Publikation Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Deutsche / Europäische Geschichte - Osteuropa - Umkämpftes Erinnern im Osten - 8. Mai 1945 Wenn der Flieder wieder blüht

Eine Einschätzung der Streitigkeiten um die Entfernung des Marschall Konew-Denkmals in Prag

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Jaromír Mrňka,

Erschienen

Mai 2020

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Der blühende Flieder ist ein Symbol für die Befreiung Prags. 
Der blühende Flieder ist ein Symbol für die Befreiung Prags. 

Im Hintergrund: das Denkmal für den Gefallenen der II. Sonderdienst-Brigade 1939-45 und die Opfer des Mai-Aufstands in Prag, der die Befreiung von Prag vorweggenommen hat. Das Denkmal befindet sich in Prag-4 Nusle, Foto: Jaromír Mrňka

In den letzten Tagen wurde Prag endlich von der Frühlingssonne überströmt und auf den Hängen des Tales in Prag-Nusle erblühte der duftende Flieder. Dass gerade dies wegen dem ähnlichen Wetter vor einem dreiviertel Jahrhundert zum Symbol des ausgehenden Krieges wurde, als der frostige April vom strahlenden Mai abgelöst wurde, fällt heute wohl nur wenigen ein. Ebenso wenig wird die Beendigung des bislang schrecklichsten Kriegskonfliktes in der Geschichte Europas den Tschechen in der zweiten Maiwoche am Herzen liegen, da sie sich eher mit dem verlängerten Wochenende befassen werden, das aber durch die Covid-19- Pandemie doch ins Wasser fällt.

Der tschechische HistorikerJaromír Mrňka, PhD. (*1988), studierte moderne Sozialwissenschaft in Prag und München. Derzeit wirkt er am Institut für das Studium der totalitären Regime und an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karlsuniversität. Er beschäftigt sich mit moderner Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte und Theorie und Methodologie der historischen Wissenschaft. In seiner Forschung orientiert er sich auf die Wandlungen der Werte, die Aushandlung von Konsens, die Legitimität der Sozialordnung und die Rolle von Gewalt bei revolutionären Ereignissen der tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Trotzdem füllen die Streitigkeiten über das Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin die Seiten der tschechischen Zeitungen und sie werden nun auch zu einer Art heißer Kartoffel der tschechisch-russischen diplomatischen Beziehungen. Zuletzt zeigte sich dies, als das Rathaus des Stadtteiles Prag 6 Anfang April dieses Jahres die Bronzestatue des Marschalls Konew, der einen Strauß Flieder in der Hand umschließt, wofür er sich von der hiesigen Bevölkerung den verhöhnenden Spitznamen Blumenverkäufer eingehandelt hatte, entfernen ließ. Die Widersprüchlichkeit des gesamten Falls wird überdies von dem Fakt unterstrichen, dass das Rathaus zur Ausführung des Beschlusses vom Ende letzten Jahres erst zur Zeit des Kontaktverbots geschritten ist, was logischerweise das Recht auf Versammlungsfreiheit beschränkte und somit mögliche Proteste ausschloss. Den zweiten Akt dieses absurden Dramas spielte dann der Untersuchungsausschuss der Russischen Föderation, der mehrere Tage daraufhin die strafrechtliche Verfolgung der Repräsentanten der tschechischen Selbstverwaltung wegen Entweihung von Symbolen des militärischen Ruhms Russlands einleitete, woraufhin die Tschechische Republik in den russischen Medien des Verstoßes gegen das Abkommen über die Freundschaft und Zusammenarbeit bezichtigt wurde. Wie aus einem Schundroman wirkt dann der letzte Akt, der sich seit gestern abspielt. Der Bürgermeister von Prag 6 Ondřej Kolář und der Prager Oberbürgermeister Daniel Hřib bekamen Polizeischutz, nachdem über die geschlossene Grenze aus Russland angeblich eine Person nach Tschechien einreisen sollte, die potenziell deren Sicherheit gefährden könne.

