Publikation Arbeit / Gewerkschaften - Stadt / Kommune / Region - Digitaler Wandel - Digitalisierung der Arbeit Die Verlockungen der «UBERCITY»

Reibungslos, nahtlos, effizient, just-in-time: städtische Dienstleistungen auf Abruf

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor*innen

Agnieszka Leszczynski, Rob Kitchin,

Erschienen

Dezember 2019

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Bild: Reuters/Mike Segar

Du musst rechtzeitig zu einem Geschäftstermin im Stadtzentrum, aber du weißt, dass du um die Mittagszeit keinen Parkplatz in der Stadt finden wirst. Du könntest mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, aber laut deiner Routenplaner-App würde das zu lange dauern. Also beschließt Du, Dir ein Uber zu nehmen. Du öffnest die App und siehst dort deine aktuelle Position und wo in der Nähe verfügbare Ubers sind. Die App zeigt an, dass die Nachfrage gerade ziemlich hoch ist, und die Reise deswegen ein Vielfaches des normalen Fahrpreises kosten wird, aber das ist es dir gerade wert. Nun zeigt die App Informationen an über die Person, die den bestellten Uber fährt, sowie die erwartete Ankunftszeit. Am Ziel angelangt, wird die Fahrt automatisch über die App und gespeicherte Kreditkarteninfos bezahlt, und du bewertest die gelieferte Leistung.

So praktisch, so benutzerfreundlich, so perfekt zugeschnitten auf deine aktuellen persönlichen Bedürfnisse. Uber und andere Wettbewerber wie z.B. Lyft haben Vieles grundlegend verändert: nicht nur, wie wir uns durch die Stadt bewegen, sondern auch, wie wir auf privatwirtschaftliche Güter und Dienstleistungen in Städten zugreifen. Mit UberEATS können wir unsere Mahlzeiten bestellen und liefern lassen. Wenn Stau ist, können wir aus dem Uber steigen und uns ein JUMP E-Fahrrad nehmen, und das alles, ohne die Uber-App zu verlassen.

In Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der Uber das Angebot an Dienstleistungen ausweitet, kann man sich schon jetzt eine hypothetische UberCity vorstellen, in der Uber verschiedene städtische Dienstleistungen in sein Ökosystem eingebunden hat. Durch Übernahme der UberCity-Plattform (selbstverständlich gegen Gebühr) könnten Städte die Verantwortung für die Koordination und Bereitstellung städtischer Dienstleistungen an Drittanbieter abgeben; dann würde UberCity (oder ein Konkurrent) vermitteln zwischen Privatbürgern, die Dienstleistungen anfragen und Einwohnern, die ihre Arbeitskraft für diese Dienstleistungen zur Verfügung stellen. In einem Szenario, das aus der Science-Fiction-Serie Black Mirror stammen könnte, werden die Nutzer und Anbieter von Dienstleistungen zu Entitäten, die bewertet werden können: Sind sie höflich, zuvorkommend, effizient? Sind sie verantwortungsvolle und gerechte Bürger? UberCity ermöglicht die finanziellen Transaktionen und behält dafür einen Teil der von der Stadt eingenommenen Gebühren ein.

Agnieszka Leszczynski ist Digitalgeographin und geographische Informationswissenschaftlerin. In aktuellen Projekten untersucht sie digitale Plattformen in kanadischen Städten sowie Startups in ortsbasierter Technologie in der digitalen Ökonomie.

Rob Kitchin ist Professor am Lehrstuhl für Geography an der Maynooth University Social Sciences Institute. Seine Forschung konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Technik und Gesellschaft, besonders in Hinsicht auf die Schaffung von Smart Cities; zudem ist er der leitende Forscher in dem Projekt «Programmable City» und dem Projekt «Building City Dashboards».

Eine englische Version des Textes ist erschienen in: Mark Graham, Rob Kitchin, Shannon Mattern und Joe Shaw (Hrsg.): «How to Run a City like Amazon, and Other Fables» (Meatspace Press 2019). Eine digitale Version des Sammelbandes ist kostenlos auf der Verlagswebseite erhältlich.

