Lia Becker, Autorin und Referentin für Zeitdiagnose und Sozialismus bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erzählt sehr persönlich, was trans* sein für sie bedeutet, warum linke Solidarität für trans* Personen besonders wichtig ist und was sie vom Entwurf der Ampelkoalition zum neuen Selbstbestimmungsgesetz hält.
Trans* sein
RLS: Was bedeutet trans* sein für dich persönlich?
Lia Becker: Vieles unglaublich Schönes. Den eigenen Körper neu zu entdecken, Veränderung zu sehen, mich besser zu fühlen und anders in der Welt zu sein. Andere wunderbare queere und trans* Menschen kennenzulernen. Zugleich vieles unglaublich Anstrengendes, Schmerzhaftes und Trauriges. Als trans*feminine Person habe ich jeden Tag mit Diskriminierung zu tun. Spüre immer das «Anders-Sein», zur «Anderen» gemacht werden. Ich trauere, um viele Jahre meines Lebens, die ich verloren habe, auch wenn sie keine verlorene Zeit waren. Weil ich meine Transition «erst» mit Mitte 30 begonnen habe. Deswegen beschäftigt es mich sehr, wenn wie in der derzeitigen gesellschaftlichen Debatte über trans* Kinder und Jugendliche gesprochen wird, ohne sie zu sehen und ohne ihnen zuzuhören. Ich denke dann: Hört ihnen zu, seht ihren Mut, ihre Kraft, ihre Schmerzen. Frühe Transitionen sind ein Gewinn an Leben, sie können sogar Leben retten!
Mehr über über den Umgang mit Gewalterfahrungen, Trauma und Heilung schreibe ich in meinem Text «Schnitte durch die zweite Haut». Das ist auch in linken Diskussionen zu oft ein Nebenwiderspruch, obwohl sich Heilung gar nicht von gesellschaftlicher Veränderung trennen lässt. «Trauma ist ein gesellschaftliches Tabu und für Heilung gibt es in dieser Gesellschaft wenig Raum» – so hat es eine Freundin von mir mal gesagt. Ich finde das sehr treffend.
Wir sind eine Familie, aber der Staat erkennt das nicht an.
Im Moment beschäftigt mich aber das Thema trans* und Elternschaft …
Wir haben ein sieben Monate altes Kind, in einer queeren Drei-Eltern-Konstellation. Wir sind eine Familie, aber der Staat erkennt das nicht an. Das alte Abstammungsrecht kennt nur «Mann und Frau», keine Mehr-Elternschaft und hängt auch immer noch in einer heteronormativen Ordnung fest. Lesbische Elternteile sind dazu gezwungen, ihre Kinder als «Stiefkinder» zu adoptieren. Die Ampel verweigert weiter eine längst überfällige Reform des Abstammungsrechts.
Viele Jahre sollte verhindert werden, dass trans Menschen Eltern werden. Aber es gibt uns trotzdem. Mittlerweile gibt es einen diskriminierenden Status quo: trans* Eltern werden mit dem alten Namen und falschem Gender in die Geburtsurkunde eingetragen. Das ist höchste Rechtsprechung des BGH derzeit – und eine unglaubliche Diskriminierung, wenn man überlegt, welche Hürden der Staat zugleich aufbaut, um den Geschlechtseintrag ändern zu können.
Das Standesamt und die Senatsinnenverwaltung von Berlin drehen diese Diskriminierung in meinem Fall jetzt noch eine Umdrehung weiter. Sie argumentieren: Personen, die nach dem sog. «Dritte Option»-Gesetz ihren Personenstand geändert haben, können nicht als zweites Elternteil anerkannt werden. Damit stecke ich in einer Sackgasse fest.
Erst musste ich darum kämpfen, meinen Geschlechtseintrag ändern lassen zu können. Jetzt wird mir als Ergebnis dieser Personenstandsänderung die Elternschaft verweigert. Wir müssen als Familie vor Gericht darum kämpfen. Das schafft eine große Unsicherheit und es ist schmerzhaft, wenn dir das Recht abgesprochen wird, Elternteil zu sein.
Als Familie und Freund*innen lassen wir uns nicht davon stoppen, Familie auf unsere Weise zu leben.
Was bedeudet trans* und was ist für dich eine linke Perspektive darauf?
Trans* und nicht-binär stehen erstmal für ein sehr breites Spektrum von geschlechtlichen Identitäten und Lebensweisen. Es gibt mehr als zwei Geschlechter. Und nicht alle trans* Menschen sehen sich selbst als «Frau» oder «Mann». Geschlechtsidentitäten und -performances, also wie wir im Alltag auftreten, sind eher ein Spektrum mit vielen Farben und Facetten.
