Publikation Staat / Demokratie - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Stadt / Kommune / Region - Wohnen Landeskompetenzen für Maßnahmen der Mietpreisregulierung

Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Erschienen

Dezember 2019

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Seit die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin angekündigt hat, mit dem sogenannten Mietendeckel die Mieten der Bundeshauptstadt zu begrenzen, ist eine rege Debatte über seine Rechtmäßigkeit entfacht. «Für die einen ist es ein Schutz vor explodierenden Mieten, für die anderen ist es die Rückkehr in den Staatssozialismus…», beschrieb beispielsweise der Deutschlandfunk am 22. Oktober 2019 die Kontroverse.

Einen Beitrag zur juristischen Klärung leistet das jetzt vorliegende Rechtsgutachten, das die Rosa-Luxemburg-Stiftung bei Fischer-Lescano/Gutmann/Schmid in Auftrag gegeben hat. Es kommt zu dem Ergebnis, dass landesrechtliche Maßnahmen zulässig seien, vorausgesetzt ihr Ansatz sei mietverwaltungsrechtlich und diene der öffentlich-rechtlichen Regulierung. Damit seien beispielsweise ein Mietpreismoratorium, eine Mietpreisobergrenze und eine Möglichkeit der Mietpreisabsenkung statthaft. Gleichzeitig widerspricht es einem internen Papier des Bundesinnenministeriums, das in der vergangenen Woche medial Verbreitung fand.

Knackpunkt der juristischen Auseinandersetzung ist die Frage nach den Bundes- und Landeskompetenzen und deren gegenseitiger Begrenzung. Entsprechend dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme begrenzt auf der einen Seite die Bundeskompetenz für die privatrechtsregulierende Gestaltung des Mietrechts öffentlich-rechtliche Landeskompetenzen hinsichtlich der Preispolitik auf dem Wohnungsmarkt. Auf der anderen Seite begrenzen die landespolitischen Kompetenzen den Gestaltungsraum des Bundes.

Die Autoren:

Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL. M. (EUI Florenz), Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie und geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen.

Andreas Gutmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen.

Prof. Dr. Christoph Schmid, Ph. D. (EUI Florenz), Professor für europäisches Wirtschaftsverfassungs-, Wirtschafts- und Privatrecht und Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen.

Fischer-Lescano/Gutmann/Schmid kommen zu dem Ergebnis, dass es eine sogenannte Sperrwirkung durch den Bund nicht gibt. Vielmehr seien Bund und Länder dazu verpflichtet, die jeweils gewählte Regelungsform (privatrechtlich durch den Bund, öffentlich-rechtlich durch die Länder) zu respektieren und inhaltlich die gegenseitige Selbstbegrenzungspflicht zu beachten.

Mietverwaltungsrechtliche Maßnahmen des Landes im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Regulierung seien daher zulässig. Eine Vorrangentscheidung zwischen Bundes- und Landesregel müsse nur dann getroffen werden, wenn das Land bundesgesetzlich ausgeschlossene oder gegenläufige Lenkungswirkungen oder Handlungsmittel vorschreibt, was hier nicht der Fall sei.

Selbst wenn oben genannte Folgerung in Zweifel stünde, hätte die landesrechtliche Maßnahme als spezielles Gesetz (lex specialis) zur Regulierung des «Wohnungswesens» als «selbständige Sondermaterie» Vorrang vor der allgemeinen Bundeskompetenz zur Regelung des «Bürgerlichen Rechts» (lex generalis).

Für den vom Senat am 26. November 2019 beschlossenen Gesetzentwurf zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (E-MietenWoG Bln) bedeutet dies: Sowohl ein Mietpreismoratorium, als auch eine Mietpreisobergrenze beziehungsweise eine Mietpreisabsenkung, sind weder vom Bundesrecht ausgeschlossen noch diesem gegenläufig. Der Landesgesetzgeber hat dementsprechend die Kompetenz, entsprechende Vorschriften einzuführen.

