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Chile 50 Jahre nach dem Putsch: Die Zeit der Monster

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Autorin

Pierina Ferretti,

links: Demonstrant*innen gehen auf die Straße um für die Wahl Salvador Allendes mobil zu machen. rechts: Menschen erinnern bei einer Demonstration in Valparaíso an die sozialen Proteste im Oktober 2019.

Linke weltweit zeigen großes Interesse am 50. Jahrestags des Putsches gegen die Regierung der Unidad Popular in Chile und auch ihr Präsident Salvador Allende genießt international große Anerkennung.

Dies steht im Kontrast zur reaktionären Stimmung, die derzeit in Chile vorherrscht. Dieses Klima verhindert, dass der 50. Jahrestag in Chile selbst zu einem Moment wird, in dem die gesamte Bevölkerung das Engagement für Demokratie und die Verteidigung der Menschenrechte stark macht. Eine parteiübergreifende Verurteilung des Staatsstreichs zu erreichen, scheint heute unmöglich.

Es lässt sich nicht leugnen, dass der Jahrestag in einem äußerst schwierigen Moment für die Linke in dem südamerikanischen Land kommt. Schwierig deshalb, weil die soziale Revolte von 2019, der verfassungsgebende Prozess, der der aktuellen Verfassung von Pinochet ein Ende hätte setzen können, und der Triumph von Gabriel Boric bei den Präsidentschaftswahlen von 2021 enorme Hoffnungen geweckt hatten. Die Niederlage bei der Verfassungsabstimmung von 2022 aber hat eine abrupte Wende in der chilenischen Politik ausgelöst. Mit dieser Wende ist die extreme Rechte erstmalig zur politischen Kraft mit der größten Unterstützung in der Bevölkerung geworden. So hat Chile in weniger als fünf Jahren einen weiten Weg zurückgelegt: Dieser begann mit der größten sozialen Revolte seiner jüngeren Geschichte, die die Möglichkeit eröffnet hatte, eine der schwersten Hinterlassenschaften der Diktatur – die Verfassung von 1980 – zu beseitigen. Dann kam die überwältigende Ablehnung eines demokratischen und fortschrittlichen Verfassungsvorschlags, der von einer verfassungsgebenden Versammlung mit einer linken Mehrheit von sozialen Bewegungen ausgearbeitet worden war. Und schließlich musste Chile erleben, wie die Partei des Rechtsextremen José Antonio Kast – der international vernetzt ist und auch Verbindungen zur AfD hat – zur wichtigsten politischen Kraft im Land wurde.

In diesem Zusammenhang ist das Gedenken an den Staatsstreich mehr als in den vergangenen Jahrzehnten zum Moment der Auseinandersetzung geworden, in dem die Rechte versucht, ihre Sicht der Geschichte durchzusetzen. Dabei bedient sie sich einer Reihe von Argumenten, die von der Rechtfertigung des Putsches bis hin zur Schuldzuweisung an die Linke für den Zusammenbruch der Demokratie und die langen Jahre der Diktatur reichen. In den letzten Wochen waren Vertreter*innen der Rechten in den Medien des ganzen Landes zu sehen, wie sie die Existenz politischer sexualisierter Gewalt während der Diktatur leugneten, Pinochet offen rechtfertigten und Lügen über die Unidad Popular und Präsident Allende verbreiteten. Die Linke, die noch immer an den jüngsten Niederlagen krankt, war nicht in der Lage, das Thema Menschenrechte und Verteidigung der Demokratie in den Vordergrund der öffentlichen Debatte zu stellen.

Auf einer allgemeineren Ebene bleibt das Land in einer politischen und sozialen Krise gefangen, die noch lange nicht gelöst ist. Die Erschöpfung des neoliberalen Modells ist nun offensichtlich, aber die Linke hat es nicht geschafft, eine Alternative zu schaffen, die die Unterstützung der Mehrheit der Gesellschaft finden würde. Während die Regierung von Gabriel Boric aufgrund der Blockade der Rechten im Parlament nicht in der Lage ist, ihr Reformprogramm zur Stärkung von sozialen Rechten voranzutreiben, nimmt die Unzufriedenheit mit der Politik zu. Die extreme Rechte, die einen aggressiven und konservativen Diskurs führt, macht sich diese Unzufriedenheit zu Nutze.

