Am 25. März wurde in Senegal eine neue Regierung gewählt. Fast 55 Prozent derjenigen, die zur Wahl gingen, wählten Bassirou Diomaye Faye zum neuen Präsidenten. Mit seinen 44 Jahren ist er fast halb so alt wie manch anderes Staatsoberhaupt in Westafrika. Zusammen mit Premierminister Ousmane Sonko, in den letzten Jahren bekannt für seine radikalen Forderungen für einen Umbau Senegals, verspricht Diomaye einen Bruch mit dem Bestehenden. Wo steht die neue Regierung nach einem Monat?
Mit Ibrahima Thiam, Projektmanager für Klima- und Ressourcengerechtigkeit im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar, sprach Franza Drechsel, Referentin und Projektmanagerin für Westafrika in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.
Franza Drechsel: Ibrahima, Senegals neue Regierung hat den starken Willen, etwas zu verändern. Wie geht es dir damit?
Ibrahima Thiam: Soweit gut. Das ganze Land schrie förmlich nach Veränderung. Man spürte über die letzten Monate, wie groß der Wunsch war, dass sich endlich etwas bewegt. Das hat erstmal Chaos gebracht – viele Verhaftungen, schließlich die Wahlverschiebung. Es war eine wirklich starke Protestwahl gegen die letzte Regierung. Selbst in den Wahlkreisen, wo Minister*innen der alten Regierung antraten, gab es mehr Stimmen für Diomaye! Das ist besonders! Und jetzt sind die Erwartungen groß.
Was heißt das, es solle sich endlich was bewegen? Was denn?
Die Regierung unter Macky Sall hat viel erreicht was den Ausbau von Infrastruktur angeht. Aber das Soziale wurde vernachlässigt, die Ungleichheit nahm zu. Unsere Jugend ist verzweifelt – immer mehr suchen Wege, das Land zu verlassen. Sie steigen in kleine, wackelige Boote, um zu den Kanarischen Inseln zu fahren, wo sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nie ankommen, oder zahlen noch mehr Geld um über Umwege nach Nicaragua und dann in die USA zu gelangen. Dabei wollen sie gar nicht gehen, sie wollen zu Hause etwas erreichen können!
Du sagst, die Erwartungen sind groß – wieso?
Letztlich konnte Diomaye gewinnen, weil Sonko mit der Partei Pastef eine richtige Jugendbewegung aufgebaut hat. Es war nicht nur Sonko als Einzelperson, sondern eben dieser breite Glaube an Veränderung. Umso mehr erwarten die jungen Leute jetzt, dass sich etwas ändert. Und zwar schnell.
Sonko hat die Partei gegründet und durfte nicht kandidieren. Nur durch die Kandidatur wurde Diomaye selbst überhaupt bekannt. Jetzt arbeiten sie als Premierminister und Präsident zusammen. Was erwarten sie sich davon?
Nun, sie waren bisher ein gutes Team. Aber bis jetzt haben sie nur kritisiert. Eine Regierung zu führen und Minister zu sein ist aber etwas ganz anderes. Ich bin noch nicht sicher, ob sie das können.
Was sind die ersten Schritte der Regierung gewesen?
Sie wollen vor allem prüfen, wo Geld gespart werden kann, denn Senegal hat Schulden und wenig Geld in der Staatskasse. Sonko und Diomaye haben beide in der Finanzbehörde gearbeitet. Man erwartet, dass sie das System gut kennen und wissen, welche Stellschrauben gedreht werden müssen. Konkret heißt das, sie wollen kontrollieren, ob Unternehmen ihre Steuern zahlen und welche Ausgaben in Ministerien unnötig sind. So werden ehemalige Minister*innen aufgefordert, ihre Dienstwagen abzugeben und ihre Diensthäuser zu verlassen. Und es kommt endlich Bewegung in begonnene Prüfungen vom «Nationalen Amt zur Bekämpfung von Betrug und Korruption».
Im Wahlkampf hieß es immer wieder, es solle einen Bruch mit dem Bestehenden geben. Teilst du die Hoffnung, dass das wirklich passiert?
