Schlecht sanierte Häuser und alte Heizsysteme sind nicht nur ein Problem für das Klima, sondern vor allem für diejenigen, die darin wohnen. Heiße Wohnungen im Sommer, zugige Winter, Schimmelbildung, stotternde Heizungen oder wenig Behaglichkeit sind das eine – hohe Heizkosten-Nachforderungen das andere. Die fallen in diesem Jahr fast ein Drittel höher aus als im Vorjahr, zeigen aktuelle Zahlen.
Trotz dieser Dringlichkeit war Klimaschutz beim Wohnen lange ein Nischenthema. Auseinandersetzungen drehten sich vor allem vor Ort um die Kosten einzelner energetischer Sanierungen. Erst der Heizungsstreit der Bundesregierung im Frühling und Sommer hat das Thema ganz nach oben auf die politische Agenda gesetzt – und durch das Gegeneinander-Ausspielen von sozialen gegen klimapolitische Notwendigkeiten der Wärmewende einen Bärendienst erwiesen.
Wie aber kann Wohnen klimaneutral und gleichzeitig bezahlbar werden – und was muss dafür passieren? Diese Fragen brachte am 10. bis 12. November 2023 etwa einhundert Aktive aus der Mieten- und der Klimabewegung, aus Wissenschaft, Politik und Verbänden zur Werkstatt „Wohnen klimagerecht Organisieren“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen. Ein erster Bericht über die dort geführten Debatten ist bereits als Radiobetrag erschienen.
Die soziale Wärmewende – kein Zielkonflikt
Die soziale Frage beim Wohnen, so viel ist klar, ist nicht von ökologischen Fragen zu trennen. Denn es sind allen voran die Menschen mit geringeren Einkommen, die in schlecht sanierten Gebäuden leben und die besonders unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden, betont Elisabeth Staudt von der Deutschen Umwelthilfe bei der Abendveranstaltung. Deshalb hat sich unter Mietervereinen und Umweltverbänden längst die Erkenntnis durchgesetzt: Die Wärmewende muss kommen, und sie muss sozial gerecht sein, um gelingen zu können.
Allerdings wehren sich Mieter*innen seit vielen Jahren gegen Luxusmodernisierungen unter dem Deckmantel energetischer Sanierungen oder den Missbrauch von Klimasanierungen zur Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Denn solche Sanierungen waren und sind eine bevorzugte Strategie von Eigentümer*innen, die Mieten und damit ihre Profite langfristig in die Höhe zu treiben. Doch im Laufe der Werkstatt wird immer wieder deutlich gesagt: Mieter*innen wehren sich nicht gegen sinnvolle energetische Sanierungen. Denn ineffiziente Gebäude machen arm, krank und verschärfen die Auswirkungen der Klimakrise, die schon jetzt gesellschaftlich an den Rand gedrängte Menschen – lokal wie global - am stärksten zu spüren bekommen. Dieser soziale Sprengstoff der (ausbleibenden) Wärmewende, das zeigte Irmela Colaço vom BUND in ihrem Vortrag, werde politisch gelegt. Es gäbe keinen Widerspruch, keinen Zielkonflikt zwischen sozialen und Klimazielen, sondern einen Umsetzungskonflikt: die sozial gerechte Wärmewende sei möglich, sie müsse nur politisch gewollt und durchgesetzt werden. Das gelte auch für den Heizungstausch und die kommunale Wärmeplanung, wie Uwe Witt, Klimareferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in seinem Beitrag zum Themenkomplex deutlich machte.
Warum «Werkstatt»?
