Nachricht | Mexiko / Mittelamerika / Kuba «Ich besuche die Vulkane»

Die Stimme einer kubanischen Migrantin

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Grenzzaun Mexiko - USA, bei Tijuana
A metal fence separates the US and Mexico at the border in Tijuana.
 
 

 

 

CC BY 2.0, Photo: Flickr / Daniel Arauz

Das Phänomen der Emigration von Kubaner*innen in die USA oder nach Europa hat in der auf die Pandemie folgenden Krise nie dagewesene Ausmaße angenommen. Es ist so relevant geworden und hat sich so schnell entwickelt, dass die Journalismus-Studiengänge an kubanischen Universitäten das Thema Demografie und Migration in den Studienplan aufgenommen haben. 2022 haben nach Angaben der US-Grenzbehörden fast 225 000 Kubaner*innen die Insel verlassen.

Seit Januar 2023 hat die US-Regierung eine weitere Maßnahme ergriffen, um die Migration zu kontrollieren. Sie führte das Programm Parole (so der englische Name) ein: Es sieht vor, monatlich die Einreise von maximal 30 000 Kubaner*innen, Venezolaner*innen, Nicaraguaner*innen und Haitianer*innen zu ermöglichen. Diese müssen zuvor online eine Erlaubnis, die Parole, beantragen und dafür nachweisen, dass Verwandte oder Bekannte, die bereits in den USA leben, für ihren Unterhalt aufkommen können. Die Regelung sieht zugleich vor, dass alle Personen, die ohne Erlaubnis die US-Grenze überqueren, umgehend abgeschoben werden und in den kommenden fünf Jahren nicht in die USA einreisen dürfen. Der Gedanke dabei ist, Migrant*innen, die Mexiko auf dem Weg in die USA durchqueren, von ihrem Vorhaben abzubringen und die Einreiseregeln zu vereinheitlichen.

Federico Mastrogiovanni, italienischer Journalist, lebt seit 2009 in Mexiko und verbindet dort Lehre und Praxis. Er begleitet indigene Organisationen und Gemeinwesen, soziale und ökologische Bewegungen. Für sein Buch «Ni vivos ni muertos» («Weder lebendig noch tot») über das gewaltsame Verschwindenlassen in Mexiko wurde er 2015 mit der Auszeichnung der mexikanische PEN-Vereinigung geehrt.

Bisher war die Option, die Kubaner*innen oft in Gesprächen erwähnten, «die Vulkane zu besuchen». Das bedeutete, nach Nicaragua zu reisen, ein Land, für das die Kubaner*innen kein Visum brauchen. Dort beginnt ihr langer Weg, der über Honduras, Guatemala und Mexiko gen USA führt.

Eine folgenschwere Entscheidung

Im November 2022 entschloss sich Zoraida, Besitzerin eines Hauses, das sie seit fast 30 Jahren an Tourist*innen vermietete, Santiago de Cuba zusammen mit ihrem jüngsten Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin Richtung Miami zu verlassen.

«Ich breche am Freitag um sechs Uhr morgens auf. Erst nach Santo Domingo und dann von Santo Domingo nach Kingston, Jamaika. Von Kingston nach Nicaragua und danach… Es wird Zeit, ich werde dort erwartet, mein Sohn Toño auch. In Managua. Ich geh mit ihm, meiner Schwiegertochter, der Frau von Simón, meinem Großen, und ihrer Tochter. Ich tue das für sie, aber auch für mich. Und für sie ist es notwendig. Ich meine, dass ich dabei bin. Ja, mein Sohn setzt auf mich, meiner Tochter soll nichts passieren. Ich habe mich gerade erst dazu entschieden. Meine Neffen sind im März fort. Alle sind gegangen, für meinen Sohn, den jüngeren, war das ein Schock. In diesem Haus lebten viele Personen, viele Leute, es strotzte vor Freude und Jugend. Mein Sohn Toño war also völlig geschockt. Und ich hatte keine andere Wahl.