Man könnte sagen, dass wir uns in einer Situation befinden, die Antonio Gramsci angesichts des Aufkommens des Faschismus meisterhaft beschrieben hat: «Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster». Wir sind Zeug*innen davon, wie diese Monster auftauchen. Die Gefahren, die unseren Gesellschaften drohen, kann man bereits in den Nachbarländern sehen. Es sind dramatische Warnungen vor dem, was passiert, wenn die reaktionäre Rechte an die Macht kommt.

Der chilenische Weg zum Sozialismus: Demokratie, Pluralismus und Freiheit

Am Morgen des 11. September 1973 wurde nicht nur eine Regierung gestürzt. An diesem Tag vor fünfzig Jahren wurde ein Prozess des politischen und sozialen Aufbaus des chilenischen Volkes unterbrochen, der fast ein Jahrhundert dauerte. Gleichzeitig wurde an diesem Morgen ein ebenso riskantes wie einzigartiges politisches Experiment begraben: der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft «in Demokratie, Pluralismus und Freiheit», wie Salvador Allende in seinen Reden zu betonen pflegte. Die Unidad Popular (ein Wahlbündnis von verschiedenen linken chilenischen Parteien und Gruppierungen, das am 17. Dezember 1969 gegründet wurde) war der Endpunkt eines langen Weges, den die subalternen Klassen Chiles beim Aufbau eines alternativen Gesellschaftsprojekts zu dem der herrschenden Gruppen zurückgelegt hatten. Man kann behaupten, dass die Grndung der Unidad Popular der höchste Moment der Bündelung der Kräfte und Energien des Volkes war.

Dieser lange Weg reicht zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, zu den ersten Handwerkerorganisationen, und zieht sich durch die ersten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts, mit einer reichen Geschichte von Kämpfen, Streiks, Niederlagen, staatlicher Repression, Widerstand, Teilsiegen, internen Spaltungen und Versuchen der Annäherung innerhalb der Linken.

Das Projekt der Unidad Popular vereinte Elemente, die für die ideologische Ausrichtung der Linken im Globalen Süden typisch sind: Überwindung von Unterentwicklung und Armut, Überwindung des abhängigen Kapitalismus, Erlangung einer größeren Souveränität über strategische Bereiche der Wirtschaft, Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen und Schaffung der wirtschaftlichen Grundlagen für die Ausweitung der politischen und sozialen Freiheiten.

In seiner Rede anlässlich der Verstaatlichung des Kupfers hat Präsident Allende dies deutlich gemacht. Das wichtigste Mineral des Landes sei verstaatlicht worden, damit Chile endlich «seine wirtschaftliche Abhängigkeit überwinden und die Hoffnung und Sehnsucht derer erfüllen kann, die uns die politische Freiheit gegeben haben, um unsere zweite Unabhängigkeit – die wirtschaftliche Unabhängigkeit unseres Landes – zu erobern.»

Die Unidad Popular war Teil der lateinamerikanischen Linken, die für eine sozialistische, anti-oligarchische und antiimperialistische Revolution kämpfte. Der Vorschlag, den Übergang zum Sozialismus auf institutionellem Wege zu vollziehen, stand jedoch im Widerspruch zur vorherrschenden revolutionären Vorstellung, die unter dem starken Einfluss der kubanischen Erfahrung dazu neigte, die Revolution als Ergebnis eines aufständischen Prozesses zu begreifen. Der in Chile erprobte Vorschlag verblüffte die Welt mit seiner Einzigartigkeit, beunruhigte die Vereinigten Staaten wegen seines Potenzials zur Weiterverbreitung und forderte die globale Linke auf, sich für die Möglichkeit anderer Wege zu öffnen, um beim Aufbau des Sozialismus voranzukommen.

Salvador Allende war ein glühender Verfechter des «chilenischen Wegs» und bekannte sich wiederholt zu seiner demokratischen und freiheitlichen Überzeugung. «Was wird unser Weg sein, unser chilenischer Weg des Handelns, um über die Unterentwicklung zu triumphieren?», fragte er in seiner Antrittsrede am 5. November 1970. «Unser Weg wird derjenige sein, den wir im Laufe unserer Erfahrung aufgebaut haben, derjenige, den das Volk in den Wahlen geweiht hat, derjenige, der im Programm der Unidad Popular festgelegt ist: der Weg zum Sozialismus in Demokratie, Pluralismus und Freiheit».

Das entscheidende Merkmal, das Chile zu einem revolutionären Experiment von Weltformat machte, war das Bestreben, den Sozialismus auf einem Weg aufzubauen, der bis dahin noch nicht beschritten worden war: der politische Kampf innerhalb der Institutionen der bürgerlichen Demokratie. Allende war sich des einzigartigen Charakters des Weges, den er eingeschlagen hatte, voll bewusst. In seiner ersten Rede vor dem Plenum des Kongresses am 21. Mai 1971 erklärte er: «Chile ist heute die erste Nation der Erde, die aufgerufen ist, das zweite Modell des Übergangs zu einer sozialistischen Gesellschaft zu gestalten».

Es stimmt, dass es innerhalb der Unidad Popular keine einheitliche Position zum Wert der Demokratie gab, aber an Allendes Überzeugung in dieser Hinsicht gibt es keinen Zweifel. Als Vertreter der sozialistischen Tradition, die in ihren Ursprüngen stark vom Anarchismus beeinflusst war, verteidigte Salvador Allende libertäre und demokratische Ideale als wesentliche Bestandteile seines Konzepts des revolutionären Prozesses. Nur der Sozialismus kann die Versprechen von Gleichheit und Freiheit der Moderne verwirklichen. Im Mai 1972 äußerte er sich in seiner zweiten Botschaft an den Kongress in dieser Richtung: «Der revolutionäre Weg, den wir uns vorgenommen haben und unbeirrt verfolgen, hat die Freiheiten realer und authentischer gemacht, indem er die große Mehrheit unserer Landsleute mit mehr materiellen Mitteln ausstattet, um sie auszuüben; er hat das demokratische Regime gestärkt, indem er Maßnahmen durchführt, die der Wurzel der Ungleichheiten ein Ende setzen. Niemand, der unsere Realität objektiv betrachtet, kann daran zweifeln, dass die Entwicklung der demokratischen Ordnung und der Freiheiten notwendigerweise mit der Entwicklung des revolutionären Prozesses verbunden ist».

Allende schätzte die Fortschritte der liberalen Demokratie: freie Wahlen, individuelle und kollektive Freiheiten. Aber er war der Ansicht, dass der Sozialismus auf einer tieferen Ebene Fortschritte machte. In einer Rede vor dem kolumbianischen Kongress, in der er sich auf die Entwicklung seines Regierungsprogramms bezog, erklärte er: «Wir haben die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheitfreiheit, die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit und den uneingeschränkten Respekt für alle Glaubensrichtungen sichergestellt. Auf dieser Grundlage schreiten wir mit der festen Absicht voran, die abstrakte Freiheit in eine konkrete Freiheit zu verwandeln, die von den Menschen gefühlt und gelebt, verstanden und verteidigt wird. Auf der Grundlage von Demokratie, Pluralismus und Freiheit sind wir entschlossen, in Chile eine neue Gesellschaft aufzubauen, eine sozialistische Gesellschaft.»

Es liegt auf der Hand, dass Allende den Sozialismus als den Raum verstand, in dem Freiheit für die einfachen Bevölkerungsschichten Wirklichkeit werden kann und nicht länger ein Klassenprivileg ist.

Der vielleicht wichtigste Aspekt des von Salvador Allende vertretenen Demokratiekonzepts ist jedoch die zunehmende Beteiligung der Arbeiter*innen an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. «Unser Regierungsprogramm, das vom Volk gebilligt wird, sagt ganz klar, dass unsere Demokratie umso realer sein wird, je mehr sie vom Volk getragen wird, je mehr sie die menschlichen Freiheiten stärkt, je mehr sie vom Volk selbst gelenkt wird», sagte er in seiner Antrittsrede. Demokratie als poder popular, als Macht der arbeitenden Mehrheiten, die Geschicke des kollektiven Lebens zu lenken.

