Warschau, 9. Januar 2024
Verehrter Herr Premierminister,
im Namen der nachstehend unterzeichneten Sozialeinrichtungen und Personen, die im Namen von Ausländerinnen und Ausländern in Polen handeln, möchten wir Sie auf die groben Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, die wir seit Beginn der humanitären Krise an der polnisch-belarussischen Grenze beobachten. Personen, die die polnische Grenze nicht regulär überschreiten, werden der Möglichkeit beraubt, internationalen Schutz zu beantragen, und die polnischen Behörden zwingen sie, durch so genannte Pushbacks zur Rückkehr auf die belarussische Seite. In vielen Fällen wird diese Praxis von Gewalt und Aggression begleitet.
Die Strafe, zu der die Migranten wegen nicht regulären Grenzübertritten verurteilt werden, indem sie zwangsweise von Polen nach Belarus zurückgeschickt werden, ist außergewöhnlich grausam. Auf der belarussischen Seite erwartet sie Folter, Gewalt, unmenschliche Behandlung und unrechtmäßige Inhaftierung durch Sistema [belarussisches Grenzverteidigungssystem]. Und es gibt kein Entkommen für sie. Versuche, sich nach Minsk zurückzuziehen, werden bestraft – meist mit brutaler Gewalt.
Die Europäer wissen, wozu es führt, wenn wir es zulassen, dass Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe ihrer Würde beraubt und ihnen die Grundrechte entzogen werden. Kein Mensch darf wie ein "Geschoss" behandelt werden: Wenn wir aufhören, den Menschen wahrzunehmen und nur noch die Bedrohung sehen, werden Menschenrechtsverletzungen billigend in Kauf genommen. Die Pushbacks müssen sofort eingestellt werden. Wenn das zeitlich hinausgezögert wird, dulden die polnischen Behörden damit die Menschenrechtsverletzungen. Die uns versprochene Rechtmäßigkeit haben wir uns anders vorgestellt.
Infolge der Pushback-Politik haben seit Beginn der Krise auf beiden Seiten der polnisch-belarussischen Grenze mindestens 55 Menschen ihr Leben verloren.
Angesichts der flüchtlingsfeindlichen und menschenverachtenden Haltung der Vorgängerregierung blieb uns bisher nur die Möglichkeit, Hilfsmaßnahmen an der Grenze durchzuführen, das heißt die Menschen auf ihrem Weg mit Wasser, einer Mahlzeit, warmer Kleidung, medizinischer und rechtlicher Hilfe zu versorgen, was oft lebensrettend war. Mit Ihrem Amtsantritt als Ministerpräsident sehen wir nun eine Chance, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um den Abschiebungen an der polnisch-belarussischen Grenze sofort ein Ende zu setzen.
Nationale und internationale Institutionen, die für die Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen zuständig sind, sowie Sozialeinrichtungen, die seit 2021 an der polnisch-belarussischen Grenze juristischen und humanitären Beistand leisten, weisen auf die Notwendigkeit hin, Bestimmungen aus der polnischen Rechtsordnung zu streichen, die den non-refoulement-Grundsatz gegenüber Personen verletzen, die die polnische Grenze überschreiten. Pushbacks gegenüber Personen, die die polnisch-belarussische Grenze überschreiten, erfolgen im polnischen Rechtssystem auf Grundlage der gesetzlichen Regelung der Dienstverhältnisse (in Form von Befehlen und amtlichen Anweisungen), der Anwendung der Verordnung des Ministers für Inneres und Verwaltung vom 13. März 2020 über die vorübergehende Aussetzung oder Einschränkung des Grenzverkehrs an bestimmten Grenzübergängen und der Bestimmungen des in 2021 geänderten Ausländergesetzes.
Die Rechtsprechung der nationalen Gerichte, die Empfehlungen der Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, und des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte, Felipe González Morales, sowie die zahlreichen Interventionen des Bürgerbeauftragten zeigen, dass die oben genannten Regelungen im Widerspruch zum nationalen, EU- und internationalen Recht stehen. Sie fordern Polen auf, das Gesetz zu überarbeiten und der Anwendung von Pushbacks ein Ende zu setzen.
Die Abschiebungen verstoßen gegen das völkerrechtliche Verbot der Ausweisung von Ausländern in einen Staat, in dem ihr Leben oder ihre Gesundheit gefährdet sind (non-refoulement-Grundsatz), und damit gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie gegen das Verbot von Kollektivausweisungen von Ausländern. Sie verletzen auch die verfassungsmäßige Garantie auf Zugang zum Verfahren, den internationalen Schutz in Polen und die Verfahrensgarantien für Verwaltungsverfahren zu beantragen.
Für Pushbacks gibt es keine humanitäre, moralische oder rechtliche Rechtfertigung. Es ist einfach, sie wirksam und dauerhaft aus der polnischen Rechtsordnung und aus der Praxis der uniformierten Dienste zu entfernen. Dazu sind drei Maßnahmen erforderlich:
- Änderung der Dienstpraxis der Grenzschutzbeamten durch schriftliche Anweisungen des Ministers für Inneres und Verwaltung an den Oberbefehlshaber des Grenzschutzes und Kontrolle ihrer Umsetzung durch die unterstellten Kommandanten der Grenzschutzposten;
- Aufhebung der Verordnung des Ministers für Inneres und Verwaltung vom 13. März 2020 über die vorübergehende Aussetzung oder Einschränkung des Grenzverkehrs an bestimmten Grenzübergängen (in der Fassung vom 20. August 2021);
- Änderung des Ausländergesetzes durch Aufhebung der Artikel 303 Absatz 1 Nummer 9a und 303b des Gesetzes.
Wir stehen Ihnen weiterhin vollumfänglich zur Verfügung und freuen uns auf den Dialog und die Zusammenarbeit auf der Suche nach besten Lösungen bei den schwierigen Migrations- und Flüchtlingsfragen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Unterstützer*innen