Wahlen in Polen

Im Vorfeld der Wahlen am 15. Oktober 2023 lieferten sich Regierung und Opposition ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Eine zunehmende Polarisierung war zu beobachten. Der Wahlkampf war der verbal brutalste in der modernen Geschichte Polens. Wo liegen die Chancen für progressive Kräfte? Kommt es zu einem Regierungswechsel?

4. Juni 2023: «Marsch für die Demokratie» in Warschau mit bis zu 500.000 Teilnehmer*innen. Der Marsch fand zum Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen in Polen am 4. Juni 1989 statt.
4. Juni 2023: «Marsch für die Demokratie» in Warschau mit bis zu 500.000 Teilnehmer*innen. Der Marsch fand zum Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen in Polen am 4. Juni 1989 statt. Foto: IMAGO / NurPhoto

Am 15. Oktober 2023 fanden in Polen die Wahlen zum Sejm statt. Nicht zuletzt infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine hat das außenpolitische Gewicht Polens deutlich zugenommen. Insofern hat der Ausgang der Wahlen auch großen Einfluss auf die Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024: Würde die Regierung der national-konservativen Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, dt. «Recht und Gerechtigkeit») bestätigt, könnte sie das nutzen, um ihre Themen im Europawahlkampf europaweit auf die Tagesordnung bringen.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Regierung und Opposition

Regierung und Opposition liefern sich in den Meinungsumfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. PiS muss um den Erhalt der Macht fürchten und verschärft deshalb den Ton und greift zu immer drastischeren Maßnahmen. Dies hat die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission mit Sonderbefugnissen gezeigt.

Diese Kommission soll untersuchen, ob politische Entscheidungen in der Vergangenheit unter «russischem Einfluss» getroffen worden sind. Sie hat zugleich die Funktionen von Anklage und Gericht, was jedem demokratischen Rechtsverständnis widerspricht. Es ist offensichtlich, dass das Hauptziel dieser Kommission die Diffamierung des Vorsitzenden der PO (Platforma Obywatelska, dt. «Bürgerplattform»), Donald Tusk, sein soll, der von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens war und heute die Opposition anführt. Die Kommission besitzt sogar die Befugnis, Personen von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Die meisten unabhängigen Medien und Politiker*innen der Opposition bezeichnen das Gesetz zur Einrichtung der Kommission deshalb als «Lex Tusk».

Die Ankündigung von PiS, zugleich mit den Wahlen ein Referendum zur Asylpolitik durchzuführen, wird von vielen Kommentator*innen als Versuch gewertet, den Wahlkampf erneut auf dem Rücken von Menschen auszutragen, die aus Not ihre Heimat verlassen mussten.

Regierungswechsel nicht ohne Wahlerfolg der Linken

Stärkste Oppositionspartei ist die liberale PO. Doch wird sie alleine nicht in der Lage sein, eine Mehrheit zu erreichen. Sollte es zu einem Regierungswechsel kommen, wird die PO neben der der moderat konservativen Trzecia Droga (dt. «Dritter Weg») vor allem auf die Unterstützung der Linken angewiesen sein, eines Bündnisses der sozialdemokratischen Nowa Lewica (NL, dt. «Neue Linke»), und der weiter linksstehenden Partei Razem (dt. «Zusammen»). Lewica liegt in den Umfragen derzeit bei circa zehn Prozent. Die zunehmende Polarisierung des Wahlkampfs führt jedoch nicht zu einer Zunahme des «Regierungslagers» oder des «Oppositionslagers», sondern innerhalb der beiden Lager zur Stärkung der jeweils größten Partei. Für Lewica resultiert daraus die Gefahr, innerhalb des Oppositionslagers an den Rand gedrängt zu werden.

Menschenrechte mit sozialen Rechten verbinden

Die Opposition unterstützt entschieden die Rechte von Frauen, Migrant*innen und queeren Menschen. Vieles wird davon abhängen, ob es der Opposition gelingt auch hinsichtlich der Lösung sozialer Probleme glaubhaft zu werden. Denn hier haben PO und die NL ein Problem: Beide Parteien waren, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, für Sozialkürzungen im Zuge der Transformation verantwortlich. Das wiederum hat PiS genutzt, ehemals linke Wähler*innen durch die Einführung eines Kindergeldes und die Rücknahme der Erhöhung des Renteneintrittsaltes für sich zu gewinnen. Entscheiden wird also sein, ob es Lewica gelingt soziale Themen, wie die Privatisierung und Unterfinanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt und die geringen Löhne im Wahlkampf auf die Tagesordnung zu bringen.

Erstarken der noch radikaleren Rechten

In den Umfragen der letzten Zeit hat die nationalistische Konfederacja (dt. «Konförderation») deutlich hinzugewonnen und liegt nun bei einem Höchststand von 17 Prozent (Stand vom 20.07.2023). Dies ist in erster Linie auf ihre Forderung nach Steuersenkungen und ihre lautstarke Ablehnung der «westlichen political correctness» zurückzuführen. Konfederacja scheint jedoch auch davon zu profitieren, dass sie die einzige Kraft im Parlament ist, die Vorbehalte gegenüber Polens politischer und militärischer Unterstützung für die Ukraine und der Politik der «offenen Türen» gegenüber ukrainischen Flüchtlingen äußert. Viele glauben, dass die Konfederacja der PiS letztlich die Stimmen verschaffen könnte, die sie für eine parlamentarische Mehrheit benötigt. Als Ergebnis stünde eine weitere Rechtsentwicklung der Regierungspolitik zu befürchten. Es ist jedoch auch möglich, dass Konfederacja sich einer möglichen Regierungsbeteiligung verweigern und darauf spekulieren könnte, von dem dadurch entstehenden Chaos weiter zu profitieren.
 

Achim Kessler, Leiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau