Publikation Geschlechterverhältnisse - Europa - Westeuropa - Osteuropa - Südosteuropa - Europa solidarisch - Globale Solidarität - Das ganze Leben Die Krise hat ein Geschlecht

Die Ergebnisse der Studien zu den Auswirkungen der Kürzungspolitik auf die Lebenssituation von Frauen in west- und osteuropäischen Ländern sind bedrückend.

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Alex Wischnewski,

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Zehn Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise, die rasch zu einer Welt-Wirtschaftskrise anwuchs, sind wir heute überall in Europa mit einer Situation konfrontiert, die sich vor allem anderen als Care-Krise beschreiben lässt. Denn die Austeritätspolitik, die in der EU seither als Allheilmittel eingesetzt wurde, setzt ganz besonders an jenen Infrastrukturen an, die für die Sorge für sich und andere notwendig ist: Im Gesundheitsbereich, in der Pflege, bei Bildung und Erziehung. Das betrifft Frauen gleich doppelt oder sogar dreifach. Zum einen sind sie in diesen Feldern überwiegend tätig, zum anderen fangen sie die Folgen des sozialstaatlichen Rückzugs in ihren Familien auf. In einigen Ländern geschah dies zudem gleichzeitig mit einer verstärkten Besinnung auf traditionelle Familienmodelle und die weitergehende Einschränkung von Abtreibungsrechten.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem frauenpolitischen Bereich der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Studien zu den Auswirkungen der Kürzungspolitik auf die Lebenssituation von Frauen in west- und osteuropäischen Ländern herausgegeben. Die Ergebnisse sind bedrückend. Neben der Ähnlichkeit der fatalen Entwicklungen in vielen Ländern zeigen sie aber auch, dass die schwierige Situation von Frauen meist Folge politischer Entscheidungen ist. Entscheidungen, denen entsprechend durch anderes politisches Handeln begegnet werden kann, muss und teils auch schon wird.

Das Krisenmanagement der verschiedenen nationalen Regierungen unterschied sich hauptsächlich in der Drastik. Abhängig zum einen von der Wucht, mit der die Wirtschaftskrise jeweils eingeschlagen war. Zum anderen jedoch ebenso von bereits vorangegangenen Sparmaßnahmen. Während Irland, Spanien und Griechenland unter dem Regime der Troika (ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium aus IWF, EZB und EU-Kommission) mit erheblichen Einschnitten auf den Wirtschaftseinbruch reagierten, setzten in den postsozialistischen Ländern vereinzelte Maßnahmen die bereits in der Transformationsphase der 1990er Jahre begonnene «versteckten Austeritätspolitik» (Polen: 11) schlicht fort. Auch in Deutschland war es der langfristige Umbau des Sozialstaates, der das Land ohne größere Turbulenzen durch die Krise brachte. Als Hegemon in Europa nahm Deutschland zudem eine bedeutende Rolle darin ein, das Rezept auf andere Länder zu übertragen und etwa mit dem Fiskalpakt festzuschreiben, sodass heute eine «permanente Austerität» (Irland: 12) in ganz Europa herrscht.

Ein zentraler Bestandteil sind dabei überall Kürzungen im weiblich dominierten öffentlichen Sektor – in der Verwaltung, im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in der Pflege. So arbeiteten beim Ausbruch der Krise etwa 40 Prozent aller griechischen Frauen im öffentlichen Bereich. In Irland stellten sie im Gesundheitswesen 80 Prozent und in der Bildung 85 Prozent der Beschäftigten. In der Ukraine waren 76 Prozent aller Beamt*innen weiblich. Sparmaßnahmen wie Kündigungen oder die Intensivierung ihrer Arbeit durch Einstellungsstopps gepaart mit Lohnverlust und der gleichzeitigen Erhöhung der Stundenanzahl trafen deshalb insbesondere Frauen. Investitionen in öffentliche Infrastrukturen wurden eingestellt, Finanzierungen zurückgezogen, viele Einrichtungen, speziell in der Kinderbetreuung und bei Krankenhäusern, privatisiert oder geschlossen. Ein Prozess der in Deutschland schon Anfang der 2000er eingeleitet worden war. Auch hiervon waren insbesondere Frauen betroffen, da sie nicht nur die bezahlten Sorgeberufe füllten, sondern dann auch zusätzlich die ausfallenden staatlichen Angebote privat in den Familien auffangen mussten.