Ich war wie einige andere erst gegen diese Bewegung. Wie rowdyhaft sich Sonko oft verhalten hat! So respektlos! Er hat die Region Casamance instrumentalisiert, das ist wegen des andauernden Konflikts dort wirklich unsensibel. Es ging immer um irgendwelche Feinde. Trotzdem ist die Hoffnung, die Diomaye und Sonko durch die Wahl gesät haben, total wichtig. Vorher gab es sehr viel Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, nichts ändert sich. Darum: Egal, wie ich vorher zu ihm stand, ich – und viele andere! – wollen, dass es jetzt gut wird. Das ist in unser aller Interesse.
Gibt es schon Beispiele für solch eine tiefgreifende Veränderung?
Eine Kleinigkeit vielleicht, aber für Senegal durchaus besonders, ist, dass in der aktuellen Regierung keine Ämterhäufung geduldet wird. Früher war es so, dass man ein Parteiamt haben konnte oder auch gleichzeitig ein Bürgermeisteramt. Sonko hat sein Mandat als Bürgermeister von Ziguinchor in der Casamance abgelegt, Diomaye sein Amt als Generalsekretär der Pastef. Außerdem gibt es ernste Bestrebungen, faire Auswahlverfahren bei der Besetzung von Verwaltungsposten einzuführen.
Neben der versprochenen «rupture» versichert Diomaye internationalen Partnern aber auch, dass alles mehr oder weniger so bleibt, wie es ist. Ein Widerspruch?
Ich will mit einem Beispiel antworten: Es gab in der senegalesischen Geschichte seit der Unabhängigkeit noch nie eine so radikale Opposition, so einen starken Willen, etwas zu ändern. Und trotzdem konnten wir schon jetzt sehen, wie manche Position aufgeweicht wurde. Sonko wollte nie mit französischen Medien sprechen, und dann hat er es doch gemacht. Auf Französisch sagt man: Er hat Wasser in seinen Wein geschüttet. So ähnlich ist es jetzt auch.
Anti-französische Ressentiments sind ja in Westafrika weit verbreitet: In Niger, Burkina Faso und Mali wurde das französische Militär des Landes verwiesen und neokoloniale Verträge zu Gunsten Frankreichs wurden aufgekündigt. In Senegal gibt es eine Bewegung, die sich «France dégage» (Frankreich hau ab) nennt. Wie wird sich die senegalesische Regierung gegenüber Frankreich positionieren?
Macky Salls erster Besuch im Ausland galt Frankreich, damit machte er seine Akzeptanz der de facto andauernden Kolonialherrschaft deutlich. Diomaye dagegen wird so schnell nicht dahin fliegen. Allerdings ist die Kooperation mit unserer Ex-Kolonialmacht so tief, dass ein radikaler Bruch nicht im Sinne des Wohlergehens unseres Landes wäre. Eher wird es wohl ein neues Gesetz geben, damit französische Firmen Steuern nicht nur in Frankreich zahlen, sondern auch hier. Das ist also der Weg der neuen Regierung: Kein Rauswurf, sondern der Versuch, die Situation zu Gunsten von Senegal zu drehen. Aber es bleiben auch Fragen: Wie wir die «France dégage»-Bewegung darauf reagieren? Sie stand bisher hinter Pastef, wird das so bleiben? Und wie wird die Regierung mit der französischen Militärpräsenz umgehen?
Und was denkst du, welche Beziehung die Regierung Diomaye zu der von Niger, Burkina Faso und Mali gegründeten Allianz der Sahelstaaten (AES) aufbauen wird?
Zunächst: Auch in Senegal wird Frankreich als die Reinkarnation des Kapitalismus gesehen, als Symbol der Ausbeutung. Auch hier gibt es einen großen Wunsch nach Selbstbestimmung. Deshalb wird es sicherlich eine Solidarisierung mit der AES geben. Diese Art des Umbruchs, den die genannten Länder militärisch erlebt haben, suchen derzeit alle. In Senegal hatten wir das Glück, dass er per Wahl zustande kam. Trotzdem galt der erste Auslandsbesuch von Diomaye Mauretanien als direktem Nachbarland. Das zeigt zum einen, dass er die Region im Blick hat, aber auch, dass er eben nicht die Priorität auf das andere Nachbarland Mali legt.