Der Scheinwiderspruch zwischen Bezahlbarkeit und Klimaschutz lässt sich in der hitzigen Debatte und angesichts der ganz anderen Kulturen der Mieten- und der Klimabewegung nicht so leicht auflösen. Im persönlichen Austausch, und in einer gemeinsamen Praxis aber schon. Deshalb war die Wochenendveranstaltung als «Werkstatt» angelegt: als ein Ort der Praxis, des Unfertigen, des Lernens und der Entwicklung. An diesem Wochenende standen neben dem Wissenstransfer, die Begegnung und Inspiration, der Erfahrungsaustausch und die Verabredung weiterer gemeinsamer Schritte im Mittelpunkt. Auch die Teilnehmenden waren gefragt, aktiv an der Werkstatt mitzuarbeiten, indem am Sonntagnachmittag Zeit für selbstorganisierte Workshops und Impulse der Teilnehmenden reserviert war.
Als es um das Konkrete ging, wurde klar: Selbst in ihrer Unterschiedlichkeit können Gruppen und Bewegungen sich gegenseitig ergänzen und unterstützen. Das haben die gemeinsamen Austauschphasen in der Großgruppe, angeleitet durch Ronald Höhner und Caroline Hüglin von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und vor allem auch die praxisnahen Workshops von Antje Dietrich und Daniel Gutiérrez von der Werkstatt für Bewegungsbildung bzw. Jana Ahlers und Camilo Alvarez Garrido von European Alternatives vermittelt. «Transformative Gesprächsführung» und «Strategic Movement Mapping» sind nur zwei Werkzeuge, die helfen können, Gräben zu überbrücken sowie Schnittstellen zwischen der Mieten- und Klimafrage zu entdecken und Allianzen aufzubauen.
Die Praxis ist schon da
Das Wochenende hat plastisch gemacht, dass die Kämpfe um sozial- und klimagerechtes Wohnen bereits stattfinden. Die Architects for Future sind Teil eines bundesweiten Bündnisses für ein Abrissmoratorium, mit denen nicht nur bezahlbarer Wohnraum vor Vernichtung geschützt, sondern auch Ressourcen und Klima geschützt werden sollen. In Berlin hat sich ein Anti-Abriss-Bündnis gegründet, in Potsdam wurde der Protest gegen den Abriss des Staudenhofs zum stadtweiten Thema. Doch konkrete Kämpfe um Abrisse sind langwierig, betonen Daniel Diekmann der Interessensgemeinschaft Habersaathstraße und Bernd Tretau aus der von Abriss bedrohten Jagowstraße 35. Eine solidarische Prozessbegleitung und ein Interesse der Öffentlichkeit könne vor Gericht unter Umständen das Zünglein an der Waage sein, macht auch Franziska Schulte vom Berliner Mieterverein deutlich.
In einigen Städten finden außerdem Klimaaktivist*innen und Mieteninitiativen in der Kampagne «Sozial Wärmewende jetzt!» zusammen. Diese verabredete in ihrem Workshop am Sonntag gemeinsame nächste Schritte, wie Klimaschutz ohne Mieterhöhung eingefordert werden kann. In Frankreich waren solche Kämpfe bereits erfolgreich: Zwei Organizer*innen der Alliance Citoyenne aus Grenoble und Lyon, Adrien Roux und Christophe Escoffier berichten, wie sie sich gemeinsam mit Mieter*innen in schlecht sanierten Häusern organisieren: Durch die Skandalisierung von Wohnhäusern als Energieschleudern, für die unrechtmäßig die volle Miete verlangt werden kann, durch planvollen Organisationsaufbau und gezielte Kampagnen von der lokalen über die nationale bis hin zur europäischen Ebene. Auch Damir Arsenijevic und Adnan Gavranović von Front Slobode aus Tuzla, Bosnien, haben eindrücklich davon berichtet, wie sich Nachbarschaften in Versammlungen organisieren: Aus einem Akt der Notwehr heraus – gegen die Umweltverschmutzung durch eine neokoloniale fossile Industrie an der Peripherie Europa – aber auch für ökologische und soziale Lösungen beim Heizen und für eine Demokratisierung der Gesellschaft von unten.