Gleichzeitig wurden in vielen Ländern Sozialleistungen für Familien gekürzt. In Irland wurde das Kindergeld um bis zu ein Drittel reduziert, während gleichzeitig die Kosten für Kinderbetreuung die zweithöchsten innerhalb der OECD blieben, ebenso in Litauen und der Ukraine. Spanische Mütter verloren den Anspruch auf den einmalig bei Geburt ausgezahlten Baby-Check von immerhin 25.000 Euro. Besonders hart getroffen von diesen Kürzungen waren allerorts Alleinerziehende, die keine soziale Absicherung der unbezahlten Sorgearbeit durch eine zweite Person erhalten. In der Ukraine waren sie sogar spezifischen Kürzungen ausgesetzt. Durch die Einführung einer sehr engen Verdienstobergrenze verloren ein Drittel aller Ein-Eltern-Familien einen bis dahin bestehenden Anspruch auf Unterstützung. Die katastrophalen Folgen lassen sich in Irland beispielhaft ablesen: Heute sind dort nicht nur 30 Prozent der Sozialwohnungsbezieherinnen sowie der Mietzuschlagsempfängerinnen Alleinerziehende, sondern sie sind zudem überproportional von Obdachlosigkeit betroffen. Eine neue, besorgniserregende Entwicklung.

Frauen – zurück an den Herd

Auf der anderen Seite wurden in einigen Ländern Familienleistungen im Sinne der speziellen Förderung traditioneller Familienmodelle (Vater, Mutter und Kinder) sogar ausgebaut. Besonders in Polen – aber auch Kroatien – folgte dies einer Jahrzehnte alten Familien-Mainstreaming-Ideologie. Die Kommodifizierung von Sorgearbeit geht einher mit der Umleitung des freien Kapitals an Familien, die nun die Institutionen ersetzen, die Sorgearbeit ehemals öffentlich angeboten hatten. Auf diese Weise erhöhte die polnische Regierung ein Mutterschaftsgeld und führte eine zusätzliche Monatszahlung für jedes zweite und folgende Kind ein, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Auch in Kroatien wurde in den letzten Jahren das Elterngeld beträchtlich erhöht, während die öffentlichen Strukturen etwa auch für ältere Menschen den Kürzungen zum Opfer fielen. Diese pronatalistische Politik im Sinne der Wirtschaftsentwicklung entspricht ohne öffentliche Angebote einer Individualisierung von Sorgearbeit, wie sie auch in den anderen europäischen Ländern zu beobachten ist.

Die Rückverlagerung von Aufgaben in die Familie wird in einigen der Länder von konservativer und religiöser Seite mit einem öffentlichen Diskurs über traditionelle Werte ideologisch umrahmt. In Kroatien wurde zeitgleich mit sozialstaatlichen Kürzungen ein Referendum abgehalten, in dessen Ergebnis die Ehe ausschließlich als Verbindung von Mann und Frau in der Verfassung festgeschrieben wurde. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass gerade in einem solchen gesellschaftlichen Klima in verschiedenen Ländern Angriffe auf Abtreibungsrechte vorgenommen werden. So etwa 2014 in Spanien oder 2016 in Polen. Wobei aber beide durch starke feministische Mobilisierungen verhindert werden konnten.

«Arbeite wie ein Mann, sorge wie eine Frau»

Die Care-Krise trifft Frauen also nicht nur in der bezahlten und unbezahlten Sorgearbeit, sondern – über Umwege – auch in ihrer körperlichen Souveränität und wirkt sich ebenso auf ihre Erwerbsbeteiligung insgesamt und damit auch auf ihre eigene Altersabsicherung aus. Wichtige Bestandteile der Austeritätspolitik waren nämlich gleichfalls eingreifende Arbeitsmarktreformen, deren Hauptcharakteristika Flexibilisierungen und Liberalisierungen im Sinne der Arbeitgeber waren. Überall in Europa nahmen seither befristete Stellen und atypische Beschäftigungsverhältnisse zu. In Kroatien erschwerte dies insbesondere Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Heute ist die Sorge um Kinder, Alte, Menschen mit Behinderung und die Familienverantwortung insgesamt statistisch gesehen das größte Hindernis für die Teilhabe von Frauen auf dem kroatischen Arbeitsmarkt. In Spanien und Deutschland schlägt sich das etwa in einem rund achtzigprozentigen Anteil von Frauen an Teilzeitstellen nieder, ohne sie jedoch gänzlich vom Arbeitsmarkt zu verbannen. Mary P. Murphy und Pauline Cullen, die Autorinnen der irischen Studie, fassen die Aufforderung an Frauen kurz zusammen: «Arbeite wie ein Mann, sorge wie eine Frau» (Irland: 19).

Da Frauen weltweit durchschnittlich einen geringeren Bruttostundenlohn erhalten als Männer – ausgedrückt im sogenannten Gender Pay Gap – führt dies dennoch zu einer zunehmenden Prekarisierung über den Lebensverlauf hinweg. Pensionen sind weiterhin zum allergrößten Teil an die Erwerbsbiografie gebunden, sodass schon heute die zunehmende Altersarmut von Frauen alarmierend sein sollte. Die volle Auswirkung der Austeritätspolitiken auf die Höhe der Pensionszahlungen an Frauen wird jedoch erst in der Zukunft wirklich sichtbar werden.

