Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Kunst / Performance - Im Osten was Neues Stefan Heym: Ein streitbarer Dichter am Puls der Zeit

Ausstellung und Begleitprogramm | Berlin, 30.3. bis 15.8.

Stefan Heym bei Signierung 1990: Ein streitbarer Dichter am Puls der Zeit
Ausstellung über das vielfältige literarische Werk Stefan Heyms, 30.3. bis 15.8.2023:

Kuratorin Dr. Therese Hörnigk verortet Stefan Heyms Biografie in einem Ausstellungskonzept, das auf 28 Schautafeln zeigt, wie sich der Künstler als kritischer Sozialist durch alle historischen Wenden hindurch treu geblieben ist und sich in die gesellschaftlichen Gegebenheiten eingemischt hat.
  Stefan Heym bei einer Lesung, 1990, Foto: Stefan-Heym-Nachlass

Am 10. April 2023 ist der 110. Geburtstag Stefan Heyms, in dessen Biografie und literarischen Werken sich die Widersprüche des Jahrhunderts mit all ihren Tragödien, Hoffnungen und Illusionen widerspiegeln. Heyms umfangreiches und vielgestaltiges, in mehr als 30 Sprachen übersetztes Werk umfasst Romane, Novellen, Essays, Erzählungen, Gedichte, journalistische Texte, Reden, Beiträge zum Zeitgeschehen und Märchen. Zeitlebens haben ihn Themenfelder wie Antifaschismus, Demokratie und Sozialismus, die Geschichte der Arbeiterbewegung sowie gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten von Schriftsteller*innen in einer sich medial rasch wandelnden Welt vorrangig interessiert.

Stefan Heym (* 10. April 1913 in Chemnitz als Helmut Flieg; † 16. Dezember 2001 in Israel) gilt als einer der wichtigsten deutschen Literaten. Anlässlich des 110. Geburtstages erinnert die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft an einen der bedeutendsten Schriftsteller der DDR.

Er selbst verstand sich als Erzähler und Publizist, ein «rigoroser Wahrheitsvermesser»[1], der auf die impulsgebende Kraft des Wortes setzte, um die Wirklichkeit transparenter zu machen. Mit seiner scharfzüngigen Publizistik hat er die jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Diskurse begleitet und sich kontinuierlich eingemischt, zuweilen unter dem Motto, dass es notwendig ist, «zu rufen, auch wenn es scheint, als ob nichts als Wüste um einen herum ist».[2] Dem wiederholt geäußerten Vorwurf, seine Bücher seien zu oft mit reportagehaften Elementen versehen und im Grunde lediglich epische Umsetzungen aktueller Themen, begegnete er mit eher amerikanischer Lässigkeit:

«Alltagsliteratur ist unter den Gattungen der Literatur ungefähr das, was die Infanterie unter den Waffengattungen ist: Ohne Infanterie ist es aber unmöglich, einen Krieg zu gewinnen.»[3]

Sein 1972 in der DDR veröffentlichter Roman «Der König David Bericht» ist eine Abrechnung mit dem Stalinismus und zwei Jahre später kann Heym seine Bücher nur noch in westdeutschen Verlagen veröffentlichen. In den 80er-Jahren engagiert er sich zunehmend in der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Nur wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer hält er am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz eine seiner wohl bekanntesten Reden seines Lebens.

«Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen»

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Rede von Stefan Heym auf der Großdemonstration am 4. November 1989 auf der Alexanderplatz in Berlin

In der wiedervereinigten Bundesrepublik kämpft er nun für eine politische Alternative zum gesamtdeutschen Kapitalismus. «Ich bin gegen den Alleinvertretungsanspruch der Westdeutschen Politikerkaste – sie macht mich politikverdrossen!», sagt er einmal.

Erstmals kommt – vier Jahre nach der deutschen Vereinigung – ein Abgeordneter aus den ostdeutschen Bundesländern zu Wort. Stefan Heym hat als Parteiloser auf der offenen Liste der PDS kandidiert und ein Direktmandat erlangt. Der 81-Jährige ist der älteste Abgeordnete des 13. Deutschen Bundestages. Nach der Geschäftsordnung und der Tradition eröffnet Stefan Heym als Alterspräsident die erste Sitzung.