Es gibt eine große Debatte in Senegal, dass von 25 Minister*innen nur vier Frauen sind.
Ja! Es gibt sehr viel Kritik daran! Vor allem Frauenorganisationen und feministische Gruppen kritisieren das, aber nicht nur. Der Anteil an Frauen in früheren Regierungen war höher. Wir haben ja auch ein Gleichstellungsgesetz für die Wählerlisten. Daran sollte man sich orientieren!
Wie reagiert die Regierung auf die Kritik?
Bisher gibt es keine direkte Reaktion. Aber ich denke, das ist nur der Anfang – es wird noch Änderungen in der Kabinettsbesetzung geben. Allerdings haben Sonko und Diomaye bei der Auswahl der Minister*innen auch bewiesen, dass sie mutig sind, unpopuläre Entscheidungen zu treffen: Viele hätten erwartet, dass sie einen Posten bekommen, weil sie eine wichtige Rolle in der Bewegung gespielt hatten. Die beiden haben das nicht als Grundlage für ihre Auswahl gemacht, obwohl das zu viel Unmut führen kann.
Schnell nach Amtsbeginn besuchte Diomaye die Muslimbruderschaften in Senegal, die Muriden. Wie kam das an?
Die Muriden sind sehr präsent in Senegal. Sie sind zwar nicht die Mehrheit der Gläubigen, aber sie sind sehr einflussreich – schon seit der Kolonialzeit. Es wurde oft so dargestellt, dass die Bewegung, die Sonko und Diomaye aufgebaut haben, gegen religiöse Bruderschaften sei, darum kann man den Besuch als Symbol verstehen, das zu widerlegen. Diomaye ist Präsident aller Senegales*innen und das heißt, er muss auch die religiösen Bruderschaften ins Boot holen. Das wurde im Allgemeinen positiv gesehen im Sinne von Zusammenhalt der Nation.
Ein erster Besucher, den Diomaye empfing, war dagegen der Direktor der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), die zur Weltbank gehört. Wie lässt sich das einordnen?
Ich glaube, man muss dieses Treffen nicht überbewerten – sie haben über Agrarwirtschaft und Digitalisierung gesprochen und wie man dafür Geld mobilisieren kann. Es war eher ein Treffen um auszuloten, wo es hingehen kann. Manche fanden das gut, aber im Allgemeinen wurde es kaum bewertet. Wir wissen, die Regierung ist unerfahren und braucht Beratung. Gleichzeitig stellten sich manche die Frage, ob die Regierung Kredite aufnehmen will und was das heißt.
Apropos Staatseinnahmen: Von der Förderung von Gasvorkommen vor der senegalesischen Küste erhoffte sich die Regierung Sall einiges an Geld für die Staatskasse. Die geplante Förderung und auch ihre Risiken waren ein wichtiges Wahlkampfthema. Wie steht die Regierung Diomaye dazu?
Im Moment liegt der Fokus darauf, die Einnahmen effizienter zu nutzen, um soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Unter Sall sollte es zum Beispiel einen Fonds für künftige Generationen geben; der soll gestärkt werden. Vor allem aber wird darüber gesprochen, dass die Regierung die Verträge mit BP und Kosmos Energy neuverhandeln will: Es wird um mehr nationale Nutzung des Gases gehen und vielleicht auch um höhere nationale Anteile am Konsortium. Außerdem verspricht die Regierung mehr Transparenz – was wirklich gut wäre! Wir haben einen großen Bedarf an Expert*innen für Vertragswesen, damit wir künftig solche Verträge besser verhandeln! Für mich ist darüber hinaus auch eine wichtige Frage, was mit der Sanierung der Gasinstallationen passiert, wenn die Unternehmen gehen.
Was würdest du dir von der neuen Regierung wünschen?
Bisher wird kaum über Erneuerbare Energien gesprochen – das wäre wichtig! Wir haben so viel Sonne und es fehlt uns an Strom. Wenn wir klug einen Transfer von Wissen und Technologie organisieren, könnten wir eine ganze Branche aufbauen, also nicht nur von Energie profitieren, sondern auch noch Arbeitsplätze schaffen. Bisher schweigen Diomaye und Co dazu, ich hoffe, das ändert sich bald!