Nachricht | Israel - Palästina / Jordanien - Krieg in Israel/Palästina «Ich fühle mich verloren…»

Unsere Mitarbeiterin Mae erzählt von dem täglichen Kampf ums Überleben in Gaza

Frau in Gaza
Symbolbild Foto: picture alliance / REUTERS | FINBARR O'REILLY

Es gibt keine Worte, um meine Gefühle oder die Situation in Gaza zu beschreiben. Es ist unfassbar, was hier passiert. Der Krieg dauert nun schon über 20 Tage. Ich lebe mit meiner Familie, meinen Eltern, Geschwistern, Neffen und Nichten in einem Haus. Es ist noch intakt. Wir haben ein Dach über dem Kopf.

Es gibt ständig Luftangriffe, Tag und Nacht. Wir schlafen kaum, aus Angst vor dem nächsten Angriff. Wenn wir etwas Ruhe haben, dann in den frühen Morgenstunden. Der ständige Schlafentzug ist unerträglich. Wir versuchen, uns so gut wie möglich zu schützen und zusammenzubleiben. Wir haben keinen Bunker, wie alle anderen in Gaza. Die Kinder gehen nicht zur Schule, das ist zu gefährlich. Sie verstehen nicht, was geschieht. Wir versuchen, ihnen das Leben so erträglich wie möglich zu machen. Aber ohne Wasser und Strom ist das schwierig. Die Generatoren zur Stromerzeugung funktionieren schon lange nicht mehr. Es gibt kein Benzin. Zum Glück können wir wenigstens unser Handy mit Solarenergie aufladen. So können wir mit unseren Freunden und Kollegen außerhalb von Gaza und auch in Deutschland telefonieren. Manchmal mag ich gar nicht mehr ans Telefon gehen. Meine Kolleg*innen in Ramallah und Deutschland melden sich regelmäßig. Ich spreche nicht gerne über Gefühle. Aber ich muss mich zusammenreißen und die Schockstarre überwinden, denn die Menschen außerhalb von Gaza sollen wissen, wie es uns geht. Aber um ehrlich zu sein, gibt es eigentlich keine Worte für den Schrecken und den Schmerz und das, was wir fühlen. Manchmal fühle ich mich wie in einem Albtraum und hoffe, dass ich aufwache.

Gaza wird zerstört. Wir werden zerstört.

Manchmal denke ich, dass Deutschland und die Welt uns vergessen haben. Ich weiß nicht, was ich sagen soll...

Die Tage sind ausgefüllt mit dem Versuch, Nachrichten zu hören und das Lebensnotwendige zu beschaffen. Aber es gibt nichts mehr. Im Moment leben wir von dem, was wir bis zum 8. Oktober organisieren konnten. Die Solidarität und Hilfe der Menschen untereinander ist sehr groß. Was wir haben, wird geteilt. Aber wir haben fast nichts mehr. Wenn keine Hilfe kommt, werden wir bald verhungern.

Alle Menschen haben Schwierigkeiten, lebensnotwendige Güter wie Wasser, Medikamente und Lebensmittel zu bekommen. Das Gesundheitssystem ist praktisch zusammengebrochen, täglich gibt es neue Tote und Verletzte. Den Rettungsdiensten gelingt es nicht, alle Menschen aus den Trümmern zu bergen. Viele Nachbarsfamilien und Freunde haben Opfer zu beklagen. Überall fehlen Medikamente, vor allem für chronisch Kranke wie Krebspatienten. Krankheiten breiten sich aus. Zu viele Menschen auf zu engem Raum. Wegen der Überbevölkerung und des Mangels an Wasser und sanitären Einrichtungen haben wir Angst vor Epidemien.

Ich habe zweimal versucht, Gaza zu verlassen. Es hieß, Ägypten würde das große Tor im Grenzzaun öffnen. Aber der Grenzübergang Rafah blieb geschlossen. Trotzdem hoffe ich, euch alle wiederzusehen.

Mae heißt in Wirklichkeit anders. Aus Sicherheitsgründen veröffentlichen wir nicht ihren Namen. Der Name ist der Redaktion bekannt. Sie ist eine Kollegin von uns. Der Text ist auf der Grundlage mehrerer Telefonate am 27. Oktober entstanden.