«Die Menschheit kann nur in Solidarität überleben»

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Rede von Stefan Heym (PDS) als Alterspräsident zur Konstituierung des 13. Bundestages am 10. November 1994

Über Stefan Heym

Stefan Heym (1913 – 2001) zählt zu den bedeutenden deutschen Schriftstellern des zwanzigsten Jahrhunderts. Aufgewachsen in einem deutsch-jüdischen Elternhaus, trat er bereits in seiner Jugend in Chemnitz und später in Berlin mit gesellschaftskritischen Gedichten und ersten journalistischen Arbeiten hervor. Nach der Übernahme der politischen Macht durch die Nationalsozialisten 1933 musste er als jüngster literarischer Flüchtling Deutschlands ins Ausland gehen. In den Vereinigten Staaten wurde er Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung «Deutsches Volksecho» und schrieb 1942 mit seinem Debütroman «Hostages» seinen ersten Bestseller. Romane wie «The Crusaders» (1948, dt.: «Kreuzfahrer von heute»/«Der bittere Lorbeer»), «Der König David Bericht» (1972) oder «Ahasver» (1981) machten ihn zu einem international anerkannten Autor.

Seit 1952 lebte Stefan Heym in der DDR. Wegen seiner zunehmend kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen geriet er bald in Konflikt mit der Staatsführung. Nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED Ende 1965 konnten Bücher wie «Lassalle» (1969), «Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe» (1970) oder «5 Tage im Juni» (1974) zunächst nur im Ausland erscheinen. Eine zeitweilige Lockerung des Publikationsverbotes endete nach Heyms Unterzeichnung einer Protesterklärung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. 1979 wurde Stefan Heym aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Dennoch betrachtete er die DDR weiterhin als seine Heimat.

Als Unterstützer der Bürgerrechtsbewegung wurde Stefan Heym 1989 zu einem der wichtigsten Kommentatoren der friedlichen Revolution in der DDR. Nach der Wiedervereinigung zog er 1994 als parteiloser Direktkandidat auf der offenen Liste der PDS in den Deutschen Bundestag ein, den er als Alterspräsident mit einer viel beachteten Rede eröffnete. Im Jahr 2000 erschien sein letzter, bereits Mitte der 1960er-Jahre entstandener Roman «Die Architekten».

Am 16. Dezember 2001 starb Stefan Heym während eines Aufenthaltes in Israel.

Quelle: Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft

Die Zeit steht/Ihr vergeht

Unverdrossen hing Heym auch in den letzten ihm verbleibenden Jahren nach 1990 der Idee einer sozialistischen Utopie an, die er gegen alle Zumutungen des «real existierenden Sozialismus» verteidigte. Gleichsam vermächtnishaft wandte er sich 1998 mit dem Roman «Pargfrider» der Frage zu, was von den großen Ideen der Menschheitsbefreiung übrig geblieben ist, was aus dem versprochenen Menschheitswohl, das zu erreichen das 20. Jahrhundert angetreten war. Der Blick von Pargfrider, dem «Fetzentandler» am österreichisch- ungarischen Hofe, richtet sich zwar auf die Französische Revolution, aber es ist erkennbar auch der etwas wehmütig daherkommende Blick des Autors Stefan Heym auf die Tragödien und Komödien, auf die Kämpfe und die Resignation, den Aufbruch und die Desillusionen des Jahrhunderts. Im Buch und in der Wirklichkeit hat Pargfrider seine Lebensbilanz mit einem Freimaurerspruch ausgedrückt, der in seiner Gruft zu lesen ist:

Ihr glaubt, die Zeit vergeht!/ Toren!/ Weil ihr‘s nicht versteht!/ Die Zeit steht!/ Ihr vergeht!