Nehmen wir zum Beispiel ein Schlagloch auf einer Wohnstraße. Anwohner*innen öffnen die UberCity App, machen mit dem Smartphone ein Foto von dem beschädigten Straßenabschnitt, laden dann das Bild hoch und schicken dazu die Bitte, dass dieses Schlagloch geflickt wird. Mithilfe des GPS im Smartphone kann die UberCity App automatisch die Anfrage mit der Position taggen. Ein Algorithmus leitet das Problem an eine passende Person weiter – in diesem Fall eine/n Handwerker/in mit den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten, der/die gerade auf der Suche nach einem bezahlten Gig ist. Gig-Arbeiter*innen checken sich in der App ein, um ihre aktuelle Verfügbarkeit anzuzeigen. Dann wird er/sie an den besagten Ort geschickt, verrichtet dort die Arbeit, und wird nach Fertigstellung für die Arbeit und die Materialien bezahlt, indem der fällige Betrag auf sein/ihr Konto überwiesen wird. Anwohner*innen können den/die Arbeiter*in und die Qualität der geleisteten Arbeit bewerten. Die Qualitätskontrolle wird dadurch gewährleistet, dass Gig-Arbeiter*innen im Falle von wiederholt schlechten Bewertungen und schlechtem Feedback in der App deaktiviert werden.

Mit UberCity kann man aber nicht nur Infrastrukturprobleme melden, sondern auch über eine Reihe von Dienstleistungsprogrammen viele weitere städtische Dienstleistungen abrufen: Der Müll quillt über? (UberTrash!); Nachts auf dunklen Wohnstraßen unterwegs? (UberStreetLights!); Medizinischer Notfall? (UberAmbulance!); Strom ausgefallen? (UberEnergy!); Fehlt der Wasserdruck plötzlich? (UberWater!); Laufen die Nachbarshunde mal wieder durch den Hof? (UberAnimalControl!); Hat es nachts viel geschneit? (UberSnowPlow!). Jedes dieser Programme würde mit anderen, ähnlich privatisierten Dienstleistungen konkurrieren.
 

Was gibt es an diesem Plan auszusetzen?

Theoretisch bietet das ambitionierte Modell der UberCity den Bewohner*innen die Möglichkeit, reibungslose Just-in-Time-Lösungen für eine Vielzahl an städtischen Aufgaben abzurufen. Einwohner*innen können sich flexibel die Dienstleistung aussuchen, die sie brauchen; wie bei den in der App angebotenen Taxidienstleistungen könnten diese von erschwinglichen Fahrgemeinschaftsdiensten (UberPOOL) bis hin zum höherpreisigen professionellen Fahrservice (UberBLACK) reichen. Die dynamische Preisanpassung würde greifen, wenn die Nachfrage nach Dienstleistungen hoch ist. Wenn die Stromleitungen in deiner Straße abgerissen/getrennt? sind, (KS: Vorschlag für Fußnote: In den Vereinigten Staaten werden Häuser z.T. Individuell mit überirdischen Stromleitungen an das Netz angeschlossen), und du willst, dass dein Haus eines der ersten ist, die wieder Strom bekommen, dann könntest du ein Vielfaches der Standardgebühr zahlen, um deinen Bedürfnissen Priorität zu verschaffen.

Durch die Koordination des zweiseitigen Marktplatzes könnte UberCity also potentielle Arbeitskräfte mobilisieren und so Fähigkeiten und Leistungen mit den passenden Aufgaben zusammenbringen. Da sie nicht mehr an feste Arbeitszeiten gebunden wären, könnten Stadtbewohner*innen ihre Arbeit an ihre persönlichen Zeitpläne anpassen und Gigs annehmen, wann und wo immer es für sie praktisch ist, um damit ein volles oder zusätzliches Einkommen zu verdienen. Anstatt auf ein Gehalt zu warten, das alle zwei Wochen oder jeden Monat ankommt, würden Gig-Arbeiter*innen durch die App direkt bezahlt werden, sobald die Arbeit geleistet und als zufriedenstellend bewertet wurde. Solch ein städtisches Gig-Economy-Modell könnte den Zugang zu städtischen Jobs demokratisieren, die zur Zeit lukrativ und schwer zu bekommen sind.

Dank UberCity müssten die Stadtverwaltungen nicht mehr als Dienstleister fungieren, und auch nicht als Dienstleistungsvermittler: Ersteres würde von den Bürgern der Stadt übernommen, und Letzteres von der Plattform. Unter anderem würde dies den Behörden erlauben, Wirtschaftsgüter, die im Wert sinken, abzustoßen, statt sie zu unterhalten, mit wenigen oder sogar keinen öffentlichen Investitionen. So wie Uber keines der Autos im von ihm betriebenen Fahrerpool besitzt, müssten Städte als Dienstleistungsvermittler keine Geräte oder Materialien für den Erhalt städtischer Infrastrukturen besitzen, z.B. Schneepflüge, Baumaterialien, Busse. Potenziell würden sich auch riesige Einsparungen ergeben, die die aktuellen städtischen Haushaltslöcher kompensieren könnten: Städte könnten ihre Belegschaft drastisch reduzieren und die Rentenverpflichtungen (die viele US-amerikanische Städte in den Bankrott getrieben haben, oder zu treiben drohen1) abladen. Zusätzlich hätten städtische Gig-Arbeiter*innen als private Subunternehmer*innen keinen Anspruch auf die Sozialleistungen, die städtischen Angestellten zustehen; Städte hätten keine Ausgaben mehr für allgemeine Kosten wie Lohnsteuer und Krankenversicherungsbeiträge.

