Nachricht | Migration / Flucht - Einbürgerung - Gesundheit und Pflege Unattraktiv für Alle

Unter den Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem leiden alle Fachkräfte gleichermaßen

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Hubertus Heil, Bundesminister fuer Arbeit und Soziales gemeinsam mit Robert Habeck, Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister im Gespraech mit Pflegekraeften aus dem Ausland bei ihrem Rundgang ueber die Station 120 in der 20. Etage der Charite in Berlin um sich ueber die Moeglichkeiten des neue Gesetz Fachkraefteeinwanderungsgesetz zu informieren, welche sich in der Praxis bieten
«Den im Ausland ausgebildeten Kolleg*innen fehlt das, was allen Krankenhausbeschäftigten fehlt: genügend Zeit und Personal, um gute Einarbeitung, gute Ausbildung und gute Arbeit zu ermöglichen.» Hubertus Heil und Robert Habeck im Gespräch mit Pflegekräften aus dem Ausland auf einer Station der Charité in Berlin über die Möglichkeiten des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Am 2. Oktober wurde Bundespräsident Steinmeier im Interview in den Tagesthemen von Moderatorin Karen Miosga gefragt, ob man nicht Deutschland für Migrant*innen unattraktiv machen müsste. In den Redaktionen deutscher Medien wurde in den letzten Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern offenbar beschlossen, Migration zur Gefahr zu erklären und Ablehnung und Panik herbei zu berichten.

Dabei wurde erst im Juni vom Bundestag ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen mit dem erklärten Ziel, Deutschland als Einwanderungsland attraktiver zu machen[1]. Doch von «Make it in Germany» war in der medialen Berichterstattung im Herbst nicht viel zu lesen.

Diese scheinbar schizophrenen Widersprüche lassen sich auflösen, wenn man der Logik folgt, potentielle Einwander*innen klar in nützlich oder gefährlich zu unterscheiden. So werden aktuell für die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten Obergrenzen diskutiert, während gleichzeitig handverlesene Fachkräfte, vor allem mit sogenannten «Mangelberufen», nach Deutschland gelockt werden sollen.

Karen Spannenkrebs ist Ärztin, Redakteurin der Zeitschrift Gesundheit braucht Politik und Co-Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärzt*innen. Mit der deutschen Plattform für Globale Gesundheit hat sie ein Positionspapier zur internationalen Anwerbung von Gesundheitsfachkräften veröffentlicht.

Zu diesen Berufen zählt nicht zuletzt auch die Pflege. Seit 2013 gibt es deshalb unter dem schön klingenden Namen Triple Win bilaterale Anwerbeprogramme zwischen giz, Bundesagentur für Arbeit und den Regierungen verschiedener Länder, die die Anwerbung von Pflegepersonal erleichtern sollen. Zu den Staaten, mit denen Deutschland solche bilateralen Abkommen abgeschlossen hat, zählen aktuell die Philippinen, Indien, Indonesien, Jordanien, Bosnien-Herzegowina, Vietnam und Tunesien.[2]. Ob bei Triple Win wirklich alle gewinnen, ist leider mehr als fraglich. Abgesehen davon läuft ohnehin nur ein kleiner Anteil der Anwerbungen über diese staatlichen Programme ab[3]. Zwischen 2013 und 2023 waren es lediglich 4295 Pflegekräfte und  zusätzlich 275 Auszubildende, die über das Triple Win Abkommen angeworben wurden. Vermutlich 75 Prozent der Pflegekräfte werden über einen unübersichtlichen und wenig regulierten Markt privater Agenturen angeworben. [4]

Die meisten internationalen Gesundheitsfachkräfte, die in Deutschland arbeiten, stammen aus Ost- und Südosteuropa. Die EU Freizügigkeit und die Westbalkanregelung machen es den Menschen leicht, dem Lohngefälle nach Deutschland zu folgen ­– sehr zum Leidwesen der Gesundheitsversorgung ihrer Ausbildungsländer. Während für Bosnien-Herzegowina vor allem der Verlust von Pflegekräften zum Problem wird, von denen 2022 beinahe so viele in Deutschland wie in Bosnien-Herzegowina arbeiteten[5], macht Rumänien auch die massenhafte Auswanderung von Ärzt*innen zu schaffen. Immerhin ca. zehn Prozent der rumänischen Ärzt*innen arbeiten in Deutschland[6].

Angeworben aber nicht willkommen

Leider fehlen systematische Untersuchungen darüber, wie viele der angeworbenen Gesundheitsfachkräfte langfristig in Deutschland bleiben und wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit und ihrem Leben sind. Zahllose Beispiele legen nahe, dass nicht wenige Deutschland wieder verlassen[7]. Einige kehren in ihre Herkunftsländer zurück, während sich andere nach Berufsperspektiven in weiteren Anwerbeländern umsehen. Hohe Kosten für Visa, Kopien, Sprachkurse und Flüge, das Leben in einem fremden Land und nicht zuletzt auch die Arbeitsrealität in deutschen Gesundheitseinrichtungen machen es den Gesundheitsarbeiter*innen nicht leicht. Bis zur Anerkennung ihres Diploms werden Pflegekräfte wie Hilfskräfte entlohnt, trotz meist akademischem Abschluss und obwohl sie in der Praxis oft die gleiche Arbeit wie ihre examinierten Kolleg*innen machen. Hier sparen sich Kliniken über Monate hinweg Lohnkosten.

Wirtschaftspsychologin Grace-Lugert-Jones, die interkulturelle Trainings für Pflegekräfte anbietet, hat nicht-repräsentative Studien unter philippinischen Pflegekräften durchgeführt ­– mit sehr ernüchternden Ergebnissen: Nur 63 Prozent fühlen sich in Deutschland willkommen, viele sind unzufrieden mit ihrer Arbeit , 64 Prozent gaben an, bereits Diskriminierung und Rassismus am Arbeitsplatz erlebt zu haben. Dabei ging es in den meisten Fällen nicht um Vorfälle mit Patient*innen, sondern  Kolleg*innen[8].

Rassismus ist ein ernst zu nehmendes Problem im Gesundheitswesen. In der Regel haben nicht-weiße und migrantische Patient*innen darunter zu leiden. Doch liegt ein großer Teil der Verantwortung auch bei den Krankenhausträgern, die Vorbehalte und Ablehnung gegenüber migrantischen Beschäftigten zumindest in Kauf nehmen, wenn sie sich der Verantwortung entziehen, für eine gelungene Einarbeitung und Integration in die Teams zu sorgen. Denn in der Praxis gestaltet sich die Zusammenarbeit mit im Ausland ausgebildeten Kolleg*innen alles andere als reibungslos. Unter dem Druck und der Hektik des Krankenhausalltags führen unterschiedliche Ausbildungen und Sprachschwierigkeiten zu kritischen Situationen, Gefährdung von Patient*innen etwa durch falsche Medikamentengabe und großem Frust, den oft die angeworbenen Kolleg*innen abbekommen. Mit der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit haben wir deshalb in einem Positionspapier unlängst verpflichtende Einarbeitungskonzepte, eine Bezahlung nach realem Einsatz und berufsbegleitende Sprachkurse gefordert.

In reichen Ländern gibt es keinen Mangel an Gesundheitsfachkräften, sondern einen Mangel an Gesundheitseinrichtungen, die die notwendigen und nachhaltigen Arbeitsbedingungen bieten.

Den im Ausland ausgebildeten Kolleg*innen fehlt das, was allen Krankenhausbeschäftigten fehlt: genügend Zeit und Personal, um gute Einarbeitung, gute Ausbildung und gute Arbeit zu ermöglichen. Hier liegt der Kern des Problems: Der Personalmangel und das weltweite Ringen um Gesundheitsfachkräfte sind eigentlich nur Symptome erodierender Gesundheitssysteme. Wie eine kanadische Autorin kürzlich in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift treffend zusammenfasste: «High income countries do not have a shortage of registered nurses, they have a shortage of healthcare institutions providing necessary and sustainable working conditions, leading to a loss of nurses.»

Bei allen komplexen Unterschieden zwischen den (europäischen) Gesundheitssystemen, droht aktuell vielen, von neoliberalem Umbau, Privatisierung und Finanzialisierung über Jahre ausgehöhlt, der Zusammenbruch. Auch die Probleme in der Praxis ähneln sich: Investitionsstau, hohe Arbeitsdichte und der Frust der Beschäftigten, in einem komplett dysfunktionalen System zu arbeiten. Viele Gesundheitsarbeiter*innen treibt das aus ihren Jobs – manche bleiben und kämpfen. Auch in Deutschland konnten wir in den letzten Jahren historische Streiks der Krankenhausbeschäftigten um einen Tarifvertrag Entlastung erleben, in denen Pflegekräfte die tragende Rolle spielten.

Nicht zuletzt dank diesen Kämpfen, aber auch durch die enorme Zuspitzung der Situation während der Covid-19 Pandemie, ist auch in der Politik angekommen, dass sich im Gesundheitssystem dringend etwas ändern muss. Die vom ehemaligen Gesundheitsminister Spahn eingeführte selbstkostendeckende Finanzierung der Pflege am Bett war tatsächlich ein Schritt in die richtige Richtung. Doch ohne weitere Schritte führte das Pflegebudget gleichzeitig zu einer Verschiebung des Kostendrucks. In vielen Häusern mussten die raren Pflegekräfte danach mehr patient*innenferne Tätigkeiten übernehmen, weil der Klinikträger einfach an anderen Berufsgruppen (wie Reinigung und Patient*innentransport) sparte.

Brechen mit dem System der Ökonomisierung

Das fatale Prinzip einer Krankenhausfinanzierung mittels Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups = DRGs), die Gewinne und Verluste ermöglicht, ist eigentlich leicht zu begreifen. Anreize zur Mengenausdehnung, zur Bevorzugung lukrativer Fälle und zum Sparzwang allen voran an Personalkosten, sind strukturell angelegt. Um Kosten zu sparen, wurde an Gesundheitsfachkräften gespart und viele Aufgaben schlechter bezahlten Berufsgruppen übertragen und outgesourced. In diesen nicht-medizinischen, oftmals sehr prekär bezahlten Berufen, als Servicekraft, Reinigungskraft, in der Küche oder dem Patient*innentransport halten Migrant*innen schon lange die deutschen Krankenhäuser am Laufen.

Leider sehen auch die aktuellen Reformvorschläge, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach im letzten Dezember noch als «Revolution» und «Entökonomisierung» angekündigt hatte, eine Fortführung des DRG Finanzierung vor und brechen nicht an der grundsätzlichen Logik[9].

Damit bestehen auch die Anreize zur Senkung der Lohnkosten und damit zur Spaltung der Beschäftigten in Fachkräfte und noch ungelernte Kräfte, in Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen weiter. Nicht nur die Steigerung der Arbeitsdichte, auch das Auseinanderbrechen der Teams durch das Auslagern von Aufgaben in Tochterfirmen, hat zur sinkenden Zufriedenheit mit der Arbeit beigetragen. Während früher die Reinigungskraft noch mit am Frühstückstisch der Pflege saß, ist heute weder Zeit für ein kurzes Frühstück, noch kennt man die Namen der wechselnden Beschäftigten der Reinigungsteams.

2022 wurde in der Studie «Ich pflege wieder, wenn...» nachgewiesen, dass genug ausgebildete Pflegekräfte bereit wären, in ihren Beruf zurückzukehren, wenn sich die Arbeitsbedingungen entsprechend verbessern würden[10].

Nützlichkeitsdiskurse spalten die Gesellschaft

Und auch weitere inländische Potentiale könnten ausgeschöpft werden. Durch frühzeitige Arbeitserlaubnis, schnelle Berufsanerkennungsverfahren und gezielte Ausbildungsprogramme könnten mehr bereits in Deutschland lebende Geflüchtete für die Arbeit in Gesundheitsberufen gewonnen werden. Bekämpfung von Armut, Schaffung von Wohnraum, Investitionen in die soziale Infrastruktur und Bildung ab dem Kindergartenalter könnte vielen jungen Menschen, nicht zuletzt migrantisierten Kindern und Jugendlichen, Chancen auf höhere Bildungsabschlüsse und Berufsausbildungen eröffnen, sodass sie später entscheiden könnten, als Pfleger oder Ärztin zu arbeiten.

Den größten Anteil an den in Deutschland beschäftigten Ärzt*innen mit ausländischer Staatsbürgerschaft machten 2021 Syrer*innen aus[11], die zumeist als Geflüchtete seit 2015 nach Deutschland kamen.

Es ist wichtig, für die Rechte und die Integration im Ausland ausgebildeter Fachkräfte im Krankenhaus zu kämpfen. Doch zugleich dürfen wir uns nicht auf die Nützlichkeitsdiskurse in der Migrationsdebatte einlassen, die die gezielte Anwerbung fleißiger Krankenpflegekräfte irgendwie zum Kompromiss verdreht, der die gleichzeitige menschenverachtende Migrationsabwehr rechtfertigt.

In der Realität deutscher Krankenhäuser arbeiten aufwendig angeworbene ausländische Fachkräfte an der Seite von geflüchteten Ärzt*innen, in Deutschland ausgebildeten Kolleg*innen (von denen nicht wenige als Kinder migriert sind) und vermeintlich unerwünschten migrantischen Hilfskräften. Sie alle leiden unter den Arbeitsbedingungen in ein und demselben Gesundheitssystem, das momentan eigentlich (abgesehen von Kapitalanlegern) unattraktiv für alle ist.


[1] «Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung», o. J.

[2] «Triple Win Pflegekräfte - Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)».

[3] Heino Güldemann, Wemos Report Germany (WEMOS, September 2022).

[4] Güldemann, Wemos Report Germany.

[5] «Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Möhring, Ali Al-Dailami, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.», 8. Juni 2022.

[6] Eigene Berechnungen, basierend auf «Ärztinnen Statistik zum 31.12.2021» und Pillars of health: Country-report-on-health-worker-migration-and-mobility_romania».

[7] Robert Pütz, Maria Kontos, und Minna-Kristiina Ruokonen-Engler, «Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland. Innenansichten zu Herausforderungen globalisierter Arbeitsmärkte», Study (Hans Böckler Stiftung, Februar 2019).

[8] Grace Lugert-Jose, «Philippinische Pflegekräfte in Deutschland», o. J.

[9] Krankenhaus statt Fabrik, «Bewertung der Vorschläge der Regierungskommission ‹Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung›» (Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, o. J.).

[10] Jennie Auffenberg, Denise Becka, und Michaela Evans, «Ich pflege wieder wenn ... - Potenzialanalyse zur Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung von Pflegefachkräften» (Arbeitnehmerkammer Bremen, April 2022).

[11] «Ärztinnen Statistik zum 31.12.2021», 2022.