Der Sozialismus als freiheitliches und demokratisches Projekt ist wahrscheinlich das wertvollste Erbe, das uns die Unidad Popular vermacht hat. Der Staatsstreich, der vor fünfzig Jahren versucht hat, diese Alternative zu zerstören, hat eine Gesellschaft geschaffen, die von den gegenteiligen Prinzipien beherrscht wird, eine Gesellschaft, in der die Mehrheiten des Volkes entmachtet sind.

Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren (wird er dort auch sterben?)

Wann war der 11. September 1973 vorbei? Vielleicht am 5. Oktober 1988, als Pinochet das Plebiszit verlor, mit dem über den Fortbestand der Diktatur abgestimmt wurde? Oder am 11. März 1990, als der Christdemokrat Patricio Aylwin, der einer der Hauptopponenten von Allende gewesen war und die Militärintervention unterstützt hatte, das Amt des Präsidenten übernahm? Können wir mit Sicherheit sagen, dass die Diktatur endete?

Die neoliberale wirtschaftliche Transformation wurde zwar von der Militärdiktatur initiiert, aber in der Demokratie vertieft. Die Kommerzialisierung des sozialen Lebens ist mit der Privatisierung der sozialen Rechte (Bildung, Gesundheit, Renten, Wohnen) bis zum Äußersten fortgeschritten und die Bevölkerung wird gezwungen, ihre soziale Reproduktion über den Markt zu lösen, mit kaum bis gar keiner staatlichen Unterstützung. So gesehen haben wir einen Hinweis darauf, dass die Diktatur in der Demokratie fortbesteht.

Die Legitimität des Neoliberalismus steht jedoch auf wackligen Beinen. In den letzten Jahrzehnten haben wir gesehen, wie sich die Unzufriedenheit in Protesten und massiven Mobilisierungen ausgedrückt hat: die Kämpfe gegen die Privatisierung von Wasser und dessen Diebstahl durch Agrarkonzerne; die Kämpfe der Gemeinden gegen riesige Bergbauprojekte und die Umweltverschmutzung in den so genannten «Opferzonen; die Kämpfe der prekär Beschäftigten im staatlichen und privaten Sektor; die massiven Mobilisierungen für das Recht auf Bildung und für ein neues Rentensystem; das massive Aufkommen eines Feminismus mit anti-neoliberalem Anspruch und der anhaltende Widerstand der Mapuche gegen den kolonialen Charakter des Staates, die Enteignung ihrer Gemeinschaften und die Militarisierung ihrer Territorien – die während der gesamten Zeit nach der Diktatur eine Konstante geblieben ist. Dies sind einige Ereignisse, die zeigen, dass in der chilenischen Gesellschaft nicht nur die Unzufriedenheit wächst, sondern dass sich gleichzeitig soziale Akteure aufgestellt haben, die in der Lage sind, das neoliberale Modell in Frage zu stellen.

Der jüngste Zyklus sozialer Kämpfe begann mit der neuen feministischen Welle um das Jahr 2016, setzte sich mit dem Aufstand von 2019 fort und gipfelte im Verfassungskonvent und der Ablehnung des anti-neoliberalen Vorschlags. Man kann zu Recht behaupten, dass die neu aufgekommende feministische Bewegung diese Phase intensiver sozialer Mobilisierung eingeläutet hat. Die Demonstrationen gegen machistische Gewalt, für das Recht auf Abtreibung, die massiven Streiks am Internationalen Frauenkampftag oder die Protestaktionen im Rahmen des Aufstands 2019 sind Meilensteine dieses Aufbruchs. Hier haben sich massive Mobilisierung, breite gesellschaftliche Unterstützung und eine dezentrale, aber effektive Koordinationsfähigkeit vereint, die es dem Feminismus ermöglicht haben, eine Kraft der sozialen Mobilisierung auf nationaler und internationaler Ebene zu werden, die die Kapazität jeder traditionellen Organisation wie Gewerkschaften oder politischen Parteien übersteigt. In Chile kann man sagen, dass der Feminismus den Weg für die Revolte geebnet hat, indem er eine rebellische Haltung, einen Willen zum Protest und zum Ungehorsam verbreitet hat. Diese Haltungen sind von breiteren sozialen Schichten aufgenommen worden, und fanden in der Revolte von 2019 ihren Ausdruck; dem Moment der größten Entfaltung der Kräfte des Volkes in den letzten Jahrzehnten.

