Die Schlangen vor der französischen Botschaft in Berlin waren am Sonntag lang. An die zwei Stunden mussten Wahlberechtigte für den ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen zur Stimmabgabe im wechselhaften Aprilwetter warten. «Unglaublicher Andrang, Zweifel und Befürchtungen stehen allen ins Gesicht geschrieben. Es herrscht große (An-)Spannung.», schreibt mir meine Kollegin Franziska Albrecht von vor Ort.
Anspannung und Besorgnis sind und waren rund um diese Wahl berechtigt. Das Ergebnis gleicht dem wechselhaften Aprilwetter. Fast fühlt es sich an, als blinzele die Sonne nur ob der Tatsache durch dichte Wolken, dass der neoliberale Kandidat Macron den Sieg der rechtsextremen Marine Le Pen wahrscheinlich gerade noch verhindern konnte.
Denn natürlich ist es ein kleiner Moment der Erleichterung, dass wahrscheinlich Macron und nicht Le Pen in den Élysée-Palast einziehen wird. Wahre Freude kann allerdings nicht recht aufkommen.
Erstens ist Macron alles andere als ein Grund zum Feiern. Das nicht nur, weil er ein knallharter Wirtschaftsliberaler mit unklarer Position zu fast allem ist. Sein Beitrag zur Lösung der zahlreichen sozialen Probleme in Frankreich wird gering sein.
Zweitens sind im Juni französische Parlamentswahlen und es ist völlig unklar, wie ein potentiell unabhängiger Präsident Macron dann mit einem Parlament, in dem er keine durch eine Partei gesicherte Mehrheit oder auch nur Gruppierung hinter sich hat, regieren wird. Dem Krisen-gebeutelten Europa wird ein einfaches «Weiter so» wie das von Macron auch nicht viel nützen.
Drittens ist Le Pens Wahlergebnis hoch und damit werden sich ihr und der Einfluss ihrer Partei in Frankreich weiter festigen, auch wenn sie Macron am 7. Mai unterliegt.
Viertens kann sich niemand Macrons endgültigem Sieg gewiss sein. Viele Linke werden unter Umständen «blanc», d.h. weiß und damit offiziell ungültig wählen. Denn für sie ist es in etwa so, als müssten wir deutschen Linken uns zwischen FDP-Lindner und AFD-Gauland entscheiden. Damit zeigt sich abermals eine Tragödie die tief im Herzen der 5. Republik verankert ist. Denn so gut in der Theorie der Ansatz sein mag, dass der Präsident oder die Präsidentin von der Bevölkerung direkt gewählt wird, so sehr zeigt sich in der Praxis, dass in der Stichwahl die meisten Wählenden eine Entscheidung gegen einen bestimmten Ausgang der Wahl treffen müssen und nicht für eine gewünschte Politik.
Zu guter Letzt ist unklar, wohin die Wählerinnen und Wähler von dem konservativen Fillon und dem linken Mélenchon bei der Stichwahl wandern werden. Zwar hat Fillon zur Unterstützung von Macron aufgerufen, aber da Fillon ein besonders konservativer Kandidat der Konservativen war, werden sich unter Umständen viele seiner Wählerinnen und Wähler schwer tun, den als links-liberal geltenden Macron zu wählen. Das Mélenchon bisher keine Empfehlung zur Wahl abgegeben hat, ist nur zu gut zu verstehen, da ihn dies langfristig politisch schädigen würde. Allerdings hat er wahrscheinlich mit seinem guten Ergebnis auch Wählerpotential eingefangen, das unter Umständen eher für Le Pen als für Macron stimmen wird.
Séparés on est sûr de perdre. Ensemble, on peut gagner. Union #Hamon2017 #Melenchon. pic.twitter.com/QAnNfWxNDP
— Jacques Boutault (@JacquesBoutault) 25. März 2017
Die Wahl und der zu guter Letzt doch, vor allem durch eine überraschende Aufholjagd Jean-Luc Mélenchons spannend gewordene Wahlkampf haben jedoch auch einige bereits absehbare tektonische Verschiebungen manifestiert, die Deutschland und Europa weiter beschäftigen werden.
Dies ist zum einen das Ende der Herrschaft der beiden großen Volksparteien. Zumindest die Parti Socialiste (PS) wird sich nur sehr schwer überhaupt wieder erholen können. Hier ergibt sich eine eventuell positive Chance für die sich in letzter Minute doch noch notgedrungen hinter Mélenchon geeinten Linken.
Schafft es die Linke, sich ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten geeint weiter zu entwickeln und dabei den Zerfall der PS geschickt zu nutzen, besteht die Chance, dass sich damit ein echtes Gegengewicht zum Neoliberalismus à la Macron und zum Rechtsradikalismus à la Le Pen entwickelt.
Eine weitere Chance besteht in der Weiterentwicklung des französischen genuinen Ansatzes zu Europa. Dieser ist eher sozial und keynesianisch orientiert als neoliberal. Mélenchon hat geschickt und gut agiert, in dem er seine Europakritik und seine Forderung nach sowohl einer Verfassungsänderung in Frankreich aber auch der Schaffung neuer rechtlicher Grundlagen zur Demokratisierung der EU nicht mit einer xenophoben oder zumindest von Konkurrenz um soziale Teilhabe ausgehenden Linie verbunden hat.
Viele Französinnen und Franzosen sind pro-europäisch, lehnen aber die Entwicklung der EU schon länger und auch klarer ab, als es in Deutschland der Fall ist. Dieses Potential für ein soziales Europa zu nutzen, sollte ein Ergebnis des guten Abschneidens der Linken sein.
Das Aprilwetter wird sich bis in den Juni ziehen. Selbst bei einem Sieg Macrons in der Stichwahl am 7. Mai gegen Le Pen, bleibt die Wetterlage unbeständig.
Am 10. Juni geht es weiter mit den französischen Parlamentswahlen. Sollte es Mélenchon bis dahin schaffen, aus seinem bisher personenbezogenen Wahlkampf sich eine breite linke Basis zu schaffen, die seine Partei La France insoumise (Das aufsässige Frankreich) unterstützt, könnte die Linke als eigenständige starke Kraft ins Parlament einziehen. Sie könnten Macron und die starke Rechte wirkmächtig angreifen und kleine Schritte hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit parlamentarisch erkämpfen. Ein linkes Hoch ist am Horizont. Der Wetterumschwung noch fraglich.