Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Andenregion Ecuadors neuer Präsident: Daniel Noboa, Milliardärssohn

Was Noboas Regierungsprogramm für Ecuadors Zukunft bedeutet

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Der Unternehmer Daniel Noboa bei einer Versammlung in Ecuadors Amsablea Nacional im November 2022.
Der Unternehmer Daniel Noboa bei einer Versammlung in Ecuadors Asamblea Nacional im November 2022.
Ab Dezember 2023 übernimmt er offiziell die Amtsgeschäfte als Präsident Ecuadors. Bild: Christian Medina

Daniel Noboa ist mit 35 Jahren einer der jüngsten Präsidenten der Welt. Er selbst bezeichnet sich als Mitte-Links, sein politisches Programm zeigt aber eindeutige mitte-rechts Tendenzen. Die Noboa-Familie hat über Bananenexporte und Immobiliengeschäfte ein Milliardenvermögen angehäuft und ist eine der reichsten Familien Ecuadors. Alvaro Noboa, Daniel Noboas Vater, zeigte in der Vergangenheit ebenfalls politische Ambitionen und landete bei Präsidentschaftswahlen mehrmals auf dem zweiten Platz.

Am 15. Oktober 2023 hat Ecuador den Unternehmer Daniel Noboa zum neuen Präsidenten Ecuadors gewählt. Er gewann 52% Prozent der Stimmen und setzte sich gegen Luisa González, Kandidatin der Revolución Ciudadana durch. Die Wahlbeteiligung lag bei 82% Prozent.

Noboa wird das Amt ab Dezember 2023 für zunächst 18 Monate ausüben (bis zum Ende der Amtszeit des bisherigen Präsidenten Guillermo Lasso).

Daniel Noboa startete dennoch als Außenseiter in den Wahlkampf. Sein überraschender Einzug in die Stichwahl wird seinem Auftritt als neuem, jungen «Anti-Politiker» zugeschrieben, sowie einem geschickten Wahlkampf, in dem er sich aus der politischen Polarisierung zwischen Correismus (der Bewegung des Ex-Präsidenten Rafael Correa) und Anticorreismus heraushielt, die besonders bei jungen Wähler*innen zunehmend Abwehr erzeugt.

Erfolgreich war auch seine Kampagne in Landesteilen mit vielen unentschiedenen Wähler*innen, in denen er Lebensmittel verteilte und medizinische Betreuung anbot, organisiert von seiner Mutter, Annabella Azín, einer Ärztin. Die Familie zahlte seinen Wahlkampf, weswegen  davon auszugehen ist, dass seine Politik sich stark an den Interessen der Exportoligarchie ausrichten wird.

Die Unterscheidung in Correismus und Anticorreismus bezieht sich auf die emotional immer noch sehr aufgeladene Polarisierung rund um Ecuadors ehemaligen Präsidenten Rafael Correa (2010 - 2017). Die einen sehen in ihm bis heute den Einzigen, der dem Land wirtschaftlichen Erfolg brachte. Die anderen betrachten ihn als korrupten und autoritären Politiker.

Als Vizepräsidentin hat Noboa Verónica Abad gewählt, Unternehmerin wie er selbst, die im Wahlkampf mit provokanten Aussagen auffiel und schließlich nach Miami geschickt wurde, um unter den (traditionell konservativen) Exilecuadorianer*innen Wahlkampf zu machen. Sie soll die Migrationspolitik der Regierung verantworten. Ihre Ansichten sind (rechts-)konservativ und neoliberal:

Die Regierung solle sich aus der Wirtschaft, der Bildung, dem Gesundheitswesen und den Renten heraushalten, meinte sie im Wahlkampf. Abad bezeichnet sich als eine «klassische Frau», die an Gott und die Bibel glaube und meint, dass Feministinnen das Thema Gewalt gegen Frauen lediglich erfunden hätten, um damit Geld zu verdienen. Frauen präsentierten sich heutzutage absichtlich hässlich, woran der Marxismus Schuld sei. Früher unterstützte sie Donald Trump und Jair Bolsonaro, aktuell teilt sie Ansichten des rechtsextremen argentinischen Präsidentschaftskandiaten Javier Milei. 

Eine erste Analyse von Noboas Regierungsprogramm zeigt, welche Schwerpunkte er in den Bereichen Sicherheit, Sozialpolitik, Frauen- und Minderheitenrechte, Wirtschaft und Umweltschutz setzt.