Verschiedene Kulturen der Erinnerung

Warum erregt die Beseitigung einer Statue eines sowjetischen Marschalls aus der Zeit der Normalisierung noch nach so vielen Jahren derartige Emotionen? Hier treffen zwei Kulturen der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Gedächtnispolitiken aufeinander. Einerseits geht es um die relativ einheitliche Auffassung des Putinschen Russlands, die in vielerlei Hinsicht geschickt an die sowjetische imperiale Traditionen anknüpft, in der der Sieg über den Faschismus im Großen Vaterländischen Krieg die Schlüsselrolle spielte, aufgrund der die Sowjetunion die Einverleibung der Länder Mitteleuropas in ihre Einflusssphäre beanspruchte. Demgegenüber steht die zwar pluralistischere, aber umso mehr zersplitterte tschechische Erinnerung, die sich aus den vorhergehenden 30 Jahren der freien öffentlichen Diskussion ergibt. Darin überleben einerseits die Überbleibsel der Gedächtnispolitik aus der Zeit vor 1989, andererseits gibt es hier nun auch neue Auslegungen, die sich aus dem Aufarbeitungsprozess des Vermächtnisses der Diktatur der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, d.h. den berüchtigten 40 Jahren der kommunistischen Totalität, ergeben. Beide klammern sich dabei eng an verschiedene politische Lager, wobei das erste davon versucht, um jeden Preis das unantastbare Bild der ruhmreichen Befreiung der Tschechoslowakei durch die heldenhafte Rote Armee aufrechtzuerhalten, und das zweite Lager bemüht ist, demgegenüber einen vollkommen gegenläufigen und von den früheren Einflüssen bereinigten Narrativ über das Ende des Zweiten Weltkrieges in den Ländern der böhmischen Krone zu verankern.

Der «Konew-Streit» steht dabei nicht für sich, sondern ist Bestandteil einer breiteren, sich in der letzten Zeit ausbreitenden Tendenz zur Beseitigung von Objekten, die mit der Erinnerungskultur aus der Zeit vor der Wende in Verbindung stehen. Beispielsweise kann die im August letzten Jahres bestätigte Entscheidung des Prager Magistrats erwähnt werden, die Gedenktafel (sog. Befreiungstafel) am rekonstruierten Prager Altstädter Rathaus nicht zu erneuern. Diese Gedenktafel war gegenüber dem Denkmal aus Prag-Dejvice einer Äußerung der kurz nach dem Kriegsende folgenden Anerkennung aus der Zeit noch vor der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948, keinesfalls etwa eine Heuchelei aus der Zeit der Normalisierung. Die Prager hatten sie 1946 feierlich enthüllt, als Konew die Ehrenbürgerschaft der Stadt verlieren wurde. Die Aufschrift auf der Tafel führte an, dass «am 9. Mai 1945 die Truppen der I. Ukrainischen Front der ruhmreichen Roten Armee, angeführt vom Helden der Sowjetunion - Marschall Iwan Stepanowitsch - mit einem Blitzangriff die schwer kämpfende Stadt Prag befreiten, die ihm aus Dank die Ehrenbürgerschaft verlieh.» Dieser kontroversen Entscheidung waren im letzten Jahr ähnliche Episoden vorausgegangen. Im Juli begann beispielsweise das Rathaus für Prag 3, über die Umbenennung der Konew-Straße im Prager Stadtteil Žižkov nachzudenken, wovon die Beamten wohl nur aufgrund der Vorstellung der Unmengen notwendiger neuer Personalausweise Abstand nahmen. Über die Denkmäler für die Rotarmisten und ihre mögliche Beseitigung hatten die öffentlichen Selbstverwaltungen in einer ganzen Reihe von Orten in der Tschechischen Republik bereits häufiger diskutiert. So wie auch im letzten Mai - in Znojmo in Südmähren wollten die örtlichen Repräsentanten von einer belebten Kreuzung das Denkmal eines Soldaten entfernen lassen, der volkstümlich Iwan genannt wurde.

Alle aktuellen Streitigkeiten um Stein und Bronze in den öffentlichen Bereichen können derzeit nicht von der Bemühung der Anhänger der einzelnen politischen Lager nach Abgrenzung ihrer Position gegenüber dem heutigen Russland getrennt werden. Einerseits sehen wir überwiegend Rechtskonservative in verschiedenen politischen Gewändern – überwiegend die traditionelle ODS (Demokratische Bürgerpartei) und die möchtegern fortschrittlichere Partei TOP09. Deren Gegner rekrutieren sich paradoxerweise aus noch nationalistischer orientierten konservativen Kreisen, wo die Anhänger des Präsidenten Milos Zeman oder des populistischen Demagogen Tomio Okamura auf die Wähler der tschechischen Kommunistischen Partei treffen. Es geht somit – sehr vereinfacht gesagt – um einen Streit zwischen den antikommunistischen, gegen Russland eingestellten Rechtskonservativen einerseits und den populistischen, für Russland eingestellten Nationalisten aus verschiedenen Teilen des politischen Spektrums andererseits. Daher gelten nun in diesen Streitigkeiten keine sachlichen Argumente oder historische Fakten mehr, da es hier überhaupt nicht mehr um Konew oder die Befreiung von Prag, sondern um ideologische Abgrenzung der Positionen geht. Dabei können Fakten eben keine Rolle mehr spielen, da die Meinungsopponenten die Geschichte als eine Bonboniere betrachten, aus der sich jeder herausnimmt, was ihm gerade gefällt.

