20. November 2023 Diskussion/Vortrag Städte der Vielfalt in Zeiten der Völkermischung

Seismographen des Wandels XI: Migration, Flucht, Erinnerungen

Information

Veranstaltungsort

Rosa-Luxemburg-Stiftung
Saal
Straße der Pariser Kommune 8A
10243 Berlin

Zeit

20.11.2023, 19:00 - 21:00 Uhr

Themenbereiche

Deutsche / Europäische Geschichte, Erinnerungspolitik / Antifaschismus, Migration / Flucht

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Städte der Vielfalt in Zeiten der Völkermischung
Eine niederländische Lehrerin führt eine Gruppe von geflüchteten Kindern an, die gerade aus einem Schiff in den Tilbury Docks in Essex ausgestiegen sind (1945).

«Die große Völkermischung, der Verlust einer vermeintlichen Identität wird der weltumgreifende Konflikt», so Volker Braun in seiner Kamenzer Rede, «das Abenteuer der Gattung im 3. Jahrtausend. Die Katastrophen sind vorgezeichnet, die Rettungen sind zu erfinden.»

Mittlerweile sind viele Metropolen ein Patchwork der Minderheiten und damit auch eines der verschiedenen Erinnerungen, überlappenden Konflikte und anderer Traditionen. Noch wiegen Erinnerungen an die Katastrophen des 20. Jahrhunderts schwer, selbst wenn die unmittelbaren Zeitzeugen allmählich verschwinden. Nachgeborene tradieren sie.
In Cécile Wajsbrots neu übersetztem Roman «Memorial» sagt die Erzählerin, auf dem Weg zu Orten des Völkermords an den europäischen Juden, «ich trug die Last einer Vergangenheit, die ich nicht selbst erlebt hatte, als unfreiwillige Zeugin von Abgründen, die Generationen trennten». Es ist ein Erinnerungswerk, in dem auch das Schweigen und das Verdrängen dargestellt wird. Leider ist der Antisemitismus und andere Formen des Menschenhasses aktueller als zu den Zeiten als das Werk zuerst in Frankreich erschien. «Die Schuld zerstört die Gehirne und Seelen der Schuldigen. Das Blut der Opfer löscht den Durst der Mächtigen, aber es ist vergiftet», so heißt es im ersten Roman des Musikers Marc Sinan. Und leider ist der Völkermord an den Armenien vor über 100 Jahren tagesaktuell. Die Grenzen, die damals gezogen worden sind, waren koloniale. Die Auseinandersetzung damit war eine Hauptbaustelle des Kultursenators Klaus Lederer und bleibt sie auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt.

Der Abend diskutiert nicht nur die verflochtenen und die parallelen Geschichten, die die Geschichte Berlins ausmachen oder sich hier verbinden, sondern zeigt auch sinnliche Wege wie sie gestaltet werden können.

  • Marc Sinan, Sohn einer türkisch-armenischen Mutter und eines deutschen Vaters, ist Musiker, Komponist und Autor. Täter und Opfer und Völkermord: darum geht es in Marc Sinans Werk. Er spielt auf der Gitarre eigene Kompositionen, liest aus seinem Roman „Gleißendes Licht“ (Rowohlt) und diskutiert.
  • Cécile Wajsbrot lebt als vielseitige Autorin (Roman, Essay, Hörspiel) und Übersetzerin aus dem Englischen und Deutschen in Paris und Berlin. Sie liest aus ihrem neu übersetzten Roman «Memorial» (Wallstein) und diskutiert.
  • Klaus Lederer, Politiker (Die Linke), gestaltet eine Stadtgesellschaft der Vielfalt. Als Bürgermeister von Berlin und Senator für Kultur und Europa (2016-2023) setzte er sich für eine neue Erinnerungspolitik und nahm den Kolonialismus als beständige Aufgabe an – worüber er auch sprechen wird.
  • Achim Engelberg, Publizist und Buchautor, zuletzt «An den Rändern Europas» (DVA/Penguin Random House), kuratiert die Reihe und führt durch den Abend.
     
Seismographen des Wandels

Geschichten von Fliehenden ähneln den Botenberichten des klassischen Dramas: In ihnen verdichten sich planetarische Konflikte, gestern wie heute. Bereits Bertolt Brecht, der vom sowjetischen Wladiwostok im Juni 1941 den Pazifik überquert hatte und im kalifornischen Santa Monica angekommen war, sah «auf dem letzten Boot» eine neue «Landschaft des Exils», so der Titel seines Ankunftsgedichts, in dem er sich und seinesgleichen als «Boten des Unglücks» bezeichnete. Als solche sind Flüchtlinge nicht nur Seismographen einer Epoche, die von jeher durch historische Ereignisse und Unglücke gekennzeichnet ist, sondern sie prägen zunehmend die Erinnerungskulturen in den großen Städten, die dem Turm von Babel ähneln. Oft flieht man dorthin, wohin andere zuvor ausgewandert sind.

Die bisherigen Veranstaltungen der Reihe «Seismographen des Wandels» sind auf unserer Website dokumentiert:

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Standort

Kontakt

Dr. Uwe Sonnenberg

Referatsleiter Geschichte, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Telefon: +49 30 44310 425