In jenem Oktober wurde das Bild von Chile als neoliberales Paradies zerstört. Die Erhöhung der Fahrpreise in den öffentlichen Verkehrsmitteln war der Stein des Anstoßes für einen spontanen Aufstand. Getragen wurde er von einer heterogenen Gruppe von Akteuren, die von den am stärksten von Ausgrenzung und Ungleichheit betroffenen Bevölkerungsschichten bis hin zu den mittleren Schichten reichte, die die Unsicherheit ihrer Lebensbedingungen zu spüren bekamen. Dieser spontanen Bewegung ohne Organisationen und Anführer*innen gelang es, eine historische Möglichkeit zu eröffnen: die Abschaffung der Pinochet-Verfassung. In einem Plebiszit im Oktober 2020 stimmten 80 Prozent der Wähler*innen für eine Verfassungsänderung. Monate später wurde ein Konvent gewählt, in dem die Linke und die sozialen Bewegungen zum ersten Mal in der Geschichte eine breite Mehrheit stellten, und nach einem Jahr Arbeit wurde ein Vorschlag für eine neue Verfassung ausgearbeitet, der wesentliche Fortschritte bei den sozialen Rechten, dem Aufbau eines Sozialstaats, den sexuellen und reproduktiven Rechten und der Anerkennung der indigenen Völker enthält. Es schien, als ob die Proklamation «Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und wird in Chile sterben», die aus den Straßenprotesten hervorging und tausende Male an Wände im ganzen Land geschrieben wurde, kurz vor der Verwirklichung stand. Doch am 4. September 2022 wurde der von den Linken ausgearbeitete Vorschlag für eine neue Verfassung von einer überwältigenden Mehrheit des Volkes abgelehnt. Die Linke hat seit der Niederlage vom 11. September 1973 keinen so schweren Schlag mehr erlitten. Mit der Ablehnung der vorgeschlagenen anti-neoliberalen Verfassung wurde der Traum, das hartnäckigste Erbe der Diktatur beenden zu können, zunichtegemacht. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob der Neoliberalismus in Chile dem Tod nahe ist.

Sozialismus oder Barbarei

Fünfzig Jahre sind seit dem Triumph der Barbarei über die demokratischen Bemühungen für eine sozialistische Umgestaltung der Wirklichkeit vergangen, die einen Ausweg aus dem Elend und der Unterentwicklung aufgezeigt hatte. Und erneut verdunkelt die Bedrohung durch die Barbarei den Horizont. Heute erleben wir die Krise des von der Diktatur aufgezwungenen wilden Kapitalismus und sind Zeugen seiner Erschöpfung, seiner Unfähigkeit, soziale Legitimität zu erzeugen, der Unruhe und Frustration, die er hervorruft, und der Gewalt, die er entfesselt. Wir sehen auch, wie eine autoritäre Antwort an Stärke gewinnt, während die gegenwärtige Linke nicht in der Lage ist, ein Gesellschaftsprojekt zu artikulieren, das die Massen anspricht. Ein «demokratischer Weg in die Barbarei» könnte der Verlauf dieser Geschichte sein, sofern es der Linken nicht gelingt, ein Zukunftsprojekt zu entwickeln, das gesellschaftliche Mehrheiten hat. In diesem Bestreben ist die Unidad Popular eine immerwährende Quelle der Inspiration. Die Entscheidung ist offen, und wie immer, wenn sich Krisen zuspitzen, gibt es, wie Rosa Luxemburg vor mehr als hundert Jahren warnte, zwei Auswege: Sozialismus oder Barbarei.

Übersetzung: David Rojas-Kienzle