Kommentar | Israel - Palästina / Jordanien - Krieg in Israel/Palästina Israel vor dem Internationalen Gerichtshof

Unterstützt Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Kommentar von Karin Gerster

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Autorin

Karin A. Gerster,

Israelische Soldaten durchsuchen das Auto eines Palästinensers an einem Kontrollpunkt in der Stadt Hebron im Westjordanland (August 2023)
Alltag für Palästinenser*innen im Westjordanland: Durchsuchungen an einem Kontrollpunkt des iraelischen Militärs Foto: IMAGO / APAimages

Jüngst wurde bekannt, dass die Bundesregierung plant, Israel im Gaza-Krieg mit 10.000 Schuss Präzisionsmunition für Panzer zu unterstützen. Die israelische Regierung hatte diesbezüglich bereits im November 2023 mit der Begründung angefragt, dass dem Militär die Munition ausgehe. Dem «Spiegel» zufolge gibt es bereits ein grundsätzliches Einvernehmen zwischen den beteiligten Ressorts: Kanzleramt, Verteidigungs-, Außen- und Wirtschaftsministerium.

Panzermunition wird in Deutschland vom Rüstungskonzern Rheinmetall hergestellt. Da Rheinmetall derzeit offenbar Lieferschwierigkeiten hat, wird in der Bundesregierung darüber nachgedacht, Bestände der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, um der Bitte Israels zeitnah nachzukommen. Bislang haben beide Regierungen dieses Verfahren nicht offiziell bestätigt. Allerdings hat das Bundeswirtschaftsministerium die für 2023 vorgesehenen Rüstungsexporte nach Israel Anfang November von 32 Millionen auf 303 Millionen Euro erhöht.

Karin A. Gerster leitet das Büro Ramallah der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Krieg und Besatzung

Kurz nach dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 hat die israelische Regierung der Organisation den Krieg erklärt. Hauptziele der Militäroperation sind Tel Aviv zufolge die Vernichtung der Hamas, die Befreiung der verschleppten israelischen Geiseln und die Sicherstellung, dass von Gaza keine Gefahr mehr für Israel ausgehe.

Wenn die derzeitige israelische Regierung behauptet, sie führe Krieg gegen die Hamas, ist das jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Denn ihr Krieg richtet sich nicht nur gegen die Hamas, sondern auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Hinzu kommen zahlreiche Übergriffe im Westjordanland und in Ost-Jerusalem, für deren Einwohner*innen Israel als Besatzungsmacht nach internationalem Recht eine Fürsorgepflicht hat.

Im Westjordanland ist es ein stiller, im Gazastreifen dagegen ein dröhnender Krieg, der mit Bomben, Raketen, Drohnen und Panzern geführt wird und massive Zerstörungen sowie zahlreiche Toten und Verletzten zur Folge hat. Die Pläne rechtsradikaler israelischer Politiker*innen drohen gar, eine neue Welle der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung auszulösen.

Die Lage im Westjordanland ist gekennzeichnet durch die dauerhafte Präsenz der israelischen Armee und die gewalttätigen Aktionen militanter Siedler*innen. Nahezu täglich gibt es Militäroperationen, bei denen Palästinenser*innen angegriffen und getötet werden. Auch kommt es immer wieder zu Vertreibung, Landraub und der gezielten Zerstörung der Lebensgrundlagen.

Grundsätzlich existieren im Westjordanland zwei unterschiedliche Rechtssysteme: Palästinenser*innen fallen unters Militärrecht, während die – nach internationalem Recht illegalen – Siedler*innen als Einwohner*innen Israels gelten und unter israelisches Zivilrecht fallen. Auch das Straßensystem ist zweigeteilt: Es gibt Straßen für Siedler*innen, die gelbe Autokennzeichen nutzen, und Straßen für Palästinenser*innen mit grünen Autokennzeichen. (Da Israel das besetzte Ost-Jerusalem 1980 annektierte, haben Palästinenser*innen von dort ebenfalls gelbe Kennzeichen.)

Im von Ministerpräsident Mahmut Abbas und der Fatah regierten Westjordanland sind seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 7.000 Palästinenser*innen vom israelischen Militär verhaftet und annähernd 400 erschossen worden. Es besteht überdies ein umfassendes Kontrollregime aus 480 festen und rund 350 temporären militärischen Kontrollstationen. An diesen können Palästinenser*innen jederzeit verhaftet und für sechs Monate (und ggf. auch länger) in «Administrativhaft» genommen werden.