Aufstand in Prag

Dennoch versuche ich, die Geschichte zum Ende des Zweiten Weltkrieges in den Ländern der böhmischen Krone mit all ihren Gegensätzen zumindest kurz zu umreißen. Den Nazis ist es spätestens zur Zeit nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich gelungen, sämtliche Brennpunkte eines möglichen Widerstandes gegen die Okkupationsmacht zu dezimieren. Auf dem strategisch wichtigen Gebiet, weit weg von der Front und den alliierten Bombern arbeiteten die Tschechen mehrere Jahre mehr oder minder demütig für die Kriegsmaschinerie und erhoben sich erst in dem Augenblick, als die Sowjets in Mähren und die Amerikaner in Westböhmen kämpften. Gerade auf die Amerikaner richteten die Aufständischen ihre Hoffnungen, als sie sich in der Nacht auf den 5. Mai 1945 mit schlechter Ausrüstung zum Kampf aufmachten und Barrikaden in den Prager Straßen errichteten. Außer einem Spähtrupp brach die amerikanische Armee jedoch nicht nach Prag auf, da sich deren Befehlshaber auf das schnelle Voranschreiten der Roten Armee verließen und an die Versprechen der sowjetischen Marschälle glaubten. Ebenso wie heute zog Berlin die Aufmerksamkeit aller mehr auf sich als Prag. Daher machte sich auch die I. Ukrainische Front der Roten Armee unter Führung des Marschalls Iwan Stepanowitsch Konew zunächst auf, um die Hauptstadt des Großdeutschen Reiches zu erobern. Doch die Reste der Heeresgruppe der Wehrmacht Mitte unter Führung des Feldmarschalls Ferdinand Schörner, die immerhin eine Anzahl von immer noch fast eine Million Soldaten ausmachte, hatten sich zur abschließenden Verteidigung auf das Gebiet des Protektorats zurückgezogen. Außerdem ist es ihnen Anfang Mai gelungen, das Voranschreiten der 2. Ukrainischen Front in Süd- und der 4. Ukrainischen Front in Nordmähren aufzuhalten, die nach den ursprünglichen Plänen die Hauptkraft zum schnellen Angriff auf Prag darstellen sollten.

Das unkalkulierbare Aufeinandertreffen von Zufällen hatte zur Folge, dass es den angreifenden Kampfgruppen, die sich vom Abend des 6. Mai bis zum Morgen des 8. Mai 1945 aus den Vorstädten in das Prager Zentrum durchschlugen, gelungen ist, den Aufstand im Wesentlichen zu unterdrücken und ihr strategisches Hauptziel zu erreichen, dass in der Öffnung eines Rückzugwegs durch die Stadt von Osten gen Westen bestand. Die nationalsozialistischen Sondereinheiten, die sich überwiegend aus Angehörigen der Waffen-SS zusammensetzten, von denen viele Erfahrungen mit dem mörderischen Krieg an der Ostfront hatten, begingen auf ihrem Weg eine ganze Reihe von Massakern an der Zivilbevölkerung. Ihnen konnte nur dort Einhalt geboten werden, wo den Aufständischen unerwarteterweise Angehörige der 1. Division der Streitkräfte des Komitees für die Befreiung der Völker von Russland unter der Leitung des Generals Sergei Kusmitsch Bunjatschenko zu Hilfe eilten. Diese sog. Wlassow-Truppen verfügten über wertvolle Ausrüstung, aber auch Kampferfahrung und Kenntnisse der Nazistrategie. Die Aufständischen waren zwar mit ihrer Hilfe imstande, das Vordringen der Nazi-Truppen in die Stadt aus südöstlicher Richtung zu unterbinden, wobei die Verteidigung der Aufständischen aus nordöstlicher Richtung bereits in den Abendstunden des 10. Mai 1945 zusammengebrochen war, wodurch das Stadtzentrum einschließlich der Befehlshaber der Aufständischen fast den ganzen folgenden Tag für die andauernden Angriffe offen waren. Die Unterzeichnung der Kapitulation durch den Oberbefehlshaber der Wehrmacht im Protektorat, General Rudolf Toussaint, in den Nachmittagsstunden des 8. Mai 1945 war eher weitere Bestätigung der Niederlage der Aufständischen, die es den deutschen Streitkräften im Gegenzug für die Einstellung der Kämpfe ermöglichten, die Stadt frei zu verlassen. Zusammen mit ihnen zogen sich auch die Wlassow-Truppen in Richtung der amerikanischen Linien zurück, auf deren Allianz die Aufständischen in der Erwartung, dass die Rote Armee eintrifft, verzichteten.

Die Einheiten der 1. Ukrainischen Front eröffneten die Prager Operation mit einer gewaltigen Wende und dem nachfolgenden schnellen Voranschreiten von Berlin erst am 6. Mai, wobei sie die Grenze der Tschechoslowakei aus der Zeit vor dem Münchner Abkommen in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai in Richtung Nordost-, Nord und Nordwestböhmen überschritten. Die vorausgeschickten Spähtrupps dieser Front trafen erst in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1945 in den nördlichen Vorstädten von Prag ein. Nach der Aufstellung der Formation und der Einleitung des weiteren Vormarsches in die Stadt während des Tagesanbruchs des gleichen Tages traf die Rote Armee auf den überraschenden Widerstand von Resten der Waffen-SS und vereinsamter Truppen der Wehrmacht, deren Oberbefehlshaber die Ausrufung der Kapitulation nicht respektierten. Die Rote Armee setzte die Säuberungsoperationen und Sicherung des Gebiets bis zum 12. Mai 1945 fort.

Erinnerungspolitik vor 1989

Die Sowjetunion erfreute sich in der anbrechenden Nachkriegszeit als Befreier sofort einer unvorstellbaren Popularität und Ernsthaftigkeit, was auch der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei zum Sieg bei den Wahlen im Jahre 1946 behilflich war. Die Kommunistische Partei stilisierte sich nach den Wahlen im Jahr 1946 in die Rolle des Garanten der Unabänderbarkeit der Nachkriegsordnung was zum Beispiel in der Frage der Aussiedlung der Deutschen (die sogenannte Vertreibung) von Schlüsselbedeutung war. Diese konservative Rolle wurde zu einem der Grundbausteine der Diktatur der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei nach der Machtübernahme im Staate im Februar 1948. Ab dem Moment des «Sieges über den Faschismus an der Seite der ruhmreichen Sowjetunion und ihrer Roten Armee» leitete die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei die Legitimität ihrer Herrschaft in der Tschechoslowakei her, deren Bestandteil auch die Verpflichtung war, «nie wieder einen vernichtenden Krieg zuzulassen». Die tschechoslowakische Armee verbündete sich im Jahre 1955 im Warschauer Pakt mit den Streitkräften in den anderen Ländern in der sowjetischen Machtsphäre zu «einem Friedensblock». Insbesondere an seiner Westgrenze in der Tschechoslowakei und der DDR rüsteten sich die Soldaten als Wehr gegen eine mögliche «Bedrohung des ruhigen Lebens des werktätigen Volkes durch Hetzer aus dem Westen», gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Nordatlantikallianz. Es war gerade diese Schlüsselverbindung mit der Sowjetunion, die im tschechoslowakischen Staatssozialismus die Hauptakzente beim Erinnern an die Befreiung der Tschechoslowakei im Jahre 1945 bestimmte. Der Tag der Befreiung durch die Sowjetarmee, den man am 9. Mai beging, wurde 1952 neben anderen arbeitsfreien Tagen zum einzigen anerkannten Staatsfeiertag. Bei dem Gedanken an das Kriegsende hoben die Kommunisten besonders hervor, dass allein die Rote Armee die hauptsächliche und grundlegende Rolle bei der Befreiung von Prag gespielt habe. Obwohl sich diese Auffassung z.B. zur Zeit des Umgestaltungsprozesses im Staate und der Gesellschaft (ungenau als Prager Frühling bezeichnet) Mitte der 60er Jahre lockerte und Erwähnungen z.B. über die Rolle der vorstehend erwähnten sogenannten Wlassow-Truppen aufkamen, so blieb die schicksalsträchtige Verbindung der kämpfenden Prager Bevölkerung, der im letzten Augenblick die Rote Armee zu Hilfe eilte, unangetastet. Die Wlassow-Truppen wurden von den Historikern auch weiterhin vollkommen in Einklang mit der stalinistischen Auffassung als Kollaborateure, Opportunisten und kontrarevolutionäre Kräfte gesehen. Die Rote Armee blieb daher die einzige anerkannte ordentliche alliierte Kraft, die als erste das Gebiet der Stadt Prag erreichte.

