Parallel zur Präsidentschaftswahl fand im August 2023 in Ecuador eine Volksabstimmung über extraktivistische Projekte in den Regionen Chocó Andino und Yasuní statt. Sie konnte zwei Dinge deutlich machen: Es gibt ökonomische Alternativen zum Extraktivismus – und für diese gibt es eine breite gesellschaftliche Unterstützung.
68 Prozent der Wähler*innen im Großraum Quito stimmten für den Erhalt der Biodiversität im Chocó Andino und gegen die Vergabe von neuen Bergbaukonzessionen. Zeitgleich sprachen sich landesweit 59 Prozent der Wählerschaft für einen Stopp der Ölförderung im Nationalpark Yasuní in der ecuadorianischen Amazonasregion aus.
Das Referendum über die Ölförderung im Yasuní-Nationalpark wurde seit über zehn Jahren von Aktivist*innen der Umweltorganisation Acción Ecológica und weiteren Kollektiven, insbesondere von jungen Umweltschützer*innen, vorangetrieben. Bis 2013 verfolgte der damalige Präsident Rafael Correa noch den Plan, das Öl nicht zu fördern, wenn diverse Länder dafür eine Entschädigung an Ecuador zahlen. Als Correa diesen Plan aufgab, gründete sich das Kollektiv Yasunídos als überparteiischer, unabhängiger und selbstorganisierter Zusammenschluss, mit dem Ziel, die Initiative aus der Zivilgesellschaft weiter voranzutreiben. Die Yasunídos wurden in ihrer Arbeit allerdings immer wieder behindert: so wurden zum Beispiel 2014 knapp 400.000 Unterschriften, die für das Referendum gegen die Ölförderung im Yasuní-Gebiet gesammelt wurden, nicht anerkannt. Außerdem wurde in Teilen die Ölförderung im umstrittenen Gebiet bereits begonnen – ohne auf das Referendum zu warten. Die Yasunídos protestierten vor dem Verfassungsgericht, das schließlich den Weg frei machte für eine landesweite Volksabstimmung mit der zentralen Frage: «Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das Rohöl (im Yasuní-Nationalpark, bekannt als Block 43) auf unbestimmte Zeit unter der Erde belässt?»
Eine großangelegte Kampagne informierte die mehr als fünf Millionen Ecuadorianer*innen über den Konflikt um das Erdöl um sie davon zu überzeugen, gegen die Ölförderung zu stimmen. Ein schwieriges Unterfangen, zumal die Ausbeutung von Rohstoffen historisch ein zentraler Bestandteil der regionalen Wirtschaft ist.
Keine Erdölförderung mehr im Yasuní
In seinem Buch «Buen Vivir. Das Gute Leben jenseits von Entwicklung und Wachstum» stellt der Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta fest, dass in Lateinamerika «die Abhängigkeit von der Metropole durch die Gewinnung und den Export von Rohstoffen bis zum heutigen Tag praktisch unverändert geblieben ist». Dies gilt in Ecuador insbesondere seit dem Beginn der wirtschaftlichen Ausbeutung des Amazonasgebiets Ende der 1960er Jahre.
Während die Einnahmen aus dem Erdölexport in die Staatskasse flossen, litten die Gemeinden in der Umgebung der Erdölfördergebiete unter den Auswirkungen der Umwelt- und Gesundheitsverschmutzung und konnten zugleich ihren Lebensstandard nicht in nennenswertem Maß verbessern. Obwohl nach Angaben der Yasunídos die Einnahmen aus der Ölförderung im Yasuní zwischen 2007 und 2013 die ursprünglichen Schätzungen übertrafen, hat das Land die Armut, in der Millionen Ecuadorianer*innen bis heute leben, nicht überwunden.
Carolina Loza León ist freie Journalistin. Sie berichtet für internationale Medien aus Ecuador und Kolumbien über das aktuelle Geschehen, internationale Politik und Menschenrechtsthemen.
Katy Machoa, Menschenrechtsverteidigerin und ehemalige Vorsitzende des Indigenenverbandes Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (Conaie), bezieht sich auf die Analyse von Acosta, wenn sie erklärt, warum das Öl des Yasuní-Nationalparks im Boden bleiben sollte: «Der Staatsaushalt profitiert von den Öleinnahmen, aber wir [indigene Gemeinschaften] haben immer nur die Nachteile.»
