Bericht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - Cono Sur Ein befreiungstheologischer Denker und guter Freund der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ein Nachruf auf Franz J. Hinkelammert

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 Franz Hinkelammert Foto: Michael Brie

Franz Hinkelammert, einer der bekanntesten Befreiungstheologen und wichtigsten marxistischen Denker, und dies nicht nur in Lateinamerika, ist am 16. Juli im Alter von 91 Jahren gestorben.

Wir haben mit ihm auf Konferenzen, Seminaren und in zahlreichen persönlichen Gesprächen das theoretische Erbe und die Aktualität des Marxschen Denken und seiner notwendigen Weiterentwicklung vertiefend diskutiert und einige seiner zahlreichen Texte und Bücher publiziert.

Bis heute präsentiert sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung auf den deutschen Evangelischen Kirchentagen mit seinem Lebensmotto: «Leben ist mehr als Kapital», Titel eines seiner zahlreichen Bücher oder besser Kampfschriften gegen den Neoliberalismus. Er hat es zusammen mit seinem Freund und Mitstreiter Prof. Dr. Ulrich Duchrow, Evangelischer Theologe in Heidelberg, herausgegeben hatte.

Franz Hinkelammert war studierter Ökonom und hat mit einer Arbeit über die sowjetische Planwirtschaft an der FU in Berlin promoviert. Eigentlich war ihm der Lehrstuhl für Politische Ökonomie an der FU zuerkannt worden, doch die Ernennung zum Professor wurde ihm wegen seines politischen Engagements für die chilenische Unidad Popular des späteren Präsidenten Salvador Allende verweigert. So verlagerte sich sein Wirken von Deutschland nach Lateinamerika. 1970 wurde er wirtschaftlicher Berater der Regierung Allende in Chile, war Mitglied der Christen für den Sozialismus[1]und konnte sich nach dem Militärputsch 1973 nur durch die Flucht nach Deutschland vor der Verhaftung retten. 1976 kehrte er nach Lateinamerika zurück und gründete mit den Theologen Pablo Richard und Hugo Assmann, die ebenfalls aus Chile hatten fliehen müssen, in Costa Rica das DEI (Departamiento Ecumenico de Investigaciones). Es wurde zu dem wichtigsten intellektuellen Zentrum der befreiungstheologischen Forschung und Ausbildung in Lateinamerika.

Franz Hinkelammerts Werk besteht aus vielen Büchern und Artikeln vor allem in spanischer und deutscher Sprache. Aber gleichermaßen beeindruckend war seine persönliche Wirkung auf uns und auf viele Forscher*innen und Aktivist*innen, die an seinen Seminaren in Costa Rica, in der Schweiz oder auch in Deutschland teilgenommen haben.

Hinkelammert ging es mit Marx um die Grundstrukturen des Kapitalismus: um den Zwang zur Kapitalakkumulation, zum Wachstum und Warenfetischismus bzw. zur Sakralisierung der Marktgesellschaft, zugleich aber immer auch um die Ethik des Zusammenlebens und die Spiritualität der Befreiung. Seine gesamte Arbeit war geprägt von der Überzeugung, dass «der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist» und dass jeder Gott, für den der Mensch nicht das höchste Wesen ist, als Götze entlarvt werden müsse.

So verbindet er u.a. in seinem Buch: Die ideologischen Waffen des Todes. Zur Metaphysik des Kapitalismus von 1985[2] die biblische Kritik der Götzen, die Menschenopfer fordern, mit einer Analyse der tödlichen Entwicklungen in der globalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft – eine prophetische Wahrnehmung, die sich heute, fast 40 Jahre später, in den existenzbedrohenden globalen Krisen manifestiert.

Immer wieder formulierte Franz Hinkelammert seine Kritik an den Hauptströmungen der moderne Gesellschaftstheorie und ihrer Ideologen wie Max Weber und Milton Friedmann, die Exponenten des klassischen Liberalismus bzw. des damals gerade zur Herrschaft kommenden Neoliberalismus. Aber auch mit dem Erbe der Linken setzt er sich kritisch auseinander wie u.a. in seiner «Kritik der utopischen Vernunft», vor allem dann, wenn Gesellschaftsutopien ihre Prinzipien absolut setzen. Sei es der Markt oder aber auch der gesellschaftliche Plan, beides – so Hinkelammert – führt als herrschendes Prinzip zum Totalitarismus. Plan und Markt müssen aus seiner Perspektive als komplementär angesehen und mit dem Ziel der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen und der Sicherung eines Lebens in Würde und Solidarität gestaltet werden. Es sei eine Illusion, Warenbeziehungen und Staat einfach abzuschaffen. Eine alternative Gesellschaft müsse vielmehr unter heutigen Bedingungen so konzipiert werden, dass sie eine systematische Intervention in die Märkte durchsetzt, damit der wilde Kapitalismus von heute nicht die gesamte Lebenswelt des Menschen zerstören kann. Dazu müsse der Marktmechanismus, wie auch Polanyi bereits formulierte, eingebettet werden in die sozialen Beziehungen aller Menschen. Es geht gerade nicht darum, einen Entwurf für das perfekte Zusammenleben der Menschen zu verwirklichen, sondern um die Kriterien eines Humanismus der Praxis. Zu diesen gehören: eine Welt, in der alle einschließlich der Natur Platz haben (Zapatisten in Chiapas) und eine Welt des guten Lebens (Sumak Kawsay, Bolivien und Ecuador), des afrikanischen Ubuntu («ich bin, wenn du bist») und der jüdischen und christlichen (und inzwischen auch der islamischen) Befreiungstheologie.

Franz Hinkelammert ging es um eine Wirtschaft im Dienst des Lebens, die auf der Würde des Menschen beruht. Folgerichtig steht immer wieder die Eigentumsfrage im Fokus seiner Überlegungen. Die Verkehrung der Menschenrechte in ihr Gegenteil durch die kapitalistische Eigentumsordnung (auf der Grundlage von Thomas Hobbes und John Locke) und deren Überwindung durch eine neue Eigentumsordnung «von unten» (Leben ist mehr als Kapital. Alternativen zur globalen Diktatur des Eigentums) gehören zu den zentralen Ansätzen seines theoretischen Nachdenkens. Ulrich Duchrow beschreibt völlig zu Recht das Werk von Franz Hinkelammert als eine reiche Ernte, für die ihm 2006 in Venezuela als erstem der Premio Libertador («Befreierpreis») zuerkannt wurde. Diese Ernte eines großen Lebens weiter zu nutzen, sie einzubringen in das Wirken für eine große sozialökologische Transformation, die das Leben auf eine neue wirtschaftliche, soziale, politische und vor allem auch kulturelle wie spirituelle Grundlage stellt, diese Aufgabe hinterlässt uns Franz Hinkelammert. Wir können sie nur gemeinsam erfüllen. Diesen Worten unseres Freundes Ulrich Duchrow[3] schließen wir uns gerne an.


[1] Vgl. Michael Ramminger: ''Wir waren Kirche inmitten der Armen''. Das Vermächtnis der Christen für den Sozialismus in Chile von 1971-1973. Münster: Edition ITP-Kompass Bd. 29, 2019.

[2] Fribourg: Edition Exodus, 1985 (span. Orig. 1981).

[3] Die ausführliche Würdigung von Ulrich Duchrow lässt sich nachlesen in der neuesten Ausgabe der österreichischen Zeitschrift «Kritisches Christentum»