Der Nachkriegskonsens dahingehend, dass allein die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei in Verbindung mit der Sowjetunion eine Rückkehr des Krieges in die Tschechoslowakei verhindern könne, wurde grundlegend durch die gewaltsame Beendigung des Umgestaltungsprozesses durch die sowjetische Okkupation im August 1968 gebrochen. Die Doktrin über die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei als «Friedenshüterin» war zwar auch weiterhin ein immer wieder ins Feld geführter Bestandteil der staatlichen Ideologie in der Zeit der sog. Normalisierung von 1969 bis 1989, wurde aber immer sinnentleerter. Die normalisierte Kommunistische Partei nutzt Gewalt im öffentlichen Raum zum ersten Mal im Verlaufe des Jahres 1969 zur Stabilisierung ihrer Machtposition. Danach versuchte sie jedoch, die Gewalt gegen die «gewöhnlichen Bürger» aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Dies betraf aber nicht die Gewalt, die gegen Gruppen verübt wurde, die die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei und die Mehrheitsgesellschaft nicht zu den anständigen Bürgern eines sozialistischen Staates zählen konnte. Repressionen gegen «asoziale Elemente», z.B. Anhänger von Beatmusik oder «Träger langer Haare», blieben somit ebenso an der Tagesordnung, wie das Inhaftieren und Terrorisieren von Opponenten in den Gefängnissen. Als die Repräsentanten der Diktatur der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei im November 1989 wieder Gewalt im öffentlichen Raum einsetzen, führte dies unter anderem auch deswegen zum plötzlichen Zusammenbruch des gesamten Systems.

Gedenkpolitik nach 1989

Nach 1989 rückte das Thema Rückkehr der Tschechen nach Europa immer deutlicher in den Diskurs, und zwar zusammen mit dem Thema der Wiederanknüpfung der Beziehungen zu den westlichen Ländern und der Bemühung, sich an deren Seite zu platzieren. Symbolisch schlägt sich das auch beim Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges nieder, wobei der ursprüngliche Staatsfeiertag bereits im Jahre 1990 in «Tag der Befreiung vom Faschismus» umbenannt und gleich im folgenden Jahr auf den 8. Mai als «Tag des Sieges» verschoben wurde. Beim Prozess der Aufarbeitung des Erbes der kommunistischen Diktatur beginnt man ganz natürlicherweise im historischen Narrativ zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Momente hervorzuheben, die im politischen Gedächtnis des vergangenen Regimes unterdrückt worden waren. Es entsteht Raum zum Beispiel für Erfahrungen mit der Brutalität der Rotarmisten. Damit gelangt aber auch eine ganze Reihe von Klischees und Vorurteilen in den Vordergrund. Etliche von ihnen haben dabei ihre Wurzeln noch in der nationalsozialistischen Propaganda gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, die nämlich versucht hatte, die unter dem «deutschen Protektorat» lebenden Tschechen von einem prosowjetischen Aufstand abzubringen. Es tauchten also Bilder von Rotarmisten als unzivilisierte Horden aus dem Osten, brutale tierische Bestien auf, die plündern, rauben, vergewaltigen usw. Zu diesen Klischees über die Rotarmisten kommen noch weitere Schichten familiärer Erinnerungen in Verbindung mit der Okkupation im Jahr 1968 hinzu, die nicht genau von den älteren Schichten getrennt werden können.