Mein anderer Sohn, Simón, der ältere, kam am falschen Ort zur Welt. Von klein auf sagte er, sein Zuhause seien die USA. Seit er zu sprechen anfing, erklärte er, er sei Amerikaner. Er kleidete sich komplett wie ein Amerikaner. Absolut in allem, allem, allem. Er spricht Englisch, ist schlau, Informatiker. Er hat angefangen Computertechnik zu studieren und arbeitet jetzt als technische Fachkraft, weil er die Uni nicht zu Ende machen wollte. Toño ist holistischer Masseur. Er hat seine Sport- und Fitnessausbildung im zweiten Jahr abgebrochen. So ist die Lage. So ist sie, und uns bleibt nichts anderes übrig. Und ich… Meine ganze Jugend habe ich hier verlebt. Voll und ganz, meine Jugend. Seit Simón zur Welt kam, arbeite ich hier in diesem Haus. Schau, ich bin 56 und habe keine Zukunft. Ich bin es leid. Ich leb gut, hab ein ordentliches Haus, hab meine Familie, aber ohne meine Kinder… einer ist schon weg und der andere will gehen, mir bleibt nichts anderes übrig. Was soll ich machen? Also, ich weiß nicht. Ich stelle mir vor, wie noch einmal geboren zu werden. Ich glaube, das ist etwas völlig anderes, wie ein anderes Leben, dem ich mich gegenübersehen werde. Mein Sohn sieht das anders, Nein, sagt er mir: ‹Mama, mach dir keine Sorgen, du kommst so wie du bist, du wirst schon sehen, Mama.›

Ich kann anpacken, so eine Person bin ich, ich habe vor nichts Angst, vor keiner Arbeit. Wenn ich irgendwen im Krankenhaus pflegen muss, dann pflege und umsorge ich dich, mache alles, zack, zack. Ich sorge für dich, weil mir das in der Seele liegt, ich will, dass es dir gut geht. So bin ich. Und wenn ich ein Haus putzen muss, dann putze ich es, und zwar gerne. So bin ich. Wenn ich eine kranke Person pflegen muss, dann pflege ich sie. Und zwar gerne.»

Zoraida hat 25 Jahre lang Zimmer in ihrem Haus in Santiago de Cuba vermietet und Tourist*innen aus vielen Ländern empfangen, alles vorschriftsgemäß, nach den Regeln des kubanischen Staats. Sie gehört nicht zu denen, die am meisten unter der Wirtschaftskrise und mangelnder Versorgung gelitten haben, denn sie hatte immer Zugang zu ausländischen Währungen: Dollar und Euro. Darum hat sie fast 30 000 Euro zur Verfügung, um mit ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin über Nicaragua, Honduras, Guatemala und Mexiko nach Miami zu reisen.

«Mir ist es egal, ob es hier manche Lebensmittel gibt oder nicht. Es stimmt, es gibt viele Dinge nicht. Ich bin jemand, der alles isst, da mach ich mir über Lebensmittel keine Gedanken. Aber die traurige Stimmung gefällt mir nicht, da kann ich nichts mit anfangen. Ich gehe auf die Straße, sehe mir die Gesichter der Leute an und suche das Glänzen in ihren Augen. Ihnen fehlt dieses Glänzen, ihnen fehlt die Hoffnung. Ich gehe nicht gerne raus auf die Straße, ich bin hier in meinem Haus und lasse mir die Sachen lieber bringen als selber auf die Straße zu gehen. Denn wenn ich in der Schlange stehe und in einen Streit oder so etwas gerate, dann werde ich eingebuchtet. Ich streite und verteidige mich, ich kann Ungerechtigkeit nicht leiden. Also, um den Streit zu vermeiden, geh ich nicht aus dem Haus. Meine Söhne haben mir das verboten: ‹Mama, du gehst nicht mehr raus auf die Straße›. Denn ich streite mich, ich kenn das.

Reise nach Miami mit Umwegen

Also gehe ich nach Miami und fange ein neues Leben an, wie neu geboren. In meinem Haus läuft das Geschäft weiter, meinen Schwestern habe ich bereits eine spezielle Vollmacht erteilt, damit sie das Geschäft übernehmen, denn ich habe Kunden. Ich habe mit ihnen gesprochen, sie bekommen die Sondervollmacht, alles ok, alles. Hier gibt es nichts. Was kann ich dem Kunden schon anbieten? Kein Brot, nicht einmal ein Sandwich. Ich kann ihm nichts anbieten, weil ich es nicht habe, weil es nichts gibt. Es gibt nichts.

