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In Kolumbien gewinnt erstmals ein linker Kandidat die Präsidentschaftswahl und setzt ökologische Akzente

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Elias Korte,

Am Montag war Feiertag in Kolumbien – gesetzlicher Feiertag –, aber vor allem war es auch ein Feiertag für die Anhänger*innen des künftigen Präsidenten Gustavo Petro und seiner Vizepräsidentin Francia Márquez. Die Linke in ganz Lateinamerika feierte mit. Am Sonntag gewann Petro die Stichwahl und wird damit am 7. August der erste linke Präsident Kolumbiens, der erste Präsident der nicht aus der traditionellen Elite des konservativ geprägten Landes stammt. Mit Francia Márquez, die mit einer eigenen Kampagne Wähler*innen mobilisierte und einen starken Rückhalt in den sozialen Bewegungen hat, wird zum ersten Mal eine Frau Vizepräsidentin. Sie soll als Vertreterin der Afrokolumbianer*innen das neugeschaffene Ministerium für Gleichheit leiten.

Elias Korte ist Praktikant bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kolumbien. Während seines sozialwissenschaftlichen Studiums beschäftigte er sich ausführlich mit dem kolumbianischen Friedensprozess.

Eine knappe Entscheidung war vorausgesagt worden. Aber dann gewann Petro mit einem Abstand von über drei Prozent zu seinem Gegenspieler, dem populistischen Bauunternehmer Rodolfo Hernández, doch so deutlich, dass Hernández Sonntagabend noch vor Auszählung aller Stimmen seine Niederlage eingestand. Eine befürchtete Anfechtung der Wahl mit Betrugsvorwürfen blieb aus.

Im März hatten bereits die Parlamentswahlen stattgefunden, bei denen das Bündnis um Petro, der Pacto Histórico («historischer Pakt»), zwar als stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus hervorging, in beiden Parlamentskammern aber weit von einer absoluten Mehrheit entfernt ist. Nach der ersten Wahlrunde am 29. Mai konnten am vergangenen Sonntag schließlich rund 39 Millionen Kolumbianer*innen in der Stichwahl um die Präsidentschaft zwischen dem linkssozialdemokratischen Bewerber Gustavo Petro und Rodolfo Hernández entscheiden. Letzterer hatte die Unterstützung großer Teile der traditionellen kolumbianischen Rechten, die erstmals ohne einen direkten Kandidaten in einer Stichwahl auskommen mussten. Das Ergebnis fiel – wie die Umfragen erwarten ließen – knapp aus: Für Hernández stimmten 47,31 Prozent und für Petro 50,44 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 58 Prozent die höchste seit 1998. Dies dürfte insbesondere an der starken Polarisierung und der hohen Beteiligung der jungen Wähler*innen gelegen haben – eine Mobilisierung, die offenbar dem Duo Petro/Márquez zu Gute kam.

Gustavo Petro hatte die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit über 40 Prozent und einem Abstand von mehr als zehn Prozent zum zweitplatzierten Rodolfo Hernández für sich entschieden. Allerdings war die Ausgangslage für einen Stimmenzuwachs für Petro in der Stichwahl von vielen als deutlich schwieriger eingeschätzt worden als für seinen Herausforderer. Hernández konnte auf einen Großteil der Stimmen des knapp am Einzug in die Stichwahl gescheiterten Federico Gutiérrez und des rechten Lagers zählen. Hätte er tatsächlich alle Stimmen für Gutiérrez und seine eigenen aus der ersten Runde bekommen – insgesamt 11 Millionen Stimmen –, wäre es knapp geworden. Tatsächlich stimmten aber nur knapp 10,6 Millionen für Hernández, fast 11,3 Millionen für Petro. 

Beide Seiten führten den Wahlkampf für die Stichwahl mit harten Bandagen und vielen kompromittierenden Video- und Audiomitschnitten. So war eine Woche vor der Wahl stundenlanges Videomaterial veröffentlicht worden, das vertrauliche Strategiegespräche der Petro-Kampagne zeigt. Zusätzlich boten Personen im Umfeld Petros mit Verbindungen zu politischen Clans Hernández Angriffsfläche für seinen Anti-Establishment-Diskurs. Gustavo Petro, der bis dato nur Herausforderer von etablierten Parteien kannte, fand sich gegenüber dem als Anti-Politiker auftretenden Hernández plötzlich in der Rolle des langjährigen Berufspolitikers wieder, der für einen verantwortungsvollen Wandel stehe.

Hernández wiederum versuchte, im Wahlkampf keine Angriffsfläche zu bieten und vermied öffentliche Auftritte, aus berechtigter Angst vor Peinlichkeiten. Selbst als ein Gericht ihn zu einer TV-Debatte verpflichtete, verweigerte er sich. Gegenüber dem rhetorisch erfahrenen Petro hätte der 77-Jährige, der sich zum König von TikTok ausgerufen hatte, wohl noch älter ausgesehen. Aber auch so kursierten genug Videos, in denen er durch gewalttätiges Auftreten und vulgäre Sprache auch konservative Petro-Gegner*innen abschreckte und Zweifel an seiner Eignung für das höchste Amt im Staat nährte.

Dennoch gewann er in vielen Landesteilen eine Mehrheit, so dass die Karte der Wahlergebnisse ein gespaltenes Kolumbien zeigt. Hernández hat seine Hochburgen im Landesinneren, unter anderem im ökonomisch starken, traditionell «uribistischen» Antioquia, und im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela. Petro dagegen gewann deutlich in der Hauptstadt Bogotá und an der Pazifik- und Karibikküste, armen Landesteilen mit einer ausgeprägten Gewaltgeschichte. Petro hat damit in den Regionen gewonnen, die auch 2016 beim Plebiszit mehrheitlich für das Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla stimmten.

Dazu passt, dass Gustavo Petro in seiner Siegesrede in einer Arena in Bogotá vor tausenden Anhänger*innen «Frieden» als den ersten Punkt nannte, als er sein Programm zusammenfasste: «Frieden, soziale Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit». Daneben betonte er den Willen zur Versöhnung und sprach von «einer Politik der Liebe und des Verständnisses». In Anbetracht der starken Polarisierung des Landes in Bezug auf seine Person (durch seine Guerilla-Vergangenheit und der geschürten Angst, dass Kolumbien mit ihm als Präsidenten ähnliche Probleme wie Venezuela erwarte), versuchte Petro, seinen Gegner*innen die Angst zunehmen. Unter anderem versprach er, den Kapitalismus im Land entwickeln zu wollen, «um die Vormoderne in Kolumbien zu überwinden» und in Soziales investieren zu können.

Einen breiten Raum nahm in seiner gut 40-minütigen Rede auch der Kampf gegen den Klimawandel und Naturzerstörung ein. Kolumbien solle demgegenüber eine «Weltmacht des Lebens» werden. Mit Blick auf andere progressive Regierungsprojekte der Region sagte er, sie sollten aufhören, soziale Gerechtigkeit und Umverteilung auf der Grundlage hoher Öl-, Kohle- und Gaspreise zu denken. Und den USA schlug Petro einen Dialog über Fragen der Klimagerechtigkeit vor: «Wenn wir mit unseren Wäldern CO2 absorbieren, das sie ausstoßen, dann müssen wir darüber sprechen». 

Nach dem Feiertag beginnen für Petro und sein Bündnis die Mühen der Ebene: Er muss im Parlament Mehrheiten für seine sozial-ökologischen Reformen finden und große Widerstände überwinden, etwa im Militär, damit er wie versprochen ernsthafte Friedensverhandlungen mit der letzten verbliebenen Guerilla ELN führen kann.