Die Kunst in Kuba zu leben und zu überleben

Stimmen aus einem Land in der Zerreißprobe

Wandbild des Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) in Havanna
Die Revolution ist, in Form von Wandbildern und Schriftzügen, überall in Havanna präsent Wandbild des Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) in Havanna, Carol M. Highsmith, Public domain, via Wikimedia Commons

Wenn vielerorts über Kuba diskutiert wird, bleibt es meist bei zwei sich konträr gegenüberstehenden Positionen. Zwischentöne, ein kritisch-solidarisches Auseinandersetzen mit den realen Gegebenheiten findet kaum statt. Aber gerade dies wäre wichtig. Deshalb stellen wir hier drei Reportagen vor, die sich auf keine «Seite» schlagen, sondern verschiedene Facetten des Alltags auf der Insel, Ende 2022, beleuchten: zur allgemeinen Versorgungslage, den Schwierigkeiten bei der Energieversorgung und der Migration.

Kuba durchlebt eine extrem komplexe Situation, vielleicht die schwierigste seit dem Sieg der Revolution 1959 und dem anschließenden Prozess, der Umsetzung einer tiefgreifenden Transformation, mit dem Ziel gesellschaftlicher Gerechtigkeit und Gleichheit. In den vergangenen 64 Jahren musste das Land dabei immer wieder unterschiedlichste Herausforderungen meistern, von dem Versuch einer direkten Invasion, permanenten Anfeindungen, der Finanzierung von Terrorzellen, Attentaten, einem andauernden Wirtschaftskrieg, Abschottung und Blockade, angeführt von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und exilkubanischen Zirkeln in den USA. Die 1960 von den USA verhängte völkerrechtswidrige Blockade Kubas wurde in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft.

Mit dem Mauerfall und dem Ende der Sowjetunion und des sozialistischen Ostblocks verlor Kuba nicht nur politische Unterstützung, sondern vor allem wirtschaftliche. Auch als Reaktion auf diese Entwicklung setzte die kubanische Regierung zunehmend auf den Tourismus, einer der mit am stärksten von der Pandemie bzw. den mit ihr einhergegangenen Einschränkungen betroffenen Wirtschaftszweige, was zu dramatischen Einbußen in der Finanzierung des Staatshaushalts führte. Umso beeindruckender ist, dass es dem Land gelang seine eigenen Impfstoffe zu entwickeln und herzustellen, seine Bevölkerung damit effektiv zu schützen.

Just in der pandemiebedingten zugespitzten Wirtschaftslage verhängte US-Präsident Trump, wenige Tage vor Ausscheiden aus dem Amt, eine Unzahl zusätzlicher Sanktionen gegen Kuba und setzte das Land auf die US-Liste staatlicher Förderer des Terrorismus. All dies mit zusätzlichen, verheerenden Auswirkungen für den Handel, die Wirtschaft und Finanztransaktionen.

So kommt es aktuell zu weitreichenden Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten und medizinischen Bedarfsmitteln, Treibstoffen und Baumaterialien. Für die Menschen auf Kuba bedeutet dies nicht nur Schlange stehen, sondern sich Tag für Tag aufs Neue organisieren zu müssen, auf der Suche nach dem Nötigsten.

Die zunehmende Anzahl an Personen, die das Land verlassen, resultiert aus der Summe dieser Faktoren. Die Migration hat heute ein anderes Gesicht: Es sind nicht primär Dissident*innen, die Kuba den Rücken kehren, es sind überwiegend junge, gut ausgebildete Personen, die keine Perspektiven mehr sehen, wie sie ihre Bedürfnisse und persönlichen Lebensprojekte verwirklichen können.

Zu unterschiedlichen Momenten kam es zu sozialen Protesten, die von Teilen der kubanischen Bevölkerung auch auf die Straßen getragen wurden, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Die legitimen Forderungen der Protestierenden sind anzuerkennen und die Reaktion des Staates verdient ein selbstkritisches Überdenken. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass an einer Destabilisierung interessierte Kreise aus Politik und kubanischer Diaspora in den USA sowie politische Gegner*innen im Land diese Situationen erneut genutzt haben, um die kubanische Regierung weiter zu schwächen.

Unser Anliegen ist es über konkrete Stimmen Einzelner Einblicke in Lebensrealitäten zu vermitteln, die keineswegs für alle, aber ohne Zweifel für die Mehrheit der Kubaner*innen den Alltag bestimmen. Die «Geschichte vom Ei» beschreibt die derzeit extrem angespannte Versorgungslage anhand konkreter Beispiele. In «Licht und Dunkelheit» geht es um die Auswirkungen der unzureichenden Stromproduktion, vor allem in den Provinzen, es wird aber auch deutlich gemacht, dass die kubanische Regierung die Strompreise weiter subventioniert, um die Haushalte nicht zusätzlich zu belasten. «Ich besuche die Vulkane» ist eine sehr persönliche Erzählung über Beweggründe und Routen der Migration.

Damit möchten wir den Leser*innen nicht nur die enormen Herausforderungen näherbringen, mit denen sich die meisten Kubaner*innen tagtäglich auseinandersetzen. Wir wollen gleichermaßen aufzeigen welche Möglichkeiten und Privilegien ein System wie das kubanische für seine Bevölkerung entwickelt hat. Auch wünschen wir uns, dass diese Einblicke zu einer kritischen Reflexion beitragen, getragen von der Anerkennung der Erfolge der Revolution sowie ihres Bestrebens das revolutionäre Projekt weiterzuentwickeln.
 

Patricia Zapata, Projektkoordinatorin im Mexiko-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung
Dieter Müller, Direktor des Mexiko-Büros der Rosa Luxemburg Stiftung