiftung, die die Filmsessions auf dem Land unterstützt. Dann gibt die Stadt Dakar etwas – dafür habe ich über zweieinhalb Jahre Überzeugungsarbeit geleistet, immerhin belebt das Festival die Stadt! Das Kultusministerium hatte ich ja schon erwähnt – aber mit all den Problemen rund um die Wahlverschiebung hat das dieses Jahr nicht geklappt. Bleiben noch einige Botschaften und Privatpersonen.
Wie wählt ihr die Filme aus?
Die Filme erzählen Geschichten von Frauen. Darüber hinaus wählen wir nach Themen aus. Das erste Festival widmete sich der Gewalt gegen Frauen, dann gab es die Themen Arbeit und Migration sowie Bildung und Frauen als Zukunftserschafferinnen. Dieses Jahr liegt der Fokus auf Klimanotstand und Frieden. Die Filme handeln von Frauenrechten, denn die haben mit all dem zu tun: Klima, Umwelt und ihrer Verschmutzung oder auch Frieden. Dieses Jahr haben wir eine Palästinenserin und eine Haitianerin eingeladen, die zum Thema Kino und Ländern mit Konflikten sprechen werden.
Wie entscheidet ihr euch für ein Thema?
Entweder inspiriert uns, was gerade in Senegal passiert, oder etwas Generelles. Dieses Jahr war es wirklich nötig, dass wir was zum Klimanotstand machen. Wir haben es bewusst nicht Klimawandel genannt! «Notstand» zeigt, dass wirklich jede*r sich einbringen muss und dass es wirklich dringend ist, denn ansonsten wird 2050 nur noch jede zweite Person Zugang zu Wasser haben, es wird keine Fische im Meer mehr geben, das Meer wird immer höher steigen, Landwirt*innen werden kein Wasser zum Gießen mehr finden...
Und dann das Thema Frieden. Wir leben in Senegal, wo es Frieden gibt, aber wir sind umgeben von Ländern wie Mali, Burkina Faso, Niger, wo es sehr große Probleme und Konflikte gibt. Darum wollen wir den Zuschauer*innen die Wichtigkeit von Frieden vermitteln und dass wir alles tun müssen, um ihn zu wahren.
Welche Zusammenhänge siehst du zwischen Klimagerechtigkeit, Frieden und Frauen?
Alles hängt miteinander zusammen: Ab dem Moment, wo 80 Prozent der Vertriebenen wegen Klimaveränderungen Frauen sind, haben wir ein großes Problem. Konflikte haben direkt Auswirkungen auf Frauen: Es sind ihre Söhne, die in den Krieg ziehen um sich töten zu lassen, es sind ihre Männer, die getötet werden. Sie selbst können vergewaltigt werden, denn Vergewaltigung wird zunehmend als Kriegswaffe eingesetzt. Es ist wichtig, dass Frauen selbst aufstehen und sich verteidigen.
Was ist dein diesjähriger Lieblingsfilm?
Das ist wahrscheinlich der Eröffnungsfilm, «Goodbye Julia». Es ist ein wirklicher schöner, gut gemachter, sehr starker Film über politischen Konflikt. Es geht um zwei Frauen, die sehr gute Freundinnen werden: eine Frau aus Sudan, eine aus Südsudan, aber sie dürfen nicht. Die Frau aus Südsudan muss fliehen und es wird deutlich, wie sehr die Politik persönliche Beziehungen beeinflusst und letztlich stärker ist als letztere. Der Film ist Teil des Wettbewerbs. Und da sind noch ein paar andere tolle Filme dabei!
Was sind eure Ziele für dieses Jahr?
Wir wollen 12.000 Zuschauer*innen anziehen, wir wollen im Radio und im Fernsehen vorkommen, um die Diskussion über die Kinosäle hinaus so weit wie möglich zu tragen. Wir wünschen uns sehr, dass die Themen Klimanotstand und Frieden in die Gesellschaft kommen. Wir machen ein Panel zu Wasser als kollektivem Schatz – das sollte in ganz Senegal besprochen werden: Wie ist die Wasserpolitik in Senegal, was machen die Regierungen, wie Verwaltungen um das Grundwasser zu erhalten und so weiter. Ich glaube, es müsste politisch mehr passieren – und vielleicht organisieren sich ja einige und setzen sich dafür ein.
Es kommen viele Filmemacher*innen und präsentieren ihre Filme. Ist es schwer, sie nach Senegal zu holen?
Dieses Jahr hatten wir wegen der Wahlverschiebung einige Probleme und manche hatten wenig Lust, herzukommen. Das ist aber das erste Mal, dass wir Schwierigkeiten hatten. Dazu kommt, dass wir dieses Mal Filme zeigen, die zeitgleich in Europa erscheinen, z.B. «Les filles d‘Olfa» oder «Banel et Adama». Die Regisseurinnen sind auf Tour und können nicht nach Senegal kommen.
Was bedeutet die Anwesenheit der Filmemacher*innen während des Festivals?
Es tut dem Festival sehr gut, wenn Filmemacher*innen kommen, denn die Zuschauer*innen fühlen sich geehrt, sie kennen zu lernen. Außerdem können sich die Regisseurinnen untereinander kennen lernen und netzwerken. Wir laden sie auch zu einem Treffen mit senegalesischen Filmemacherinnen, Produzent*innen und Drehbuchautor*innen ein. Es gab schon mal den Fall, dass eine senegalesische Drehbuchautorin das Skript für eine dschibutische Regisseurin geschrieben hat – und die haben sich bei unserem Festival kennen gelernt! Oder eine Ruanderin, deren Drehbuch von einem senegalesischen Regisseur umgesetzt wurde. Gerade deshalb laden wir gerne junge Filmemacherinnen, vor allem von Kurzfilmen, ein, damit sie andere aus der Kinowelt kennen lernen können. Wir wissen, dass die Filmemacherinnen untereinander in Kontakt bleiben, sich up-to-date halten oder die Erfahreneren um Rat bitten.
Dieses Jahr haben wir ein neues Format: Das «ndéki», auf Wolof «Frühstück», wo wir zwei Filmemacherinnen, manchmal auch einen Filmemacher und eine junge Regisseurin, zusammen auf die Bühne setzen, wo sie sich gegenseitig Fragen zu ihrem präsentierten Film stellen. Das Publikum kann sich natürlich auch einbringen. Alle, die wir dazu angefragt haben, fanden die Idee großartig. größten afrikanischen Filmfestivals, das alle zwei Jahre in Burkina Faso stattfindet, nur als Frauenfilmfestival.
In der Vergangenheit wurde das Festival sehr gut besucht, auch in Jugendzentren waren immer viele Zuschauer*innen. Woran liegt das?
Es gibt zwei Arten von jungen Leuten, die kommen: Diejenigen, die an Filmschulen sind wie Yannenga, Ciné Banlieue und anderen, kommen viel. Sie wissen, dass sie diese Filme außerhalb des Festivals nicht sehen können. Das Festival ist also sehr wichtig für sie, auch weil sie mit den Filmemacherinnen diskutieren können.
Im Gegensatz dazu sind die anderen jungen Leute eher am Vergnügen interessiert. Wir machen jeden Abend Freiluft-Filmsessions in den kulturellen Zentren in den Dakarer Vororten. Da kommen alle jungen Leute aus dem Viertel, auch die Kinder – es ist eine Attraktion! In den Debatten bringen sie wirklich wichtige Fragen ein: Wieso tut man Frauen sowas an, wieso dies, wieso das?
Wie hat das Festival seinen Platz in der Welt des afrikanischen Kinos gefunden?
Stück für Stück konnten wir diesen Platz finden, auch wegen unserer Filmauswahl. Wir haben ein Auswahlkomitee, das zwischen 500 und 800 Filme schaut, die Wahl ist also extrem schwer. Die Kriterien für Kurz- und Langspielfilme sind unterschiedlich; für die Kurzfilme wollen wir junge Leute ermutigen. Außerdem wollen wir ein Maximum an afrikanischen Ländern abdecken. Das bedeutet, wir wollen auch Filme aus der Zentralafrikanischen Republik oder Malawi, Länder, in denen es kaum Kino gibt. Aber um Kino an sich wertzuschätzen und auch um die Netzwerke der Filmschaffenden zu stärken, ist das wichtig.
Wie hat das senegalische Kino das Festival aufgenommen? Hat sich das über die Jahre verändert?
Anfangs hat man uns nicht ernst genommen: Sie machen ihr Kino in ihrer Ecke, lassen wir sie mal machen. Und dann, Stück für Stück, sind wir gewachsen. Um 2016 herum, als die RLS angefangen hat, uns zu unterstützen, konnten wir langsam aufblühen. Andere Festivals warten jetzt auf uns, weil unsere Filmauswahl so besonders ist. Außerdem zahlen wir im Gegensatz zu anderen Filmrechte; das gibt uns Freiheiten zu zeigen, was wir wollen, sichert die Qualität der Filme und schützt unseren politischen Ansatz.
Wir gehen viel auf andere Festivals, zahlen das aus unserer eigenen Tasche, als Kinoliebhaberinnen. Auch, weil wir dort die besten Filme, die international erscheinen, sehen können. Wir wollen immer das afrikanische Kino fördern, auch, indem die Qualität besser wird. Wir sind mittlerweile bekannt und respektiert, denn die afrikanische Kinowelt weiß, dass wir sie sehr unterstützen und das macht das Festival wertvoll.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass es das Festival lange gibt, es immer größer wird – so groß wie das FESPACO, eines der größten afrikanischen Filmfestivals, das alle zwei Jahre in Burkina Faso stattfindet, nur als Frauenfilmfestival.