Mein Sohn Simón ist seit März weg, schon acht Monate. Ich bin 2017 nach Surinam gereist. Da bin ich aus Kuba rausgekommen. Das hat mich noch mehr aufgerüttelt. Ich wurde in einer Familie geboren, die war absolut revolutionär. Mein Vater ist Oberst im Ruhestand, er war im Innenministerium, ist 84 Jahre alt. Er arbeitete mehr als 60 Jahre unter dieser Regierung, schloss sich damals den Aufständischen an. Ja, mein Vater gehörte zu den Rebellen. Meine Mutter ebenfalls, Bäuerin in der Sierra Maestra, sie hat den Rebellen geholfen. Also, ich kam nicht in einer Familie zur Welt, in der alle in den USA gelebt haben. Aus der Familie gab es niemand, der im Ausland lebte. Eine Cousine, die 1998 ein US-Visum ergatterte und ihre Familie dort. Aber sonst niemand. Doch jetzt mit dem ganzen Exodus, da sagte mir Simón: ‹Mama, ich geh.› Und ich: ‹Aber wie? Wie willst du das anstellen?› Und er? Kam mit dem Ticket in der Hand, und ich: ‹Simón, aber Simón›: Ich begann, Sachen zu verkaufen, zu verkaufen und immer mehr zu verkaufen. Ich verkaufte das Bett, verkaufte alles, um ihm die Reise zu finanzieren. Mein Simón ist 34 Jahre alt. Er hat viele, viele Jahre als Informatiker in einem Kinderkrankenhaus hier in der Siedlung gearbeitet. Er sagte mir: ‹Schau Mama, guck dir das Abschlusszeugnis an, schau hier. Hier verdiene ich nicht, was ich verdienen will. Schau hier, damit du es selber siehst. Das ist jetzt deins.› Und weg war er. Er nahm viele Arbeiten an, arbeitete an Installationen von Künstlern mit. Die zahlen ihren Beschäftigten eine große Stange Geld. So bekam er was zusammen, kein Riesenvermögen, denn die Reise nach Nicaragua kostete ihn 3800 US-Dollar. Er reiste über Mexiko: Havanna-Nicaragua-Mexiko. Am 2. März ging er weg. Es war schrecklich. Ich wog 81 Kilo und dann nur noch 75 Kilo, hier, in diesem Sessel habe ich gelitten. Jeden Morgen nach dem Aufstehen habe ich Kerzen, Kerzen und noch mehr Kerzen angezündet, gebetet und wieder gebetet, alle Jungfrauen auf der Welt und Gott angefleht. Mein Sohn und ich, in Gedanken und über Handykontakt bin ich mit ihm drei Tage in der guagua, im Bus, mitgereist. Von Tapachula bis nach Mexicali, drei Tage in der guagua, und ich mit bei ihm, morgens, nachmittags, nachts. ‹Komm Kind, schlaf ein bisschen›, ‹mir ist kalt›, ‹halte dich warm›, ‹ich habe den ganzen Tag Krämpfe›, ‹steh auf›. ‹Mama, es ist sehr dunkel›: ‹steh auf, beweg den Fuß, lass ihn nicht einschlafen, zieh den Fuß nicht aus dem Schuh, denn danach passt er nicht mehr hinein.› Mein Sohn kam mit vergammelten Füßen in den USA an, vergammelt, verfault. Aber er kam an. Jetzt lebt er im Haus einer kubanischen Freundin von mir, die Geld hat. Er arbeitet in einer Fabrik, die stellt Bootsstahl her, zusammen mit dem Ehemann meiner Freundin. Denn meine Freundin hat die amerikanische Staatsbürgerschaft und ihr Mann ebenfalls. Sie hat ein gutes Haus, mit Schwimmbad, und behandelt ihn wie ihren Sohn. Meine Freundin hat zwei amerikanische Söhne, sie lebt seit mehr als 30 Jahren in den USA. Sie ist sehr jung weggegangen. Simón ist wie ihr eigener Sohn, weil ihre Söhne nicht mehr bei ihr leben und sie arbeitet an der Universität von Orlando. Wenn ich ankomme, werde ich bei ihr wohnen, bis wir uns selber über Wasser halten können.»

Nicht alle lateinamerikanischen Migrant*innen finden in den USA die Bedingungen vor, die die Kubaner*innen bei ihrer Ankunft haben. Die kubanische Migration ist privilegiert, weil es leichter für sie ist, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Genauso ist der Weg in die USA für sie weniger traumatisch als für die Mehrheit der Mittelamerikaner*innen. Zoraida wird von Santiago de Cuba aus mit dem Flugzeug nach Kingston, Jamaica, reisen. Dort ist der Plan, nach Managua weiterzufliegen, wo einige coyotes, Schleuser, auf sie warten. Sie wird Honduras, Guatemala und Belice durchqueren, bis sie mit dem Auto nach Cancún kommt. 