Geschlecht ist nicht einfach eine Frage der individuellen Entscheidung, es geht um gesellschaftliche Verhältnisse. Ganz grundsätzlich: wer als Mensch anerkannt wird. Geschlechterverhältnisse sind in dieser Gesellschaft (leider) grundlegend dafür: trans* Menschen werden zu «Anderen» gemacht, weil sie nicht alten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Die Norm, dass Geschlecht über den biologischen Körper definiert wird. Die Norm, dass es nur zwei Geschlechter gebe. Die Norm der Heterosexualität. Von diesen Normen weichen wir ab. Die Folge: Über Jahrzehnte wurde sogar unsere Existenz gewaltsam geleugnet. Trans* Menschen hatten lange Zeit keine Stimme in politischen Diskussionen und wurden gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Ich würde es so sagen: Eine lange Geschichte von Gewalt, Pathologisierung (also die Vorstellung, das trans* Menschen krank seien) und Zuschreibungen als «unnormal», «Perverse» oder «Monster» löscht unsere Stimmen aus.
In den letzten Jahren sind trans* Menschen in Medien oder Popkultur deutlich sichtbarer geworden. Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen und die Emanzipationskämpfe von trans* und queeren communities haben mit dazu beigetragen. Es gibt Fortschritte bei rechtlicher Anerkennung – bei weiterhin fortbestehender institutioneller Diskriminierung; eine prekäre gesellschaftliche Akzeptanz statt offener Trans*feindlichkeit.
Geschlechtliche «Selbstbestimmung» soll die alte Pathologisierung ablösen. Aber diese liberale Modernisierung hat enge Grenzen – und sie hat sich längst nicht durchgesetzt. Als trans*feminine Menschen sind wir weiter mit einem Dickicht gewaltvoller Zuschreibungen konfrontiert: Wir werden als «tragische», isolierte und nicht-begehrenswerte Figuren betrachtet – oder gar als Gefahr gehasst, als monströse, fehlgeleitete «perverse Männer».
Eine widersprüchliche Entwicklung. Wo wird wirklich wahrgenommen, was für eine Gesundheitsversorgung trans* und nicht-binäre Menschen bräuchten, was sich dafür gesellschaftlich ändern müsste? Ich spreche in diesem Zusammenhang von «organisierter Ignoranz».
Eine linke, trans*feministische Perspektive betont, dass es nicht nur um Diskriminierung geht, sondern: Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus sind Herrschafts-, Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse.
Trans* sein kann daher nicht isoliert betrachtet werden. Es macht einen Unterschied, ob du weiß bist, einen Mittelklasse-Hintergrund hast, eine Behinderung hast oder nicht. Die Mehrheit der trans* Menschen hierzulande und in Europa lebt aber weiter in gewaltvollen und prekären Verhältnissen. Ihre Lebensbedingungen werden weitgehend unsichtbar gemacht: alltägliche Diskriminierung, prekäre Arbeit und Erwerbslosigkeit machen krank; fehlende oder schlechte Gesundheitsversorgung; hohe Mieten und Gefahr von Obdachlosigkeit, unsicherer Aufenthaltsstatus, rassistische Gewalt; Kriminalisierung von Sex*arbeiter*innen.
Eine liberale Politik für die rechtliche Anerkennung von Gender-Identitäten greift zu kurz – sie sieht die miteinander verschränkten Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse nicht.
Trans* und queere Menschen sind neben Migrant*innen und Muslima zu den zentralen Sündenböcken und Hassfiguren für den rechten «Kulturkampf» geworden. Rechte Kräfte wollen uns als Gefahr für Geschlechterordnung, Familie und Nation am liebsten wieder auslöschen. Aber auch selbsternannte «genderkritische» Feminist*innen wie Kathlen Stock oder Alice Schwarzer verbreiten trans*feindliche Positionen. Dabei geht es um die Verteidigung von Privilegien, um die Mobilisierung von Hass und Gemeinschaftsgefühlen gegen «Andere». Es geht aber auch um Klassenkampf von oben: darum, Gesundheitsversorgung einzuschränken, das Bildungssystem umzubauen; darum, in Zeiten von Vielfachkrisen den Kapitalismus umzubauen – in eine autoritäre Richtung. Es geht darum, stabile gesellschaftliche Mehrheiten von rechts zu bilden – gegen eine notwendige soziale und klimagerechte Transformation, um die Profite auch des fossilen Kapitals zu schützen.
In Zeiten von Prekarität, Klimakrise, stärker werdendem Rassismus und Nationalismus droht eine autoritäre Entwicklung, deren Folgen längst nicht nur trans* Menschen und marginalisierte Gruppen treffen.
Hoffnung machen mir, trans*feministische Initiativen und Bewegungen weltweit, die Solidarität über unterschiedliche Grenzen hinweg vorleben. Diese Solidarität über Grenzen hinweg und über queere Communities hinaus braucht es viel mehr – nur so können wir ein besseres Leben für alle erkämpfen.
Wirkliche Bündnisse sind viel Arbeit und sie tun oft weh, aber sie sind notwendig. Gerade in diesen Zeiten. Ich denke trans*Bewegungen und trans*feministische Stimmen können einiges dazu beitragen. Sie fordern uns auf, Befreiung neu zu denken und Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse an den Wurzeln zu packen.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll im Herbst im Bundestag beschlossen werden. Was steckt da drin und wie beurteilst du das?