Indem sie die Auswahlmöglichkeiten für den Bürger als Konsumenten erweitern, können Rathäuser ihre Beliebtheit erhöhen und sich gleichzeitig gegen die Folgen von schlecht ausgeführten oder unvollständigen Aufgaben abschirmen. Ein ebenso wichtiger Punkt ist, dass das Uber-Modell es den Behörden erlaubt, Lücken in Ihren eigenen Dienstleistungskapazitäten durch Outsourcing über die Plattform zu schließen. Städte wie z.B. Los Angeles überlegen sich jetzt schon, mit Ridehailing Firmen eine Partnerschaft einzugehen, um das Transportwesen in Gegenden mit schlechter Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern.2

 
Die Schattenseite der UberCity

Die Argumente dafür, die Verantwortungen einer Stadt an einen Drittvermittler und die Gig-Economy abzugeben, erscheinen auf den ersten Blick logisch, eindeutig und im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand. Jedoch ist solch ein Uber-artiges Wunschdenken nur kohärent, wenn man die Realitäten des Plattformurbanismus ignoriert, den städtischen Raum nicht mehr als Allgemeingut versteht, und Städte nicht als komplexe, demokratische, vielschichte Entitäten voller konkurrierender Interessen und ernsthaften Problemen begreift.

Wenn Dienstleistungen über ein Uber-ähnliches Modell erbracht werden – in diesem Fall ein hypothetisches UberCity-Plattform-Ökosystem – dann ist der Zugang der Bürger*innen zu diesen Dienstleistungen eher lückenhaft als durchgängig, mit besserem Zugang für die, die zahlen können (vor allem, wenn die dynamische Preisanpassung greift). Uber hat den Zugang zu öffentlichen Transportmitteln nicht erweitert; Anwohner*innen in armen Stadtbezirken werden von den Taxiunternehmen chronisch unterversorgt, weil Fahrer*innen reichere Gegenden vorziehen, wo sie besseres Trinkgeld erwarten können.3 In dieser Hinsicht hat die Vermittlung von Dienstleistungen zum Profit privater Entitäten eher den Effekt, Ungleichheiten zu vertiefen, als sie abzumildern.

Die Stadtbewohner*innen, die für Uber arbeiten, haben keine Vollzeitstellen gefunden, oder müssen ihr Einkommen aufbessern, weil ihre normale Arbeit nicht genug abwirft, um ihre Lebensunterhaltungskosten abzudecken. Die Arbeit ist flexibel, unsicher, relativ schlecht vergütet und zahlt (in den meisten Fällen) keine Krankenversicherungs-, Renten- oder andere Sozialleistungsbeiträge (Elterngeld, Krankengeld etc.). Viele Produktionskosten werden auf die Arbeiter*innen abgewälzt, die die Taxis kaufen, versteuern und versichern müssen. Solche Vereinbarungen können dazu missbraucht werden, die Arbeiter*innen auszunutzen. Um mehr Fahrer*innen zu rekrutieren, hat Uber zum Beispiel Subprime-Autokredite speziell für sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen entwickelt4 – eine Vorgehensweise, von der wir seit der Immobilienkrise der späten 2000er Jahre wissen, dass sie überproportional Mitgliedern ethnischer Minderheiten Geld und Wirtschaftsgüter entzieht.

Obwohl die Gig-Economy auf den ersten Blick gerecht und leistungsorientiert erscheint, ist ein System, das auf Bewertungen und Rankings beruht, ein Nullsummenspiel: Damit manche ein hohes Ranking erzielen können, müssen andere weiter unten sein –manchmal so weit unten, dass sie von der Plattform «deaktiviert» werden. Solche Bewertungen hängen nicht nur davon ab, wie gut oder schnell eine Dienstleistung erbracht wurde, sondern auch von einer Vielzahl an gesellschaftlichen Vorurteilen, u.a. Rassismus, Homophobie, Xenophobie und Sexismus.5 Es gibt auch Menschen, die in einer Gig-Economy nur schwer bestehen könnten: Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke, und Menschen, die andere pflegen müssen und deswegen zeitlich nicht flexibel sind.

Bei der städtischen Verwaltung basiert das Modell von Uber darauf, dass öffentliche Dienstleistungen für Verbraucher und nicht für Bürger*innen erbracht werden, und deswegen Interventionen durch den Markt ausgesetzt seien können. Die Rechte und Ansprüche der Bürger*innen werden durch Optionen für Verbraucher*innen ersetzt, die dann Dienstleistungen von einem Marktplatz auf Basis ihrer individuellen Zahlkraft beziehen.6 Die andere Annahme ist, dass städtische Verwaltung, Dienstleistungen und Infrastruktur relativ unkompliziert und autonom sind, und deswegen in begrenzte, kohärente Märkte aufgeteilt werden können, die weitgehend abseits der Demokratie und Politik operieren. Dabei braucht man, um eine Stadt zu verwalten, viele verschiedene Dinge: viel Wissen und Expertise; gute Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden und Stakeholdern; Diplomatie und Verhandlung; politische Entscheidungen und die Formulierung und Implementierung von Strategien; und den Versuch, in Zeiten der Austerität immer noch dem Allgemeinwohl zu dienen. Städte sind voll von konkurrierenden Interessen und ernsthaften Problemen; ihre Lage kann sich ändern, Regierungen können wechseln, und Städte sind schwer zu managen.

Die «Uberisierung» von öffentlichen Dienstleistungen wird es wahrscheinlich schwieriger machen, das Geschick einer Stadt zu koordinieren, sie wird grundlegende Dienstleistungen der demokratischen Kontrolle und Überwachung entziehen. Sie könnte sogar die finanziellen und administrativen Krisen verschlimmern, die so viele Städte heimgesucht haben. Die Einführung von Ridehailing-Diensten in urbanen Gegenden hat in manchen Fällen die Krise in der Infrastruktur  öffentlicher Verkehrsmittel intensiviert und beschleunigt, da weniger Menschen den ÖPN verwendeten;7 dies wiederum hat die Einkünfte reduziert, die dringend benötigt werden, um die öffentlichen Verkehrsmittel zu finanzieren, und dadurch die Verfügbarkeit der Dienste weiter eingeschränkt, während die profitablen Dienstleistungen der Privatwirtschaft zufallen. Wenn man nun das Uber-Modell auf die Stadtverwaltung und -infrastruktur ausweitet, wird das diesen neoliberalen Prozess noch weiter vorantreiben, zu immer mehr Krisen bei den öffentlichen Dienstleistungen führen, und dabei die Nachfrage nach unausgewogenen, ungleichen und profitablen Alternativen steigern, die niemandem Rechenschaft schuldig sind.

Der Philosoph Louis Althusser8 warnt, dass der Kapitalismus unter anderem davon profitiert, dass er verlockend ist: Plattformurbanismus verspricht individuelle Freiheit und die Möglichkeit, frei zu wählen. Solche Verlockungen sind jedoch oft verschleiernd, und in diesem Fall verschleiern sie die allgemeinen Prozesse der fortschreitenden Neoliberalisierung, sowie die Enteignung, die uns langfristig in eine schlechte Position bringen kann. Wir müssen uns fragen, ob die Verlockungen der Bequemlichkeit, Nutzerfreundlichkeit, Individualisierung und Nützlichkeit der UberCity einen angemessenen Ausgleich darstellen für digitale Demokratie und die Stadt als ein öffentliches Gut.
 


[1] Mooney, A. (2017) «US faces crisis as pension funding hole hits $3.85tn.» Financial Times.

[2] Marshall, A. (2017) «LA Looks to Rideshare To Build the Future of Public Transit.» Wired.

[3] Wells, K., Attoh, K. and Cullen, D. (2018) «Uber, the ‹Metropocalypse›, and Economic Inequality in D.C.» Working Class Perspectives.

[4] Richter, W. and Street, W. (2017) «Uber’s subprime auto loans are causing a lot of problems.» Business Insider.  

[5] Ramaswami, C. (2017) «‹Prejudices play out in the ratings we give›—the myth of digital equality.» The Guardian.

[6] Cardullo, P. and Kitchin, R. (2018) «Being a ‘citizen’ in the smart city: Up and down the scaffold of smart citizen participation in Dublin, Ireland.» GeoJournal 84(1): 1-13.

[7] Darrow, B. (2017) «Why Uber and Lyft Might Be Hurting Stressed Public Transit Systems.» Fortune. 

[8] Althusser, L. (1971) Lenin and Philosophy and Other Essays. London: NLB.