Widerstand organisieren

Während die Wirtschaftskrise selbst zunächst insbesondere Branchen mit männlich Beschäftigten traf (Autoindustrie, Baugewerbe etc.), ging ihre politische Bearbeitung in Form der Austeritätspolitik eindeutig auf Kosten von Frauen. Doch vielerorts geben sie sich mit der Rolle des Opfers nicht zufrieden. In Deutschland streiken sie für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal in der Pflege oder gehen auf die Straße für bessere Tarife in den Sozial- und Erziehungsberufen, begleitet von feministischen Aktivistinnen. In Griechenland traten Frauen als besonders entschlossene Akteurinnen in den Anti-Austeritätsbewegungen auf und in manchen Fällen führte dies sogar zu einem weiterführenden emanzipatorischen Prozess in ihren Gemeinden. Auch in Spanien ist es nicht zufällig die feministische Bewegung, die heute noch von den einmal starken Sozialprotesten namens 15M übriggeblieben ist und ständig stärker wird. Auch in Kroatien werden Mobilisierungen stärker, die den Zusammenhang von Geschlechterverhältnissen und sozialer Frage explizit machen.

In anderen Ländern fehlt bisher eine Verbindung von Feminismus und Sozialprotesten. So sind in Ländern wie der Ukraine, in der eine fragmentierte Linke einem starken rechten Diskurs gegenübersteht, linke Themen im dominanten Modell eines Mittelklassen-Feminismus komplett abwesend. Aber auch in Irland wurde die starke und schließlich erfolgreiche Kampagne für die Entkriminalisierung von Abtreibungen kaum mit anderen sozialen Kämpfen verbunden. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass Kürzungen von bis zu 40 Prozent der staatlichen Förderung für einige Frauengruppen und gerade für links-feministische Mobilisierungen eine enorme Herausforderung darstellten.

Auch auf parlamentarischer Ebene wurden frauenpolitische Strukturen geschwächt. So wurden etwa in Irland Ausschüsse, die zuvor speziell zu Fragen von Frauenrechten gearbeitet hatten, unter ein verschwommenes Prinzip von «Gleichstellung» gestellt, sodass es heute keinen Ausschuss mehr mit einem spezifischen Mandat für die Gleichstellung von Frauen hat. In Spanien wurde das Ministerium für Gleichstellung sogar gleich gänzlich abgeschafft, einhergehend mit Budgetkürzungen für spezifische Programme. In Deutschland gibt der Staat weniger Geld für Frauenhäuser. Neue Vorstöße, Ideen und Rückeroberungen werden damit umso nötiger.

Das Leben zurück ins Zentrum bringen

Was aber könnte eine feministische Alternative in der Care-Krise sein? Campillo Poza schlägt dafür eine Abwendung von der Konzentration auf Erwerbsbeteiligung vor, die nicht mit Sorgetätigkeiten und damit einem guten Leben in Gänze vereinbar sei. Dazu gehöre etwa die Trennung der sozialen Absicherung von der Lohnarbeit, eine radikale Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 20-25 Stunden, Investitionen in den Care-Sektor und ein Bildungssystem, in dem das Füreinander-Sorge-Tragen essentieller Bestandteil ist. Kurzum: Es geht also um nicht weniger, als die Absicherung des Lebens ins Zentrum zu stellen und auch den Bereich der Warenproduktion dem unterzuordnen. Leider berichten die unterschiedlichen Studien auch von einer teils schwierigen Kommunikation von feministischen Organisierungen mit linken politischen Parteien und ihrer mangelnden Aufnahme feministischer Anliegen, selbst auf Versuche der weiblichen Mitgliedschaft hin.

So schließt Aliki Kosyfologou die griechische Studie: «Die Frage nach der Schaffung einer links-feministischen Alternative zur Austerität ist an eine radikale Veränderung der Form und der inneren Struktur der linken Parteien und politischen Gruppen gebunden. Die Idee der Feminisierung der Politik kann einige Leitlinien für eine ausgewogene Vertretung liefern, nicht nur durch technische Maßnahmen wie Quoten, sondern auch durch die Stärkung einer feministischen politischen Kultur, die Annahme eines umfassenderen partizipativen Modells der Entscheidungsfindung und politischen Praxis und die Förderung einer Vielfalt, die jedoch den Zusammenhalt der Menschen nicht gefährdet.» (Griechenland: 42)

Das gilt für die nationalen Politiken, aber nicht nur angesichts der nahenden Wahlen auch für die europäische Ebene.

 
Alex Wischnewski ist seit 2014 im feministischen Netzwerk «Care Revolution» aktiv, das sich mit Pflege, Gesundheit, Hausarbeit und Erziehung beschäftigt. Sie ist Mitbegründerin der Plattform #keinemehr gegen Femizide und arbeitet als Referentin für feministische Politik für die Linksfraktion im Bundestag.