Ja, wir haben lange darauf gewartet. Nun liegt ein Entwurf vor, der das bisherige «Transsexuellengesetz» ersetzen soll. Mit dem «Selbstbestimmungsgesetz» soll es möglich werden, den Vornamen und Geschlechtseintrag durch einen Antrag beim Standesamt ändern zu können. Statt, dass wir wie bisher vor Psychiater*innen unser Intimsleben offenlegen müssen, um teure Gutachten zu bekommen und vor Gericht beweisen zu müssen, wer wir sind.
Das bestehende «Transsexuellengesetz» (TSG) ist ja zutiefst diskriminierend und pathologisierend – und es passt nicht mehr zu einer Gesellschaft, deren Geschlechterbilder in einem radikalen Wandel befinden.
Das TSG bedeutete: ein entwürdigendes und teures Verfahren mit zwei psychologischen Gutachten, die selbst bezahlt werden müssen. Also Zwangstherapie und Alltagsbeweis, wirklich trans* zu sein. Gutachter*innen, die über die Existenz einer Person entscheiden; Dieser Weg war sehr belastend, das Gefühl, etwas beweisen zu müssen – in einer Phase der Transition, die eh anstrengend ist, mit viel emotionaler Arbeit und Belastungen durch Alltagsdiskriminierung. Die hohen Hürden führten dazu, dass viele trans* Menschen jahrelang unfreiwillig mit falschen Dokumenten unterwegs sind. Ich selbst fand diese Zeit sehr anstrengend: bei Behörden, auf Reisen, bei Ärzt*innen und in Krankenhäusern kommt es ständig zu Diskriminierung.
Das zu ändern ist überfällig und ein Erfolg von queeren und trans* Kämpfen um Rechte und Selbstbestimmung. Jeder Millimeter Fortschritt für trans* Menschen muss(te) hart errungen werden.
Andererseits greift der vorliegende Gesetzesentwurf systematisch zu kurz. Echte Selbstbestimmung für trans* Menschen war von der Ampel-Regierung nie zu erwarten, denn das würde radikale gesellschaftliche Veränderung für soziale Gerechtigkeit und eine Demokratisierung von Arbeit und Bereichen wie Gesundheitsversorgung erfordern. Das «Selbstbestimmungsgesetz» bringt leider noch nicht mal Verbesserungen beim Zugang zu guter Gesundheitsversorgung. Queere Verbände und trans* Initiativen haben eine Reihe von weiteren gut begründeten Kritikpunkten an dem Gesetzesentwurf formuliert.
Die Ampel als selbsternannte Fortschrittskoalition ist vor rechten ‹Kulturkämpfern› eingeknickt.
Es ist ein Erfolg mit bitterem Beigeschmack. Warum? Der Gesetzesentwurf fällt leider noch hinter das unzureichende liberale Verständnis von Selbstbestimmung zurück. Ich fand die Einschätzung der Anti-Diskriminierungsbeauftragten des Bundes Ferda Ataman hier sehr zutreffend: In der Begründung des Gesetzesentwurfs werde «ungewöhnlich ausschweifend» auf rechtspopulistische Argumente eingegangen. Die Ampel als selbsternannte Fortschrittskoalition ist also vor rechten Kulturkämpfern eingeknickt.
Wir erleben ja eine massive trans*feindliche Gegen-Kampagne gegen dieses Gesetz, die von rechten, konservativen Kräften kommt, aber auch in liberalen und linken Kreisen Wirkung zeigt. Neue Feindbilder werden aufgebaut, wie etwa eine vermeintliche «trans*Lobby». Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union sprach von «queeren Rändern», die nicht die Politik bestimmen dürften. Das ist Klartext, wo diese Teile der Gesellschaft uns sehen. Dazu werden über die sozialen Medien Schreckensszenarien ausgemalt: vermeintliche «Männer», die ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Frauenhäuser einzudringen. Hier werden gezielt gefährliche Vorurteile und Hass gegenüber trans* Menschen geschürt.
Und was steht im Gesetzesentwurf? «Mit Verweis auf das Hausrecht können trans*Menschen aus privaten Einrichtungen verwiesen werden.» Das kann: Sporteinrichtungen, Saunen, Cafes, Kultur und Freizeitorte betreffen; aber es könnte auch weitere Diskriminierung in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Wohn- und Werkstätten zur Folge haben. Das alles in Bereichen und an Orten, an denen ich mich als trans*feminine Person eh unwohl und nicht sicher fühle – und häufig Diskriminerungen erfahre. Der Alltag würde für viele trans* Menschen so nicht sicherer, sondern noch unsicherer!
Der Gesetzesentwurf sendet das fatale Signal, dass Ausgrenzung und Diskriminierung weiter akzeptiert werden – im schlimmsten Fall dann mit gesetzlichem Siegel versehen werden.