Es ist also kein Zufall, dass Menschenrechtsorganisationen wie B’tselem, Human Rights Watch oder Amnesty International diese Strukturen als «Apartheid» bezeichnen.

Offiziell bemüht die israelische Regierung mit Blick auf die Hamas das alte Feindbild einer islamistischen Partei, in deren Charta steht, dass sie Israel vernichten wolle. Das hat die Netanjahu-Regierung allerdings in den letzten Jahren nicht davon abgehalten, mit der Hamas zu verhandeln.

Der israelische Angriff auf den Gazastreifen dauert nun schon über drei Monate. Die Infrastruktur wurde fast vollständig zerstört, 1,9 Millionen Menschen sind innerhalb Gazas vertrieben. Es gibt über 28.000 Tote sowie rund 10.000 vermisste und 70.000 verletzte Palästinenser*innen. Seit dem 9. Oktober unterbindet Israel immer wieder die Versorgung mit Strom, Wasser und Benzin. Inzwischen leiden über 80 Prozent der Menschen in Gaza an Hunger und Durst, die Gefahr von Krankheiten und Seuchen steigt ständig. Die Welthungerhilfe vermutet, dass in den nächsten Monaten die Anzahl der Menschen, die an Hunger und Seuchen sterben, jene der bereits Getöteten noch übertreffen könnte.

Die Klage Südafrikas

Am 29. Dezember 2023 reichte Südafrikas Regierung beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag Klage gegen Israel wegen Völkermords ein und forderte, dass Israel zur Einstellung seiner Angriffe in Gaza veranlasst wird.

Außenministerin Annalena Baerbock war am 7. Januar 2024 zu einer Stippvisite in Israel, im besetzten Westjordanland und am Grenzübergang Rafah/Gaza nach Ägypten. Dort verkündete sie, Deutschland werde die humanitäre Hilfe aufstocken. Sie erklärte auch, dass der Siedlungsbau im Westjordanland illegal sei und die Bundesregierung von Israel erwarte, dies zu respektieren – eine an Unverbindlichkeit kaum zu überbietende Formulierung.

Wenige Tage später folgte ein Kurzbesuch des Bundeswirtschaftsministers, Robert Habeck. Just an dem Tag, als die südafrikanische Delegation vor dem IGH ihre Anklageschrift gegen Israel vortrug, erklärte er – ganz im Sinne der israelischen Regierung –, dass deren Anschuldigungen jeder Grundlage entbehrten. Am Tag darauf sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, dass die Bundesregierung im Falle einer Hauptverhandlung gegen Israel als Drittpartei an der Seite Israels zu intervenieren beabsichtige.

Ministerpräsident Netanjahu hat in einer Pressekonferenz am 18. Januar 2024 zum wiederholten Male geäußert, dass Israel die Kontrolle über das Land nicht abgeben werde. Das bestätigt, was viele Analyst*innen und Politiker*innen nur hinter verschlossenen Türen aussprechen: Die Zweistaatenlösung steht vor dem Aus.

Die deutsche Staatsräson

Die Außenpolitik der Bundesregierung ist im Sinne der selbst erklärten «Staatsräson» konsequent. Sie wird jedoch keineswegs nur von den Palästinenser*innen, sondern auch von zahlreichen Regierungen sowie von vielen Bürger*innen weltweit kritisiert.

Deutschland ist durch die Waffenlieferungen seit Oktober 2023 ein Kriegsakteur. Die Bundesregierung beteiligt sich mit ihrer Unterstützung Israels möglicherweise an Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und scheidet dadurch inzwischen auch als glaubhafter Vermittler im Konflikt aus.

Am 26. Januar 2024 forderte der IGH die israelische Regierung auf, einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Er verlangte allerdings nicht, wie von Südafrika in dem Eilantrag gefordert, ein sofortiges Ende des Militäreinsatzes.

Dennoch war die Klage Südafrikas keineswegs erfolglos. Israel muss sich wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eines drohenden Völkermords vor dem IGH verantworten. Das Verfahren dürfte indes Jahre dauern. Sollte es aber letztendlich erfolgreich sein, könnten Länder wie die USA, Großbritannien oder auch Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden.