Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Partizipation / Bürgerrechte - Nordafrika Ägypten: Orchestrierte Wahlscharade

Die Opposition hat Al-Sisi kaltgestellt, doch seine Regierungsbilanz ist desaströs

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Die Nationale Wahlbehörde verkündet am 18. Dezember das Ergebnis: 89,6 Prozent der abgegebenen Stimmen für Präsident Al-Sisi. Es drohen sechs weitere Jahre reaktionärer Status quo in Ägypten.

  Foto: picture alliance / Xinhua News Agency | Wang Dongzhen

Die Präsidentschaftswahlen in Ägypten Mitte Dezember 2023 waren ein «Nicht-Ereignis». Der Zweck dieser wiederkehrenden pseudodemokratischen Farce für das autoritär regierende Regime ist vornehmlich das Aufrechterhalten einer «rechtlichen Fassade», aber auch das Austesten des Mobilisierungspotentials der Opposition im Kontext des seit Jahren spürbar ansteigenden Unmuts im Land über die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage weiter Teile der ägyptischen Bevölkerung. Angesichts des anhaltenden Krieges in Gaza und der Massenvertreibungen hunderttausender palästinensischer Zivilist*innen in Richtung Nordsinai war das Timing der Wahlen für Ägyptens Regierende allerdings zusätzlich pikant. Die glühende Palästinasolidarität in der Gesellschaft galt es – aus Sicht der herrschenden Eliten – angesichts der paranoiden Furcht des Regimes vor jedweder Form von Protesten diesmal um jeden Preis einzudämmen und restriktiv zu managen.

Sofian Philip Naceur ist Projektmanager im Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet als freier Journalist.

Oppositionskandidaten und deren Unterstützer*innen wurden derweil schon seit Monaten von Sicherheitsbehörden, Justiz und Regimeanhänger*innen systematisch eingeschüchtert oder strafrechtlich verfolgt. Die de facto gleichgeschalteten und teils unmittelbar durch ägyptische Geheimdienste kontrollierten Medien im Land gaben praktisch nur einem der insgesamt vier zur Wahl zugelassenen Kandidaten für das höchste Staatsamt eine Bühne: dem seit 2013 mit eiserner Faust regierenden und 2014 erstmals formell zum Staatschef gewählten Amtsinhaber Abdel Fattah Al-Sisi.

Dieser gewann den Urnengang nach offiziellen Angaben mit 89,6% aller abgegebenen gültigen Stimmen und tritt nun seine dritte Amtszeit an. Für seine drei von Beginn an aussichtslosen Gegenkandidaten – Hazem Omar von der regimenahen «Republikanischen Volkspartei», Abdel-Samad Yamama von der staatstreuen liberalen «Al-Wafd-Partei» und Farin Zahran von der oppositionellen «Sozialdemokratischen Partei Ägyptens» – war der Wahlgang vor allem eine Chance auf Profilierung in den eigenen Reihen.

Während sich die eng mit dem Regime verbundenen Omar und Yamama bereitwillig als Feigenblätter einer vom Staats- und Sicherheitsapparat orchestrierten Wahlscharade einspannen ließen, galt Zahran als einziger echter Kandidat der parteipolitischen Opposition im Land – jedoch als einer, der Al-Sisi keinesfalls ernsthaft gefährlich werden konnte. Zu zahm agiert Zahran bereits seit Jahren, zu pragmatisch seine Partei.

Der einzige Kandidat, der von Al-Sisi und seinem Regime offensichtlich als ernstzunehmende Kokurrenz betrachtet wurde, hatte nach monatelangen Einschüchterungen schon Wochen vor der Abstimmung das Handtuch geworfen. Der ehemalige Parlamentarier und Ex-Chef der links-nasseristischen Karama-Partei, Ahmed Tantawi, hatte sich in den letzten Jahren einen Namen als schlagfertiger Oppositionspolitiker gemacht und schon im April seine Kandidatur angekündigt. Nachdem der charismatische Ex-Abgeordnete bereits im Vorjahr zur Zielscheibe staatlicher Repressalien und Einschüchterungen geworden und zeitweilig nach Beirut geflohen war, nahmen ihn Repressionsapparat und Justiz bereits im Frühjahr abermals aufs Korn und ließen ihn und seine Anhänger*innen seither systematisch einschüchtern, an der Einreichung von für Kandidaturen notwendigen Dokumenten hindern oder gar strafrechtlich verfolgen. Erst im Oktober intensivierten sie ihr Vorgehen gegen Tantawi und sein Wahlkampfteam derart massiv, dass ihnen nichts anderes übrig blieb als die Kampagne vollständig einzustampfen.

Er selbst muss sich inzwischen wegen fadenscheiniger Vorwürfe vor Gericht verantworten, während dutzende seiner Anhänger*innen und Mitglieder seines Wahlkampfteams nach einer regelrechten und wenig diplomatisch vorangetriebenen Verhaftungswelle im Oktober hinter Gittern sitzen. Karama und acht andere Oppositionsparteien aus dem linksliberalen Lager riefen auch deshalb zum Boykott der Wahl auf.

Die Wirtschaftslage ist katastrophal, soziale Spannungen nehmen zu.

Auch angesichts des bei Wahlgängen in Ägypten fast schon traditionellen Tauschgeschäfts Bares oder Lebensmittelpakete gegen Stimmangabe und des staatlich organisierten Transports potentieller Wähler*innen zu den Wahllokalen, um eine möglichst sichtbare Wahlbeteiligung und damit Unterstützung im Land für das Prozedere und Präsident Al-Sisi selbst zu suggerieren, spricht die staatlich kontrollierte Wahlkommission von einer offiziellen landesweiten Beteiligung von fulminanten 66,8%.

Ein solcher Wert vermittelt in der Tat einen gewissen Rückhalt für Al-Sisi im Land. Glaubwürdig sind die Angaben jedoch keineswegs, der Ex-General Al-Sisi steht unter Druck und kann sich keinen Makel leisten. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, soziale Spannungen nehmen angesichts hoher Inflation, anhaltend heftiger Arbeitslosigkeit und schwindender Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten schon seit Jahren spürbar zu. Auch politisch setzt Al-Sisis Regime – eine Mischung aus paranoidem Polizeistaat und autoritärer Militärdiktatur – weiterhin auf kompromisslose Härte. Während zehntausende politische Häftlinge weiterhin ohne Aussicht auf Entlassung in den Gefängnissen schmoren, wird jedwede Form der Kritik an Staat, Militär und Al-Sisi selbst immer noch regelmäßig mit Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung bedacht.

Al-Sisis Wiedereinsetzung als Staatspräsident bedeutet dabei zunächst einmal die vorläufige Konsolidierung und Stabilisierung eines für unzählige im Land lebende Menschen desaströsen Status quo. Sollten der Gaza-Krieg, die katastrophale soziale Lage oder ein schon seit Jahren beschworener Kollaps der Immobilienbranche nicht doch früher oder später die Menschen gegen das Regime auf die Straße treiben, stehen dem Land nun sechs weitere lange Jahre mit Al-Sisi an der Staatsspitze bevor. Sowohl die systematische Polizeigewalt als auch der neoliberale, vom Militär gelenkte klientelistische Staatskapitalismus und eine derzeit abermals massiv ausgebaute Grenzabschottungspolitik des Regimes dürften daher auch in Zukunft die Tagespolitik in Ägypten bestimmen.