Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Parteien / Wahlanalysen - Osteuropa «Die Sache läuft in die falsche Richtung»

Frauen werden über den Ausgang der Parlamentswahlen in Polen entscheiden

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Warschau, 14.6.2023: Protest gegen das restriktive Abtreibungsgesetz nach dem Tod einer schwangeren Frau
Können sie die PiS von der Macht verdrängen? Warschau, 14.6.2023: Protest gegen das restriktive Abtreibungsgesetz nach dem Tod einer schwangeren Frau, Foto: IMAGO / Aleksander Kalka

Laut einer im Mai diesen Jahres durchgeführten Studie der Stiftung More in Common weiß fast die Hälfte der jungen Frauen in Polen (47 Prozent) noch nicht, wen sie wählen wird. Gleichzeitig sind 75 Prozent der Befragten in dieser Gruppe (18 bis 29 Jahre) überzeugt, dass «die Dinge in Polen in die falsche Richtung laufen».

Die Studie machte auf die polnischen Politiker*innen zu Beginn des Wahlkampfs vor den für den 15. Oktober geplanten Parlamentswahlen großen Eindruck. Für die Opposition sind die Ergebnisse der Umfrage besonders wichtig, denn wenn die Politik der Regierung für sie «in die falsche Richtung geht», ist kaum zu erwarten, dass sich junge Frauen für die Regierungspartei entscheiden. Allerdings ist es fraglich, ob sie sich überhaupt dazu entschließen werden, an den Wahlen teilzunehmen und für die Opposition zu stimmen.

Zuzanna Dąbrowska, polnische Journalistin, absolvierte ein Studium der Sozialpolitik an der Universität Warschau. In den 1980er Jahren war sie aktiv in der demokratischen Opposition – sie war Mitbegründerin der Bewegung für Freiheit und Frieden und der Polnischen Sozialistischen Partei. Derzeit schreibt sie für die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita.

Wenn ich über die Opposition schreibe, meine ich drei Parteien, beziehungsweise Listenverbindungen von Parteien, die sich selbst als «demokratische Opposition» bezeichnen: die «Bürgerkoalition» (die liberale «Bürgerplattform» und ihre kleineren Mitte-Links-Verbündeten), die «Linke» (hauptsächlich die sozialdemokratische «Neue Linke» und die progressive Partei «Gemeinsam») und die Mitte-Rechts-Partei «Dritter Weg» («Polnische Volkspartei» und «Polen 2050»). Diese Parteien eint ihr Widerstand gegen die derzeitige nationalkonservative Regierung von «Recht und Gerechtigkeit» (Prawo i Sprawiedliwość- PiS) und der Wunsch, nach den Wahlen eine gemeinsame Regierung zu bilden.

Verlorener Frauenstreik

Nach dem Urteil des von der Regierung kontrollierten Verfassungsgerichts zur Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes, durch das die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs wegen eines zu erwarteten «schweren und irreversiblen fetalen Defekts» aus dem Gesetz gestrichen wurde, kam es 2020 zu Massenprotesten in ganz Polen, organisiert im Rahmen des Frauenstreiks im ganzen Land, auch in kleinen Kreisstädten. Es war die größte Mobilisierung von Frauen, insbesondere junger Frauen, in der Geschichte Polens nach 1989. Daran beteiligten sich auch Politiker*innen aus dem «Anti-PiS»-Lager. Manche von ihnen waren Mitorganisator*innen. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist jedoch, dass der erste Protest vor dem Sitz des Verfassungsgerichts von der kleineren linken Partei «Gemeinsam» organisiert wurde. Als die Proteste zunahmen, übernahmen mit dem «Frauenstreik» verbundene Aktivistinnen die Initiative, und politische Parteien, die die Chancen der Bewegung erhöhen wollten, zogen sich zurück. Viele Monate lang sah es so aus, als ob erstmals in der Geschichte Polens eine radikale autonome Selbstorganisation rebellischer Wählerinnen entstehen würde, die ihrerseits die politische Opposition stärken würde.

Daraus wurde jedoch nichts. Die Streikführerinnen konnten dem politischen Druck nicht standhalten und scheiterten an der Herausforderung, eine parteiübergreifende politische Vertretung zu etablieren. Die Leitungen der Oppositionsparteien sahen dies mit Bedauern, aber gleichzeitig mit Erleichterung darüber, dass auf der politischen Landkarte keine ernsthafte Konkurrenz entstanden war.