Nächste Schritte
Ein Ansatzpunkt für nächste Schritte können die Großsiedlungen sein, wo in kurzer Zeit viele Emissionen eingespart und gerade für Menschen mit geringeren Einkommen die Miet- und Wohnsituation verbessert werden könnte. Ob und wie das gelingen kann, diskutierten Tony Pohl vom Mietentisch Gropiusstadt, mit Tabea Latocha von Stadt für alle Frankfurt am Main und Niklas Schenker als Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin im Workshop «Sonne und Beton». Durch Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, einer nachhaltigen Energieversorgung und weiteren Verbesserungen im Quartier ließe sich nicht nur die Lebensqualität erhöhen, sondern auch die Akzeptanz für notwendige, bauliche Maßnahmen. Ähnlich wie aus internationaler Perspektive wurde auch für die Organisierung in Großwohnsiedlungen der Prozess als grundlegend demokratisch und demokratisierend begriffen: Aus der Ohnmacht gegen große, oft private Wohnungskonzerne könnten Betroffene auf diese Weise in aktive Rollen eintreten, um sozial und klimagerechten Wohnraum zu schaffen.
Beim Abendpodium «Eine gerechte Wärmewende ist möglich» betonte auch Firdes Firat, aktiv in der Klima-AG von Deutsche Wohnen und Co enteignen, dass Klimaschutz beim Wohnen am Ende auch von den Eigentumsverhältnissen abhängen kann. Gerade die großen Wohnungskonzerne haben jahrelang die Instandhaltung und Sanierung vernachlässigt, während sie Milliardengewinne verbucht haben. Diese Gewinne müssten den Bewohner*innen zukommen. Wie klimagerechtes Wohnen in einer gemeinwirtschaftlichen Wohnraumversorgung möglich ist, zeigt deren neue Broschüre, die auf der Werkstatt erstmals vorgestellt wurde. Am Sonntag tauschten sich dann der Berliner Energietisch, RWE enteignen und Communia darüber aus, wie die Vergesellschaftung von Wärme- und Energienetzen zu einem gemeinsamen Anker von Mieten- und Klimabewegung werden kann.
Weitere Ideen reichten von einem gemeinsamen Kalender der Mieten- und Klimabewegung über lokale Recherchen von schmerzlich fehlenden Eigentums-, Mieten- und energetischen Daten bis hin zu einem organisierten Einbringen in die kommunale Wärmeplanung, um die richtigen Weichen für eine soziale Wärmewende zu stellen.
Die drei Tage intensiven Austauschs fanden ihren Abschluss in einer gemeinsamen Fishbowl-Diskussion über eindrückliche Erkenntnisse und mögliche nächste Schritte. Es wurde deutlich: Die Werkstatt wurde als ein Aufbruch empfunden. Sie war verbunden mit der Hoffnung, weitere Akteure in die begonnene Vernetzung von Klima- und Mietenbewegung einzubinden: Gewerkschaften ebenso wie feministische Care-Initiativen und (post-)migrantische Organisierungen. Denn das Wochenende machte klar: Es braucht den Druck von unten, um sozial- und klimagerechtes Wohnen wieder ganz oben auf die politische Agenda zu setzen.
Präsentationen
- Alliance Citoyenne: 10 years of tenants campaigns against leaky homes in public housing (pdf 6 MB)
- Irmela Colaço: Energetische Modernisierung in Mietwohnungen (pdf 2 MB)
- DWE: Wohnen, klimagerecht! (pdf 627 KB)
- Front Slobode Tuzla stellt sich vor (pdf 845 KB)
- Dietrich Gutierrez: Nailing the One-on-One (pdf 1 MB)
- Elisabeth Staudt: Attempting to align social and climate challenges in the building sector (pdf 1 MB)
- Uwe Witt: Heizungstausch / Kommunale Wärmeplanung (pdf 2 MB)
- Werkstatt-Programm (pdf 1 MB)