Von der derzeitigen politischen und juristischen Debatte ist nicht nur Berlin betroffen, wenn auch aufgrund des rot-rot-grünen Gesetzesvorhabens hier das Thema aktuell große Aufmerksamkeit erfährt. Auch in Hamburg wird gegenwärtig über die Einführung eines Mietendeckels diskutiert. Die Frage der gesetzgeberischen Zuständigkeit und der Reichweite öffentlich-rechtlicher Mietpreisregelungen ist deshalb letztlich für alle Bundesländer mit Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bedeutsam, da zukünftig auch für sie Maßnahmen zur Mietpreisregulierung in Betracht kommen könnten.

Zusammenfassung der Ergebnisse

  1. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das «Bürgerliche Recht» nach Art. 74 Abs. 1 Ziff. 1 GG umfasst die Ordnung der wohnungsbezogenen Individualrechtsverhältnisse, wie sie traditionell im BGB und in einschlägigen privatrechtlichen Nebengesetzen erfolgt ist. Diese Kompetenz umfasst insbesondere den Erlass mietpreisbezogener Vertragsregulierungen, sofern sie wie im Fall der sogenannten Mietpreisbremse in § 556d Abs. 1 und Abs. 2 BGB in der Fassung des Mietrechtsnovellierungsgesetzes (MietNovG) vom 21. April 2015 (BGBl I, S. 610) privatrechtsförmige Regulierungen des Individualrechtsverhältnisses Wohnungsmietvertrag nach § 549 in Verbindung mit § 535 BGB darstellen.
  2. Daneben besteht seit der 2006 erfolgten Föderalismusreform I, im Zuge derer die Bundeskompetenz zur Regulierung des «Wohnungswesens» in Art. 74 Abs. 1 Ziff. 18 GG auf die Materien «Wohngeldrecht», «Altschuldenhilferecht», «Wohnungsbauprämienrecht» und «Bergarbeiterwohnungsbaurecht» reduziert wurde, eine Landeskompetenz im Restbereich des «Wohnungswesens», die auch eine Kompetenz zur öffentlich-rechtlichen Preisregulierung von Wohnraummieten beinhaltet.
  3. Der Kompetenztitel «BGB» ist bei privatrechtlicher, die Kompetenzmaterie «Wohnungswesen» bei öffentlich-rechtlicher Regulierung einschlägig. Die Abgrenzung der Kompetenztitel erfolgt nicht kategorial, sondern je nach Regelungsziel und -technik nach einer Gleitformel: Je deutlicher einseitig-hoheitliche Rechtsetzung mit dem Ziel der Realisierung sozialer Rationalitäten außerhalb der bilateralen Akteursinteressen im Vordergrund der Regulierung steht und je weniger es um die Ermöglichung horizontaler Koordination und individueller Zustimmung geht, desto eher ist die Norm dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Auf unterstellte oder explizit gemachte «Sperrintentionen» des Gesetzgebers kommt es bei der Kompetenzabgrenzung nicht an. Denn diese folgt objektiven und nicht subjektiven Kriterien.
  4. Entsprechend dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme im Bundesstaat begrenzt auf der einen Seite die Bundeskompetenz für die privatrechtsregulierende Gestaltung des Mietrechts öffentlich-rechtliche Landeskompetenzen hinsichtlich der Preispolitik auf dem Wohnungsmarkt. Zugleich begrenzen die landespolitischen Kompetenzen den Gestaltungsraum des Bundes.
  5. Ob und wie Mietpreisrecht durch Landesgesetzgeber geregelt werden kann, bemisst sich nicht allein daran, ob sich die landesrechtliche Gestaltung in das durch den Bund vorgegebene Schema einpassen lässt. Es gibt keine sogenannte Sperrwirkung, die der Bund einseitig anordnen könnte. Vielmehr besteht eine kompetenzielle Wechselwirkung: Bund und Länder sind verpflichtet, die jeweils gewählte Regelungsform (privatrechtlich durch den Bund, öffentlich-rechtlich durch die Länder) zu respektieren und inhaltlich die gegenseitige Selbstbegrenzungspflicht zu beachten.
