Am 7. April 2024 fanden in Polen Kommunal- und Regionalwahlen statt. Ihr Ergebnis war mit Spannung erwartet worden, nachdem im Oktober die national-konservative Regierung von «Recht und Gerechtigkeit» (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) abgelöst worden war. Laut Wahlumfrage (IPSOS-Exit-Poll) erreichte PiS bei den Wahlen zu den regionalen Parlamenten (Sejmiki) 33,7 Prozent, die liberale Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) 31,9 Prozent, der konservative Dritte Weg (Trzecia Droga, TD) 13,5 Prozent, die rechtsextreme Konföderation (Konfederacja) 7,5 Prozent und die Linke (Lewica, Bündnis der sozialdemokratischen Neuen Linken, Nowa Lewica, und der weiter linksstehenden Partei Zusammen, Razem) 6,8 Prozent. Seit Oktober regieren KO, TD und Nowa Lewica gemeinsam, toleriert von Razem.
Sieg der Bürgerkoalition in den Städten
Die Wahlen in den Großstädten konnte die liberale Bürgerkoalition von Ministerpräsident Donald Tusk für sich entscheiden. In Warschau, Gdańsk und Białystok wurden die amtierenden KO-Bürgermeister*innen gleich im ersten Wahlgang wiedergewählt. Die Kandidat*innen von PiS landeten in der Regel auf dem zweiten oder sogar dritten Platz. In den Fällen, in denen ihre Kandidat*innen nun zur Stichwahl antreten müssen, haben sie nur sehr geringe Chancen.
Achim Kessler leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.
Teilerfolg für die Linke
Magdalena Biejat (Razem), gemeinsame Kandidatin der Linken für das Amt der Bürgermeisterin von Warschau, erreichte mit 12,8 Prozent der Stimmen den dritten Platz nach Rafał Trzaskowski (KO) mit 57,4 Prozent und Tobiasz Bocheński (PiS) mit 23,1 Prozent. Verglichen mit den 6,8 Prozent der Linken im Landesdurchschnitt ein hervorragendes Ergebnis! Dies reichte zwar nicht aus, um mit dem amtierenden Bürgermeister Trzaskowski zu konkurrieren, zeigt aber, dass die Linke in der Hauptstadt eine starke Position hat. Biejats dynamische Kampagne hat sich offensichtlich ausgezahlt. Lewica konnte auch in Städten wie Częstochowa und Włocławek gute Ergebnisse erzielen, wo ihre Bürgermeisterkandidat*innen im zweiten Wahlgang gegen die Kandidat*innen der KO antreten werden. Allerdings bleibt Lewica mit landesweit durchschnittlich 6,8 Prozent die schwächste Partei.
Im Wahlkampf hat Lewica, derzeit kleinster Koalitionspartner in der Regierung, vor allem die Themen Wohnungsnot und Frauenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Als einzige Partei setzt sie sich für einen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik ein. Der Bau von Wohnungen ist in Polen weitgehend dem freien Markt überlassen. Der Anteil von Mietwohnungen liegt bei nur ungefähr zehn Prozent. Lewica fordert dagegen kommunale Wohnungsbauprogramme, um günstige Wohnungen anzubieten und über ein größeres Angebot an Mietwohnungen zugleich das allgemeine Mietniveau zu senken.
In Bezug auf die Rechte von Frauen betont Lewica die Tatsache, dass die meisten Krankenhäuser von der kommunalen oder regionalen Ebene verwaltet werden, so dass über das Recht von Frauen auf Abtreibung auch auf der kommunalen Ebene entschieden wird. In Polen sind Abtreibungen nur in sehr wenigen Ausnahmefällen erlaubt. Und selbst dann wird ihnen ein Schwangerschaftsabbruch häufig verweigert, weil Ärzt*innen Angst haben, dafür vor Gericht gestellt zu werden. Bei den Parlamentswahlen hatte die heutige Regierung das Recht auf Abtreibung gefordert, konnte sich aber bis jetzt nicht auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen. Das hat das Vertrauen der Frauen auf die neue Regierung erschüttert.
PiS bleibt ein wichtiger Akteur
Das schwache Abschneiden von PiS in den größeren Städten kam für niemanden überraschend. Die größte Herausforderung für PiS waren die Wahlen zu den Parlamenten der 16 Wojewodschaften (Województwa), vor allem in Ostpolen, wo sie bisher regiert. Obwohl die regionalen Parlamente keine große Macht haben, spielen sie eine wichtige Rolle bei der Vergabe von Mitteln des EU-Strukturfonds. In der Praxis bedeutet jede «verlorene» Region den Verlust zahlreicher Stellen in regionalen Behörden, die mit Parteimitgliedern besetzt werden können.
Mit 33,7 Prozent kann PiS nach dem Regierungswechsel zwar aufatmen, aber es besteht die Möglichkeit, dass sie einige Regionen verlieren wird, in denen sie bislang regiert, auch wenn sie dort nach wie vor stärkste Partei ist. Damit wurde im Wesentlichen das Ergebnis der Wahlen auf der nationalen Ebene bestätigt: PiS ist in der Defensive, bleibt aber eine starke Kraft in der polnischen Politik.
Die extreme Rechte
Zur Erleichterung vieler war der Versuch der rechtsextremen Konfederacja erfolglos, die Proteste der Bauern gegen sinkende Getreidepreise durch Importe aus der Ukraine und die hohe finanzielle Belastung durch die Klimapolitik der Europäischen Union für sich zu instrumentalisieren.
Mahnung für die Regierung
Insgesamt ist das Ergebnis eine Mahnung an die Regierung, ihre Versprechen aus dem Wahlkampf auch tatsächlich einzulösen. Wenn sie es weiterhin versäumt, die Rechte von Frauen und die soziale Situation zu verbessern, läuft sie Gefahr, bei den nächsten Wahlen die Regierung wieder zu verlieren. Die größte Gefahr ist dabei, dass Präsident Tusk alles daran setzt, Lewica innerhalb der Regierung zu marginalisieren, und zwar zulasten der Frauen und zulasten der Arbeitnehmer*innen. Wenn Tusk diese Strategie fortsetzt, läuft er Gefahr, sich selbst den Ast abzusägen, auf dem er sitzt.
Bislang konnte Lewica innerhalb der Regierung ihre Forderungen gegen Tusk nicht ausreichend durchsetzen. Notwendig wäre eine Zuspitzung der Regierungspolitik im Hinblick auf die Durchsetzung von Frauenrechten und einer Verbesserung der sozialen Situation. Gemeinsam mit Frauenrechtsorganisationen und Gewerkschaften könnte die Linke auf den Straßen Druck aufbauen, damit die Koalition sich endlich auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs einigt und die Verbesserung der Situation von Arbeitnehmer*innen in Angriff nimmt.
Die Wiedererhebung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel hat das Vertrauen auf eine soziale Politik der Regierung in Frage gestellt. Eine Fortsetzung dieser Politik wird sie auf lange Sicht die Mehrheit kosten. Denn PiS ist zwar noch in der Defensive, aber sie bleibt eine starke politische Kraft, solange es der Regierung nicht gelingt, Frauen langfristig an sich zu binden und die Arbeitnehmer*innen von PiS zurückzugewinnen.