In den letzten 30 Jahren bildeten sich mehrere Konzeptionen der Erinnerungspolitik heraus, die in gewissem Maße den Streit um Konew widerspiegeln. Die Basis ist die Behauptung, dass die Rote Armee auf dem Gebiet von Prag überhaupt nicht gekämpft und die Stadt nur besetzt habe. Gegenüber der früheren Auffassung wird einerseits der Fakt hervorgehoben, dass die sogenannten Wlassow-Truppen nach dem Ausbruch des Prager Aufstandes der Schlüsselalliierte der Prager in ihrem Kampf für Freiheit geworden seien. Sie sollen dabei noch weitaus umfangreichere Massaker an Zivilisten verhindert haben, zu denen es gekommen wäre, sofern es den Nazi-Kommandos, die nach Prag vorrückten, gelungen wäre, den Aufstand ohne Hilfe der Wlassow-Truppen weit früher zu unterdrücken. Überdies wird erwähnt, dass sie in Prag in einer weitaus höheren Anzahl als die Rotarmisten gefallen seien. Dieser Narrativ stützt sich außerdem auf das historische Ressentiment der Prager, die auf die Befreiung durch Truppen der amerikanischen Armee hofften, die an der Demarkationslinie bei Rokycany stand. In diesem Zusammenhang wird auch die militärische Mission des Oberstleutnants Pratt erwähnt, die durch die 23. Eskadron der 16. Panzerdivision der US-Armee gesichert wurde, die in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai durch Prag fuhr und von einigen Pragern als Befreier oder als Vorbote des amerikanischen Vorstoßes in Richtung Prag begrüßt wurde. Das letzte wichtige Element dieser neuen Konstruktion der Befreiung bildet dann die Kapitulation, auf deren Grundlage die Streitkräfte Nazideutschlands nach 18 Uhr des 8. Mai 1945 mit ihrem Rückzug aus Prag begannen. Die Rote Armee kam daher nach dieser Konzeption in eine bereits befreite Stadt, und zwar als dritter Alliierter (nach den Wlassow-Truppen und den Amerikanern). Den Sowjets werfen die Befürworter dieser neuen Auslegung vor, dass sie es wegen eigener Machtinteressen den amerikanischen Truppen nicht erlaubt hätten, weiter in Richtung Prag vorzustoßen und selbst zu spät nach Prag gekommen seien.

Gegen diese Auffassung können jedoch mehrere nicht in Zweifel zu ziehende Fakten herangezogen werden, die diese neue Konzeption jedoch krampfhaft verdrängt. Die Wlassow-Truppen waren an der Ostfront nachweislich Verbündete des Dritten Reiches und hatten eine ganze Reihe von Kriegsverbrechen begangen. Die Truppen von Bunjatschenko eilten Prag zu Hilfe, da deren Oberbefehlshaber auf das Eintreffen der amerikanischen Armee hofften, der sie sich ergeben und als Verbündeter der Prager die Bedingungen für die Kapitulation in amerikanische Hände hätten aushandeln können. Selbst der Tschechische Nationalrat lehnte am 10. Mai 1945 weitere Hilfe seitens der ROA ab, die sich aus Prag zurückzog. Der Aufstand in Prag wurde militärisch niedergeschlagen, da es den nationalsozialistischen Streitkräften gelungen war, die Eröffnung der Stadt zum Rückzug in südwestlicher Richtung zur amerikanischen Linie auszuhandeln, was von Anfang an ihr Hauptziel war. Neben der episodenhaften militärischen Mission blieb die amerikanische Armee an ihren Positionen an der Demarkationslinie bei Rokycany stehen. Die Rote Armee kam in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1945 in die Stadt. Als die ersten Trupps im Laufe des Vormittags in die Innenstadt vordrangen, wurden sie als Befreier begrüßt. Rotarmisten haben bei der Besetzung der Stadt gekämpft und sind auch gefallen. Nicht zuletzt gilt ebenso, dass erst das Eintreffen der Roten Armee das definitive Ende der Kämpfe in den folgenden Tagen ermöglichte.