«In Cancún werden wir einen Direktflug nach Mexicali nehmen. Bei Mexicali stellen wir uns den US-Behörden. Die Reise dauert sieben Tage. Sieben Tage. Am 16. Dezember müssen wir einreisen. Sieben Tage, mit einem coyote, einem Schlepper, den wir außerdem kennen. Ein Kubaner, der in den USA lebt. Er holt uns nicht ab, aber er hat seine Leute. Er koordiniert Leute in Nicaragua und andere, die in Honduras sind. Mit ihm ist schon ein ganzer Haufen Leute gereist. Die Reise ist wunderbar. Für jede Person 7500 US-Dollar. Für jede Person, auch für meine kleine Enkeltochter. Pro Person 7500. Wir sind vier: ich, mein Sohn Toño, meine Schwiegertochter, die Frau von Simón und ihre Tochter. Es ist viel Geld, aber als ich mit Simón sprach, sagte er mir: ‹Nur Ruhe, Mama.› Mein Sohn hat gearbeitet, er hat die Hälfte des Geldes bezahlt. Die andere Hälfte kam von woanders her. Wir werden alle arbeiten. Ich werde auf jeden Fall arbeiten, denn zumindest ich bin immer eine sehr unabhängige Person gewesen und mir gefällt es, mein Geld zu haben. Ich komme immer noch für meine Kinder auf und helfe ihnen. Meine Großmutter hatte einen Spruch und der sagte: eine Mama kann zehn Kinder haben, aber zehn Kinder sind nicht genug, um eine Mama zu ernähren.

Schwerer Abschied

So ist das halt. Ich habe mich also entschieden und gehe weg. Gestern habe ich die Bombe meiner Schwester gegenüber platzen lassen und danach habe ich es meiner Mutter und meinem Vater gesagt. Wenn es möglich ist, komme ich zu Besuch, wie das viele Leuten machen. Ich hole mir die Aufenthaltserlaubnis und komme zu Besuch und bereise die Welt mit meinen Kindern. Mit dem legalen Wohnsitz kannst du nach Kanada gehen, überall hin, wie es dir passt, und das ist mein Ziel. Ich bin 56 Jahre alt. Ich habe das Bild meiner Mutter, meiner Eltern vor mir und ich möchte dieses Leben nicht. Ich bin nach Surinam gereist, ich habe ein Fünfjahresvisum für Panama, aber ich war nie in Panama. Die Pandemie hat dazu geführt, dass die Leute die Augen mehr öffnen, die ganze Welt, nicht nur Kuba.

Neulich sagte meine Schwester mir, lass uns zum Mesón gehen. Ich antwortete, los geht‘s Schwesterherz! Ich habe verrückter als ein Kreisel getanzt, genossen, gelacht und bin glücklich nach Hause gegangen. Siehst du? Gott muss mir viel Gesundheit geben, ein himmlisch gutes Leben auf Erden. Schöne, hübsche Dinge sehen, das gefällt mir. Ich bin nicht gerne traurig, Dreck und Armut gefallen mir nicht. Sie deprimieren mich! Meine Mama ist 81, bald wird sie 82. Sie ist ganz klar im Kopf und wir halten sie auf Trab. Tja, meine Mutter, die macht uns verrückt. Sie ist alt und will mehr als 20 Dinge machen, die sie nicht machen kann. Sie sagt, ‹autsch, mir tut der Rücken weh› und wir sagen ihr ‹dann mach das nicht›, aber lassen sie gewähren. Sie kocht und sie hängt Wäsche auf, weil sie ihre grauen Zellen in Form halten will. Sie liest die Zeitung, sie näht, sie macht alles. Du musst sie ihre Dinge machen lassen, all das, was sie tut, so dass sie nicht untätig bleibt. Und gestern ist sie mir traurig geworden, gestern war sie niedergeschlagen. Ich habe sie geküsst, gab ihr viele Küsse. Und erstmal mein Vater, du große Güte! Ihm kamen die Tränen als ich ihnen verkündigte, ich würde gehen. Mein Papa nennt mich ‹Puti›, aber verdammt nochmal, ‹Puti›. Und ich ‹Was soll's Papi, die Jungs sind dort, sie brauchen mich, ich muss mich um diese ganze Schar kümmern, sie finden sich nicht zurecht, ich muss gehen… ihnen den Kopf richten, nach den Papieren sehen, dies und das regeln, sehen, wie es steht›. Und ihm kamen einfach die Tränen.

Ich muss fortgehen, lass uns sehen, wie die Lage ist, wir bekommen das hin. Außerdem, wenn sich jetzt alle zusammentun und Geld, Geld, Geld verdienen, dann können wir ein Haus…, vielleicht nicht kaufen, aber ein Haus mieten, alle zusammenleben. Sie haben immer alle zusammengelebt. Toño ist superglücklich, er wird mit seinen Cousins, mit seinem Bruder zusammen sein.

Neues Leben im Kapitalismus

Als mein Sohn unterwegs war, habe ich Gott angefleht. Ich kniete und sagte ‹lass ihn gut ankommen, lieber Gott›. ‹Liebe Jungfrau von Guadalupe, lass ihn ohne Probleme dein Land durchqueren.› Alles, worum eine Mutter erbitten kann. Mein Sohn sagte mir, ‹Mama, ich fühle mich als ob mich jemand ziehen würde› als er den Fluss überquerte. Er durchquerte den Fluss, weil er oben bei Kalifornien, über San Diego, Tijuana oder Mexicali über die Grenze kam. Er kam dort rüber und sagte mir ‹Alles klar Mama, ich hab‘s hinter mir, Mama, ich bin schon hier›. Mein Gott, das war… Ich weinte. Die Freude war so riesig, die Aufregung so stark, so viele Dinge, die ich gar nicht ausdrücken kann. Allein, mein Sohn ging ganz allein und hatte das Glück, dass sie ihn nicht entführten, ihm nichts passierte. Aber ich möchte nicht hierblieben. Ich will nicht. In Miami feierten meine Freunde, die ihn empfingen, seinen Geburtstag. Ach, mein glücklicher Sohn. Ich möchte ihn sehen. Und er sagt mir, ‹Mama, bleib ruhig, du wirst schon sehen, alles wird gut, Mama›. Ich sterbe vor Ungeduld, aber gut. Ich werde leben. Viermal hat er mich heute Morgen angerufen, er ruft mich oft an, denn am Neunten um 6 Uhr früh mach ich mich auf den Weg, der Flug geht um 10:45 Uhr. Wir müssen um 8 Uhr dort sein. Mein Sohn Simón sagt, er wird mit mir auf einer Jolle einen Ausflug machen, wenn ich ankomme. Hier ist das Foto.»

Zoraida brach am 9. Dezember 2022 nach Nicaragua auf. Sie brauchte nicht eine Woche, sondern fast drei. Sie erreichte Miami mit ihrem Sohn Toño, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin. Anfang Januar 2023 schrieb sie:

«Die Reise verlief gut, aber nachdem wir in den USA angekommen waren, erging es mir schlecht. Sie trennten uns und wir wussten nichts voneinander. Das hat mich kaputt gemacht. Wir kamen am 20. Dezember in die USA. Ich wurde als letzte freigelassen. Meine Schwiegertochter und meine Enkelin waren die ersten, die das Haftzentrum verließen. Sie waren nur 48 Stunden im Haftzentrum und kamen am 23. heraus. Meinen Sohn Toño ließen sie am 24. gehen, aber er musste eine Nacht auf dem Flughafen von Calexico schlafen, weil es keine Tickets nach Miami gab. Am 25. sind wir alle in Miami zusammengekommen. Mich ließen sie mitten in einem Park in Calexico frei. Alles war sehr beeindruckend, doch die Emotionen als ich meine Familie sah, sind unbeschreiblich. Nun ist alles fast Normalität, nach und nach ging meine Migräne weg und der Blutdruck hat sich allmählich normalisiert. Eine Zeitlang hatte ich keine Medikamente und deswegen schoss mein Blutdruck in die Höhe. Aber gut, der Alptraum ist vorbei und ich bin bei meiner Familie. Jetzt regeln wir schon die Papiere und ich hoffe, bald Arbeit zu finden und voran zu kommen, genauso wie meine Kinder. Aber alles nach und nach. Hoffentlich passe ich mich schnell an, ich war ja auch schon vorher kapitalistisch eingestellt. Hoffentlich geht nicht viel schief. Wenigstens regeln wir schon die Schulpapiere meiner Enkelin, die ganz tapfer auf dieser Reise war, eine Heldin. Sie hat mir Mut gegeben. Wir sind immer nachts gereist und haben uns am Tag ausgeruht. Wir sind wirklich ganz glücklich mit ihr, nichts mit Ungezogenheiten und Dummheiten. Jetzt macht sie ihr Ding, haha. So weit, das ist alles.»
 

Übersetzung aus dem Spanischen: Gerold Schmidt