Alex Samaniego, Wissenschaftler und Aktivist von Scientist Rebellion Ecuador, betont: «Um aus der Rolle des bloßen Rohstofflieferanten herauszukommen, bedarf es erheblicher Anstrengungen».
Zu diesen Anstrengungen waren die letzten drei Regierungen nicht bereit. Auch der Noch-Präsident Guillermo Lasso steht für einen anderen Kurs. Die Minister seiner Regierung sowie die staatliche Ölgesellschaft Petroecuador waren die Wortführer der «Nein»-Kampagne, die gegen den Stopp der Ölförderung mobilisierte. Unter anderem mit Verweis auf die gefährdeten Einnahmen versuchte Petroecuador die Abstimmung vor dem Verfassungsgericht zu stoppen. Das Hauptargument für die Erdölförderung in Yasuní war stets ein wirtschaftliches: der erwartete Gewinn von 1,2 Milliarden Dollar jährlich.
Diese Zahl ist allerdings umstritten: Das Onlinemedium GK errechnete, dass nach Abzug aller Kosten aus Förderung, Vermarktung, Finanzierung und Logistik die tatsächlich verbleibende Nettorendite bei nur etwa 148 Millionen Dollar pro Jahr liegt.
Gerechtere Steuerpolitik statt Erdölförderung
Für Sofia Torres, Sprecherin von Yasunídos, ist es ein Irrglaube, dass Erdöl ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung sei. Das habe sich auch im Austausch mit indigenen Gemeinden im Vorfeld der Abstimmung gezeigt, als es um die negativen Folgen der Erdölförderung ging:
«Ich hatte die Gelegenheit, bei einem Informationsworkshop mit der Gemeinschaft der Kayambi dabei zu sein, bei dem hauptsächlich Kleinbäuer*innen teilnahmen - und all diese Menschen waren sich über die Folgen des Klimawandels für ihre tägliche Arbeit in der Landwirtschaft im Klaren. Es wird immer schwieriger, die Ernährungssouveränität oder überhaupt die Rahmenbedingungen für die Nahrungsmittelproduktion der Menschen zu erhalten, die vom Staat marginalisiert wurden.»
Das Kollektiv Yasunídos nennt im Rahmen seiner Kampagne zehn Alternativen zur Erdölförderung. Unter anderem könnten Biomedizin, Bioindustrie, Gasverarbeitung oder eine gerechtere Steuerpolitik die Einnahmen aus der Erdölförderung ersetzen. Auch gemeindebasierter Tourismus könnte dazu beitragen, betont Alex Samaniego: «Diese Alternativen sind der Schlüssel zu einer gerechteren Einkommensverteilung».
Kampf um das Reservat Chocó Andino
Etwa 40 Kilometer von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito entfernt liegt der Chocó Andino, ein Biosphärenreservat mit diversen Wald- und Naturschutzgebieten, in dem seltene Tierarten vorkommen, etwa der Andenbär. Allerdings ist der Chocó auch reich an Gold-, Kupfer- und Platinvorkommen. Sechs indigene Gemeinden (Nono, Calacalí, Nanegal, Nanegalito, Gualea und Pacto) leben dort. Bereits seit mehr als 15 Jahren kämpft ein Teil der lokalen Bevölkerung für den Erhalt der Natur und gegen die Ausweitung des Bergbaus vor ihrer Tür.
Obwohl das Gebiet von der UNESCO zum siebten Biosphärenreservat Ecuadors erklärt wurde, erteilte die Regierung bis vor kurzem für den Chocó Andino Bergbaukonzessionen. Zum Zeitpunkt des Referendums waren bereits elf Konzessionen für den Rohstoffabbau vergeben und weitere sechs befanden sich im Genehmigungsverfahren. Letztere müssen nun – entsprechend dem Ergebnis des Volksentscheides - ausgesetzt werden. Die Aktivistengruppe Quito sin minería («Quito ohne Bergbau»), die das Referendum initiiert hat, erklärt, dass «Bergbau in so sensiblen Gebieten wie dem Chocó Andino unumkehrbare Auswirkungen haben und die biologische Vielfalt und das Gebiet dauerhaft beeinträchtigen kann.»
Diese Abstimmung fand nur im Stadtbezirk von Quito statt. Der Schwerpunkt der Aktivist*innen war die Thematisierung der Auswirkungen des Metallbergbaus auf Quito. Sie rückten die Gefährdung des Waldes sowie die mögliche Wasserverschmutzung und Belastung von Wasserquellen, aus denen die ecuadorianische Hauptstadt versorgt wird, in den Mittelpunkt. Das gewonnene Referendum bedeutet nun, dass die Regierung keine neuen Lizenzen für Bergbauexplorationen erteilen kann. Allerdings gilt das nicht rückwirkend, so dass die bisher erteilten Konzessionen weiterhin gültig sind.
Was bedeuten die Abstimmungen für die Demokratie?
Die Referenden zeigen, dass politisches Handeln keine Partei braucht, und dass ein gemeinsames Ziel verschiedene Teile der Gesellschaft zusammenführen kann. Volksabstimmungen haben sich als eine demokratische Ressource erwiesen, bei der sich die ecuadorianische Zivilgesellschaft aktiv politisch beteiligt. Für Katy Machoa war die Initiative zur Yasuní-Volksbefragung eine große, von verschiedenen sozialen Sektoren getragene «Minga». Minga ist ein indigenes Wort für Gemeinschaftsarbeit, bei der verschiedene Akteure ihr Wissen und ihre Ressourcen einbringen, um auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Sofia Torres, Sprecherin der Yasunídos, sah eine «junge Kampagne, bei der feministische Kollektive auch aus weit entfernten Teilen des Landes zusammenkamen, um Informationen über die nationale Yasuní-Kampagne zu verbreiten.»
Den Wahlkämpfer*innen der Kampagne ist es gelungen, die Wähler*innen inmitten der Präsidentschaftswahlen und der Wahlen zur Nationalversammlung daran zu erinnern, dass es eine umweltpolitische Alternative zum Rohstoffabbau gibt. Gerade weil die verschärften Sicherheitsprobleme während der Wahlen «die Menschen dazu zu bringen schienen, eher auf die Bergbaueinnahmen für stärkere Investitionen in den Sicherheitsapparat zu setzen, war es umso erfreulicher, dass die Bevölkerung sich am Ende für das Leben und die Erhaltung der Natur entschieden hat», sagt Torres.
Samaniego hebt die internationalen Reaktionen auf die Abstimmungsergebnisse in Ecuador hervor: «In Europa wurde das sehr positiv aufgenommen.» In einem Artikel für Open Democracy erwähnt Samaniego, dass Aktivist*innen in Brasilien das Beispiel Ecuador als Vorbild für den gesellschaftlichen Dialog über wirtschaftliche Alternativen zum Extraktivismus anführen.
Torres, Machoa und Samaniego sind sich bewusst, dass das gewonnene Referendum nur der erste Schritt zum Stopp der extraktivistischen Projekte ist. Organisationen wie Acción Ecológica und Yasunídos müssen weiterhin die wirksame Umsetzung der Volksentscheide aus zivilgesellschaftlicher Perspektive überwachen.
Samaniego weist darauf hin, dass das erfolgreiche Referendum eine Debatte über die Energiewende und die Demokratie in Ecuador angestoßen hat. Er sagt aber auch: «Es wird uns nicht überraschen, wenn wir für die Umsetzung des Volksentscheides weiterkämpfen müssen». Das deutete sich bereits einige Tage nach dem Referendum an: Ecuadors Energieminister Fernando Santos Alvite erklärte, dass sich erst die Nachfolgeregierung um die Umsetzung des Referendums kümmern müsse, und Präsident Lasso bezeichnete das Referendum in einem Video gar als «nicht umsetzbar».
Für den Anwalt und Wissenschaftler Andrés Aguirre ist die Haltung der Regierung beunruhigend: «Rechtlich gesehen sollten das Gericht für Wahlanfechtungen und das Verfassungsgericht eine Erklärung abgeben und kontrollieren, was der Staat tut.» In der Tat heißt es in dem Verfassungsgerichtsurteil, das das Referendum zugelassen hatte: «Im Falle einer positiven Entscheidung der Wähler muss die schrittweise und geordnete Einstellung aller Aktivitäten im Zusammenhang mit der Erdölförderung innerhalb eines Zeitraums von höchstens einem Jahr ab der Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses umgesetzt werden.»
Auf die Bürger*innenbewegung, die die Abstimmung über die Erdölförderung erkämpft hat, wartet jetzt also eine neue Herausforderung: Es gilt, sicherzustellen, dass das Referendum vor dem Hintergrund der vorgezogenen Wahlen und trotz der schlechten Sicherheitslage in Ecuador umgesetzt wird.
Übersetzung: Fabian Grieger