Nur Mobilisierung hilft

Heute ist die weibliche Wählerschaft verunsichert und enttäuscht. Es war nicht möglich, die drakonischen Gesetze durch Massenprotest auf der Straße zu ändern. Daher glauben sie nicht, dass dies durch Beteiligung an Wahlen erreicht werden kann. Einige Aktivistinnen beschlossen jedoch, in die Politik einzusteigen und sich den Oppositionsparteien anzuschließen. Dennoch hat sich der ungünstige Trend, der in der Studie der Stiftung More in Common beschrieben wird, nicht umgekehrt: Je älter die befragten Frauen sind, desto größer ist ihr politisches Engagement und ihre Bereitschaft sich an der Wahl zu beteiligen – und dabei die derzeit regierende Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) zu wählen. Daher könnte sich nach den Wahlen herausstellen, dass das Schicksal der Achtzehnjährigen in Polen von Frauen (und natürlich Männern) über 60 Jahren entschieden wurde.

Der einzige Weg, diesen Prozess umzukehren, ist die Mobilisierung. Alle Parteien versuchen das. Aber nach den Umfragen haben die beiden größten Parteien – «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) und die «Bürgerkoalition» – bereits ihr Maximum erreicht.

Werden Wählerinnen im Alter von 18 bis 59 Jahren den Ausschlag geben?

Alle Parteien versuchen, die Stimmen der 18- bis 59-jährigen Wählerinnen zu bekommen, wobei die Regierungspartei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) offenbar am wenigsten Engagement zeigt. Vielleicht weiß sie, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Dies umso mehr, als ihr Anführer Jarosław Kaczyński mit seiner frauenfeindlichen Aussage, dass «Frauen unter 25 Jahren keine Kinder zur Welt bringen, weil sie zu viel trinken», die Ablehnung junger Frauen provoziert hat.

Wie geht die Opposition mit der Herausforderung der Mobilisierung um? Die Oppositionsparteien haben teilweise deutliche Lehren gezogen.

Auf den Listen für die Wahlen zum Sejm, dem polnischen Parlament, wurde mit dem «Reißverschlussverfahren» ein Mechanismus eingesetzt, um den Anteil weiblicher Kandidat*innen zu erhöhen («Linke» (Lewica) - 49,6%, «Bürgerkoalition» (Koalicja Obywatelska, KO) - 47,8%, «Dritter Weg» (Trzecia Droga) - 41,2%).

Und auf viele Spitzenplätze der regionalen Wahllisten wurden Frauen gewählt. Es gab jedoch auch einige Pannen: So waren bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des von der Opposition mühsam geschlossenen «Senatspakts» (einer Vereinbarung, in jedem Einzelwahlkreis einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame Kandidatin für den Senat – die zweite Kammer des polnischen Parlaments – aufzustellen) nur männliche Vertreter der Parteien anwesend. Offenbar haben die Parteiführer ihre Kolleginnen vergessen. Und das ausgerechnet bei der ersten Pressekonferenz, bei der die Oppositionsparteien in irgendeiner Frage eine völlige Übereinstimmung verkünden konnten.

Das Programmangebot der Opposition ist vielfältig – zum Beispiel stimmt die «Bürgerkoalition» in der Frage der Abtreibung mit der «Neuen Linken» überein (Möglichkeit der Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche ohne Angabe von Gründen). Der «Dritte Weg» fordert jedoch eine Volksabstimmung in dieser Frage. Alle drei Parteien fordern eine staatliche Finanzierung der Methode der In-vitro-Fertilisation und stellen sozialpolitische Forderungen für Frauen: die «Linke» zur Witwenrente; die «Bürgerkoalition» zur finanziellen Unterstützung für Frauen, die in den Arbeitsmarkt zurückkehren, damit sie sich eine Kinderbetreuung leisten zu können; der «Dritte Weg» zur gleichen Entlohnung von Frauen und Männer sowie Investitionen für Kindergärten.

Außerdem gibt es viele Versuche, das frauenpolitische Image zu verbessern: Frauen sind bei allen Pressekonferenzen und Wahlkampfveranstaltungen sichtbar und es gibt spezielle Veranstaltungen unter dem Titel «Frauen-Power» zu den Bedürfnissen von Frauen. Die Präsenz von Frauen in der politischen Debatte war noch nie so groß. Aber die Opposition muss sich die Frage stellen, ob das alles ausreicht, um polnische Frauen zur Beteiligung an der Wahl zu motivieren. Denn wenn sie bei der Wahl zu Hause bleiben, wird Jarosław Kaczyński eine dritte Amtszeit regieren.