Doppelte Okkupation

Eine extreme Zuspitzung der vorhergehenden Konzeption ist die Behauptung, dass die Rote Armee im Mai 1945 die Tschechoslowakei nicht befreit, sondern okkupiert habe. Das Trauma vom Februar 1948 und vom August 1968 projiziert sich hier anachronisch bis ins Jahr 1945 zurück, als die sowjetischen Panzer angeblich die Totalität in die Tschechoslowakei gebracht haben sollen. Die Verfechter dieser Auslegung leugnen dabei vollkommen die autonome staatsrechtliche Entwicklung in den Jahren 1945 bis 1948 und behaupten demgegenüber, dass bereits im Jahre 1945 über die Errichtung des «kommunistischen totalitären Regimes» entschieden worden sei. Sie gehen davon aus, dass ähnlich wie auch die tschechoslowakische Suche nach dem sogenannten Dritten Weg im August 1968 durch die sowjetische Invasion beendet wurde, den tschechoslowakischen Menschen bereits im Jahre 1945 keine andere Wahl gelassen wurde, als sich der Sowjetunion und ihrer Armee unterzuordnen. Mit der These über die Doppelokkupation versuchen deren Anhänger, sämtliche Schuld für die Verbrechen des tschechoslowakischen Stalinismus der 50er Jahre und der Normalisierung der 70er Jahre zu verdrängen, für die ihnen zufolge allein die Sowjetunion und deren Panzer die Verantwortung tragen.

Es ist nicht gerade uninteressant, dass eine ähnliche Konzeption auch in Ungarn bei Orbán zu finden ist, der mit der These über die doppelte Okkupation (deutsche Okkupation 1944 und sowjetische Okkupation 1956) auch versucht, sich in die Rolle eines Opfers zu stilisieren und die Verantwortung für den Holocaust und die Verbrechen des Stalinismus abzustreifen. Ebenfalls im tschechischen Umfeld rekrutieren sich die Verfechter dieser These in beträchtlichem Maße aus den Reihen der konservativen Rechten.

Es ist also kein Zufall, dass die erste Welle des Streites um die Statue von Konew in Prag-Dejvice (Prag 6) im Jahre 2018 in der Gestalt von Informationstafeln aufgekommen ist, die seine spätere Rolle bei der Unterdrückung des Aufstandes in Ungarn, beim Bau der Berliner Mauer und der Okkupation der Tschechoslowakei im August 1968 erwähnten. Es war ganz im Gegenteil ganz offenbar ein sogenanntes Achter-Jahr – 2018 – in dem die Traumata vom Februar 1948 und August 1968 auflebten, die durch das historische Bewusstsein weitergetragen wurden, das rasch eine Parallele zwischen Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968 gezogen hatte. Daher wurde auch Konews Rolle im August 1968 erwähnt. die jedoch allein auf Vermutungen beruht und durch nichts belegt werden kann. Dies wurde allein durch die Bemühungen geleitet, seine Person in einer noch teuflischeren Gestalt darzustellen.

Fazit

Persönlich ist es für mich als Historiker schwer, zu derart zugespitzten und stark politisierten Streitigkeiten Stellung zu beziehen. Wenn das Konew-Denkmal lange 35 Jahre überdauert hat, hätte es meiner Meinung nach auch weiterhin die Öffentlichkeit zu kritischen Erwägungen über die Vergangenheit provozieren können. Wenn das Denkmal bei der Wende nicht gleich nach 1989 hinweggefegt wurde, dann hätte es auch nicht unbedingt durch die übermäßige Eitelkeit einiger Kommunalpolitiker gefährdet werden müssen. Aber es trat das totale Gegenteil ein. Ich werde über den Verlust des Konew-Denkmals wohl keine Tränen vergießen, denn so etwas Besonderes war es nun sicherlich auch nicht. Übrigens sind alle Denkmäler für Heerführer eigentlich widersprüchlich. Da wir mit ihnen der Idee des straffreien Tötens huldigen. Überdies, wenn derartige Denkmäler nicht dem Gedenken an die gefallenen Soldaten gewidmet sind, dann übertünchen sie eigentlich nur das wahre Wesen von Kriegen, das in der Ausbeutung von Massen unter dem falschen Vorwand der Befreiung besteht. Andererseits wurde hier ein Denkmal aus der Zeit der Normalisierung entfernt, das sich genau an der Stelle befand, an der die Rote Armee Prag im Mai 1945 betrat. Persönlich hoffe ich daher, dass es an dieser Stelle von einer würdigeren Erinnerungsstelle für die gefallenen Rotarmisten ersetzt wird. Da sich das nun leere Podest auf dem Platz der Interbrigade befindet, könnte ein entsprechendes neues Kunstwerk außerdem allen Opfern und Kämpfern gegen den Faschismus gewidmet werden. Dort würde ich im Mai gern einmal einen Strauß Flieder niederlegen.