Die Zeit steht/Ihr vergeht (Tafel 25 der Stefan-Heym-Ausstellung «Ich habe mich immer eingemischt»

Am 16. Dezember 2001 starb der unbequeme Denker, Schriftsteller und Politiker Stefan Heym im Alter von 88 Jahren in Israel.

«Seine Romane und Essays und kritischen Wortmeldungen zum Zeitgeschehen machten Stefan Heym zu einer ebenso umstrittenen wie verehrten literarischen Persönlichkeit», schreibt Therese Hörnigk in dem von ihr 2013 herausgegeben Buch «Ich habe mich immer eingemischt». Diesen Titel hat sie bewusst auch für die aktuelle Ausstellung gewählt. Die Literaturwissenschaftlerin macht mit der Publikation Erinnerungen von Freund*innen und Weggefährt*innen aus Literatur, bildender Kunst, Wissenschaft und Politik zugänglich: Egon Bahr, Lothar Bisky, Annekatrhin Bürger, Daniela Dahn, Gunnar Decker, Gregor Gysi, Fritz Pleitgen, Bettina Wegner – um nur einige wenige zu nennen – 52 Personen erinnern sich mit sehr unterschiedlichen Perspektiven an Stefan Heym.

Die Erstellung der Publikation wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Die Erinnerungen werden von bis dahin unveröffentlichten Fotodokumenten ergänzt und ermöglichen in ihrer Vielfalt einen neuen Blick auf das Leben und Schaffen Stefan Heyms.

Wer war Stefan Heym?

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«Seine Romane und Essays und kritischen Wortmeldungen zum Zeitgeschehen machten Stefan Heym zu einer ebenso umstrittenen wie verehrten literarischen Persönlichkeit», schreibt Therese Hörnigk in dem von ihr 2013 herausgegeben Buch «Ich habe mich immer eingemischt». Diesen Titel hat sie bewusst auch für die aktuelle Ausstellung anlässlich Stefan Heyms 110. Geburtstags gewählt. Im Gespräch erzählt Sie von eigenen Erinnerungen an Heym, erklärt, was ihn als Mensch ausgemacht hatund warum seine Literatur auch heute noch aktuell ist.

Dr. Therese Hörnigk ist Kuratorin der Ausstellung «Ich habe mich immer eingemischt» der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft. Die Literaturwissenschaftlerin war von 1972 bis 1990 an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig. 2013 gab sie im Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb) das Buch «Ich habe mich immer eingemischt» heraus. Darin nehmen über 50 Freund*innen und Weggefährt*innen aus Literatur, Kunst, Wissenschaft und Politik Stefan Heyms 100.Geburtstag zum Anlass, sich seiner zu erinnern.

Die Ausstellung ist zu sehen im Foyer der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 30. März bis zum 15. August 2023.

Über Therese Hörnigk

Dr. Therese Hörnigk ist Kuratorin der Ausstellung «Ich habe mich immer eingemischt» der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft.

Die Literaturwissenschaftlerin Therese Hörnigk war von 1972 bis 1990 an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig. Danach ging sie Lehr- und Vortragstätigkeit an der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin, in den USA, Frankreich, Italien und Kanada nach. Von 1998 bis 2007 leitete sie das Literaturforum im Brecht-Haus, Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Literatur des 20. Jahrhunderts, u.a. zu Bertolt Brecht und Christa Wolf. Sie war von 2013 bis 2021 die Vorsitzende der Christa Wolf Gesellschaft.

2013 gab sie im Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb) das Buch «Ich habe mich immer eingemischt» heraus. Darin nehmen über 50 Freund*innen und Weggefährt*innen aus Literatur, Kunst, Wissenschaft und Politik Stefan Heyms 100.Geburtstag zum Anlass, sich seiner zu erinnern.


[1] Joochen Laabs zit. nach: Ich habe mich immer eingemischt. Erinnerungen an Stefan Heym, hrsg. von Therese Hörnigk, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2013, S. 85.

[2] Heym, Stefan: Stalin verläßt den Raum. Politische Publizistik, hrsg. von Heinfried Henniger, Reclam, Leipzig 1990, S. 304.

[3] Ebd.

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