Sicherheitspolitik

Während der neoliberalen Regierung von Guillermo Lasso (2021- gegenwärtig) ist die Gewalt durch das organisierte Verbrechen in Ecuador eskaliert. Die Krise in den Gefängnissen, mit regelmäßigen Massakern, hängt mit kriminellen Banden zusammen, die sich um die Häfen zum Pazifischen Ozean und die Grenze zu Kolumbien für den Drogenhandel streiten. Auch Auftragsmorde und Gewalt gegen führende Politiker haben drastisch zugenommen wie zuletzt die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio im laufenden Wahlkampf zeigte.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der fehlende Zugang zu öffentlicher Bildung und Gesundheitsversorgung hat die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen getroffen; die Zahl der Menschen, die wegen der Aussichtslosigkeit und der Bedrohungen auswandern, steigt ständig: Im Jahr 2023 sind die Ecuadorianer*innen nach den Venezolaner*innen die zweitgrößte Gruppe, die den Darien-Urwald zwischen Kolumbien und Panamá durchqueren um in die USA zu gelangen.

Das Regierungsprogramm Noboas enthält folgende Punkte zur Verbesserung der Sicherheit im Land:

  • Anstreben wirtschaftlicher Entwicklung in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Unternehmen des Landes, um die Beschäftigung in diesen Wirtschaftssektoren zu fördern.
  • Abschaffung der derzeit in Ecuador geltenden Grenze für den persönlichen Konsum von Betäubungsmitteln, die laut Noboa der Grund für die Zunahme der Gewalt an Schulen ist.
  • Verbesserung der Prävention und Rehabilitation von Straftätern. Verbesserung der Haftbedingungen und Beschleunigung der Gerichtsverfahren.
  • Etablierung von Geschworenen im Justizsystem zur Verhandlung von Fällen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel.
  • Stärkung der Streitkräfte, um in Fällen von Terrorismus sofort eingreifen zu können.
  • Militarisierung von Häfen und Zubringerstraßen, um den Drogenhandel einzudämmen.
  • Einberufung eines Referendums innerhalb der ersten 90 Tage der Regierung, um u.a. staatliche Maßnahmen angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus einzuführen.
  • Verbesserung des Justizsystems zur Bekämpfung und Verhinderung von Internetkriminalität.
  • Einführung strenger Vorschriften zum Schutz persönlicher Daten, die in/von Institutionen gesammelt werden.

Wirtschaftspolitik

Noboa, selbst Unternehmer, legt ein Wirtschaftsprogramm vor, das vor allem auf Steuererleichterungen setzt. Um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen, will er große Unternehmen, sowie die Gründung von neuen Unternehmen fördern und so den «Unternehmergeist» im Land anregen. Er grenzt sich vom aktuellen Präsidenten Lasso ab, der als ehemaliger Banker seine Politik am Finanzkapital ausrichtete. Noboa kritisiert diese Politik und vertritt eher die Interessen der Exportoligarchie, also des produktiven Kapitals.

Aus seinem Regierungsprogramm sind folgende Ziele hervorzuheben:

  • Gewinnen von ausländischen Direktinvestitionen. Diese könnten «Kapital bereitstellen, Arbeitsplätze schaffen, den Transfer von Fähigkeiten und Technologie erleichtern, den Wettbewerb anregen und zur Diversifizierung der Wirtschaft beitragen».
  • Strategische Allianzen mit internationalen Privatunternehmen, um den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu fördern.
  • Förderung der Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen durch den Abbau von Bürokratie, die Erleichterung des Zugangs zu Krediten und das Angebot von Schulungen in Unternehmensführung. Einführung von Steueranreizen für junge Unternehmen, wie z. B. Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen in den ersten Jahren der Tätigkeit.
  • Schutz des Dollars als Landeswährung durch die Stärkung der Haushaltsdisziplin, Erhöhung der internationalen Reserven, Förderung von Investitionen und Kontrolle der Inflation.
  • Einrichtung eines staatlichen Kreditgarantiefonds.
  • Förderung des Wettbewerbs im Bankensektor um dadurch Zinsen zu senken.

Sozial- und Gesundheitspolitik

Während der neoliberalen Regierung von Guillermo Lasso wurden Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit und Beschäftigung für die Ecuadorianer*innen zum Problem: Die öffentlichen Krankenhäuser können weder schwere Krankheiten behandeln, noch Patient*innen mit Medikamenten versorgen. Mehr als 38.000 Schüler*innen sind zum Schulanfang im September 2023 im Hochland nicht in die Schulen zurückgekehrt. Nur 34 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung hat eine formelle Arbeit. Besonders schlecht ist die soziale Situation von Frauen und Mädchen: Alle 23 Stunden wird in Ecuador eine Frau ermordet. Im Jahr 2022 gab es 53 000 Teenagerschwangerschaften.

Im Regierungsprogramm Noboas sind soziale Themen eher knapp und sehr generell gehalten. Im Gesundheitsbereich liegt der Schwerpunkt auf der Bekämpfung der chronischen Unterernährung von Kindern, der Verbesserung der medizinischen Grundversorgung und der Unterstützung von schwangeren Frauen. Diese Vorschläge stehen im Gegensatz zu dem, was Verónica Abad bei vielen Gelegenheiten erklärt hat (siehe oben). Auch Noboas Frauenbild ist teilweise fragwürdig. So sagte er auf einer Kundgebung, dass er Lebensmittelgutscheine für schwangere Frauen nicht in bar ausgeben würde, um damit keine Schwangerschaften zu fördern. Diese Aussage hat er später korrigiert. Die Rechte von Frauen, Mädchen und jungen Menschen werden im Regierungsprogramm nicht explizit erwähnt.

Gerade mal zwei Absätze befassen sich mit den indigenen Völkern und Nationalitäten Ecuadors und der «Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung». Diese Kürze ergibt insofern Sinn, als das Noboa-Unternehmen dafür bekannt ist, indigenen Gemeinschaften an der Küste das Land streitig zu machen und sie mit Gewalt zu vertreiben.

Das Regierungsprogramm geht nicht auf Arbeitnehmer*innenrechte ein. Auch dies ist keine Überraschung vor dem Hintergrund zahlloser Beschwerden von Arbeiter*innen auf den Bananenplantagen der Noboa-Gruppe wegen massiver Verstöße gegen ihre Rechte.

Daniel Noboa und die Volksbefragung zu Umweltfragen

Daniel Noboa hat dafür gestimmt, die Ölförderung im Yasuní-Nationalpark einzustellen. Allerdings waren seine Argumente rein wirtschaftlicher und nicht ökologischer Natur. Er widerlegte die Zahlen, mit denen die Ölgesellschaft und die aktuelle Regierung Lasso argumentierten, wonach der Staat pro Jahr 1,2 Milliarden Dollar verlieren würde, wenn die Ölförderung eingestellt werde.

Hintergründe zur Volksabstimmung über die Ölförderung im Yasuní-Nationalpark finden Sie in diesem Artikel und hier.

Noboa zog Kosten und Investitionen von Einnahmen ab und kam dabei auf eine ähnliche Summe wie die Umweltgruppen, nämlich 148 Millionen Dollar Einnahmen im Jahr, die dem Staat verlorengingen. Dies sei wirtschaftlich verkraftbar. Generell will Noboa aber sowohl die Ölförderung ausweiten als auch den massiven Abbau von Bodenschätzen vorantreiben.

Was kommt jetzt auf Ecuador zu?

Durch Noboas Sieg im Wahlkampf gewinnen vor allem die Exportoligarchien. Sein Regierungsprogramm zielt wirtschaftlich eher auf eine agrar- und exportorientierte Politik ab, im Gegensatz zum aktuellen Präsidenten Lasso, der sein Fundament im Finanzkapital hat. Zusammen mit seiner Vizepräsidentin Verónica Abad, wird Noboa Ecuador mit einem klaren unternehmerischen Kurs regieren. Sein Regierungserfolg wird aber maßgeblich davon abhängen, ob er es schafft, die Kriminalität durch das organisierte Verbrechen einzudämmen und den Ecuadorianer*innen das verloren gegangene Sicherheitsgefühl zurückzugeben. In Bezug auf soziale Bewegungen, soziale Rechte, die indigenen Völker und Umweltschutz muss klar sein: strukturelle Veränderungen, die langfristig mehr sozialökologische Gerechtigkeit bringen, stehen nicht im Fokus seiner Agenda.