  6. Bei Normwidersprüchen muss anhand der jeweiligen Vorschriften, ihres Zieles und Regelungsgehaltes entschieden werden, ob die Normen nebeneinander Geltung beanspruchen können oder ob eine der Regelungen Vorrang beanspruchen kann. Der Regelungsvorrang bestimmt sich nicht ausschließlich nach dem Rang der Norm, was zu einem einseitigen Vorrang des Bundesrechts führen würde. Vielmehr ist in einem ersten Schritt zu fragen, ob die in Spannung stehenden Regelungen jeweils in Regelungsform und -inhalt auf die Kompetenznorm gestützt werden können. In einem zweiten Schritt ist mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 98, 106/119) zu klären, welche der einen eventuellen Widerspruch begründenden Regelungen zu weichen hat. Das richtet sich «grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen». In diese Betrachtung ist also maßgeblich auch die Systematik der Regelungen als Teil der Regelungsspezialität einzubeziehen.
  7. Beim Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Gestaltungsformen – privatrechtsförmige Preisgestaltung durch den Bund einerseits, öffentlichrechtliche Preisgestaltung durch die Länder andererseits – ist es nicht Zulässigkeitsgrenze, sondern vielmehr eine Zulässigkeitsvoraussetzung, dass die Regelungen unterschiedliche Anknüpfungskriterien wählen, unterschiedliche Ziele setzen und unterschiedliche Regelungstechniken verwenden. Die Kompatibilitätsgrenze und damit die Notwendigkeit einer Vorrangentscheidung ist erst dann erreicht, wenn Bund und Länder vom jeweils anderen ausgeschlossene oder gegenläufige Lenkungswirkungen oder Handlungsmittel vorschreiben (BVerfGE 98, 106/119f.).
  8. Landesrechtliche Maßnahmen, die mietverwaltungsrechtlich ansetzen und dabei öffentlichrechtlich regulierend eingreifen, ein Mietpreismoratorium, eine Mietpreisobergrenze und eine Möglichkeit der Mietpreisabsenkung vorsehen, sind daher zulässig. Eine Vorrangentscheidung zwischen Bundes- und Landesregel muss nur dann getroffen werden, wenn das Land im Vergleich zum Bund ausgeschlossene oder gegenläufige Lenkungswirkungen oder Handlungsmittel vorschreibt. 
  9. Für eine im Normwiderspruch zu treffende Kollisionsentscheidung gilt im Zweifel ein Vorrang der landesrechtlichen Maßnahme. Denn für die Mietpreisregulierung ist die Landeskompetenz zur Regulierung des «Wohnungswesens» als «selbständige Sondermaterie» (BVerfGE 3, 407/415) lex specialis im Vergleich zur allgemeinen Bundeskompetenz zur Reglung des «Bürgerlichen Rechts».
  10. Für den vom Senat am 26. November 2019 beschlossenen Entwurf für ein Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (E-Mieten-WoG Bln) bedeutet dies:
    • a. Ein Mietpreismoratorium, wie es in § 3 E-MietenWoG Bln festgelegt ist, ist weder vom Bundesrecht ausgeschlossen noch diesem gegenläufig. Der Landesgesetzgeber hat dementsprechend die Kompetenz, das Moratorium einzuführen.
    • b. Eine Mietpreisobergrenze, wie sie in § 4 des E-MietenWoG Bln festgelegt ist, ist weder vom Bundesrecht ausgeschlossen noch diesem gegenläufig. Der Landesgesetzgeber hat dementsprechend ebenfalls die Kompetenz, eine Mietpreisobergrenze einzuführen.
    • c. Eine Mietpreisabsenkung, wie sie in § 5 des E-MietenWoG Bln ermöglicht wird, ist weder vom Bundesrecht ausgeschlossen noch diesem gegenläufig. Der Landesgesetzgeber hat dementsprechend auch hier die Kompetenz, eine Vorschrift zur Mietpreisabsenkung einzuführen.