Interview | Arbeit / Gewerkschaften - Westafrika «Der Uranbergbau ist ein Desaster für Niger»

Almoustapha Alhacen über die Situation der Uranförderung nach dem Militärputsch im Juli 2023

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Uranmine in Arlit, im Norden von Niger
«Wenn weiterer Abbau bedeutet, dass die Verschmutzung so weitergeht wie bisher, dann ist es besser, damit aufzuhören.»
  Uranmine in Arlit, im Norden von Niger (2013), Foto: picture alliance / AP Photo | Maurice Ascani

Almoustapha Alhacen arbeitete seit 1978 in der Uranmine von Arlit. Als er merkte, dass viele seiner Kolleg*innen auf rätselhafte Weise erkrankten, gründete er im Jahr 2000 die NGO Aghirin’man, lange Jahre Partnerorganisation der Rosa-Luxemburg-Stiftung, mittels derer er die Bedingungen des Uranbergbaus kritisierte. 2015 wurde er entlassen. Horst Hamm und Franza Drechsel sprachen mit ihm über die aktuelle Lage im Uranbergbau in Niger.

Herr Alhacen, Ende Juli setzte die nigrische Armee den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum ab. Als Folge schloss die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS die Grenzen und die selbsternannte Regierung kündigte an, den Export von Uran zu stoppen. Wie ist die Situation in der Bergbaustadt Arlit? Wird aktuell Uran abgebaut?

Die Situation ist aus verschiedenen Gründen sehr kompliziert. Allgemein ist das Leben wegen der Grenzschließungen sehr, sehr schwer. Die Menge Reis, die früher, sagen wir, zwanzig Euro kostete, kostet jetzt vierzig. Das Leben ist unglaublich teuer geworden! Was den Abbau von Uran angeht: Das ist aktuell zwar möglich, aber da die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen sind, fehlt es an Treibstoff. Also kann gerade kein Uran abgebaut werden und die Förderung wurde verlangsamt.

Bisher ist Uran das wichtigste Exportprodukt des Nigers. Was bedeutet ein Exportstopp für die Anwohner*innen der Minen?

Horst Hamm ist Journalist und Buchautor sowie Geschäftsführender Vorstand der Nuclear Free Future Foundation (NFFF). Er ist Redakteur des Uranatlas, den u.a. die NFFF und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen herausgeben. 2023 veröffentlichte er «Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung».

Franza Drechsel ist Referentin für Westafrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit 2010 beschäftigt sie sich mit Uranbergbau und seinen Folgen.

Ein Exportstopp, oder auch ein Abbaustopp bedeutet den meisten Nigrern kaum etwas. Wenn man kein Uran abbaut, gibt es auch keine Verschmutzung und das ist gut. Aber für die, die in den Minen arbeiten, für die ist das natürlich ein Problem, weil sie kein Geld mehr verdienen.

Bis 2022 hat Niger mehr als 256.000 Tonnen Uran exportiert, das entspricht einem Wert von ca. 41 Milliarden US-Dollar bei einem Uranpreis von aktuell 57,85 USD pro Pound (Stand 21.8.23). Davon hatte Niger allerdings praktisch nichts, weil das Land nur einen Bruchteil des Werts vom geförderten Uran erhalten hat. Keinem nigrischen Präsidenten ist es bisher gelungen, einen signifikant höheren Anteil zu erhalten. Glauben Sie, dass die Übergangsregierung die Verträge neu verhandeln kann?

Ich wünsche mir, dass die Verträge neu verhandelt werden! Ich wünsche mir auch, dass es weiterhin eine Kooperation mit dem Westen gibt. Allerdings braucht es einen stärkeren Blick auf die Menschen, das heißt, die Nigrer müssen von ihren Ressourcen profitieren.

Denken Sie, dazu ist die aktuelle Regierung in der Lage?

Ich weiß nicht, ob die Militärs es schaffen, bessere Vertragsbedingungen auszuhandeln. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das eine Frage von Militär- oder ziviler Regierung ist. Wir hatten schon Militärputsche und wir hatten schon zivile Präsidenten, die versucht haben, die Vertragsbedingungen zu verbessern. Während der letzten demokratischen Periode ist vieles schlimmer geworden. Die Ressourcenfalle gehört dazu. Man muss auch sehen, dass die Militärs, die jetzt an der Macht sind, diejenigen waren, die gewaltsam gegen die Proteste gegen die Abbaubedingungen vorgegangen sind.

Sie sagen also, dass die Demokratie Ihnen kaum etwas gebracht hat?

Seit wir 2011 unter Präsident Mahamadou Issoufou in eine weitere demokratische Phase eingetreten sind, wurde uns jegliche Möglichkeit zu demonstrieren genommen! Während der letzten zwölf Jahre wurde jede Art des Protests, jede Form der Opposition unterdrückt! Also diese Demokratie ist für uns keine Demokratie, die dazu beiträgt, dass Niger sich entwickelt, sondern das Gegenteil. Es ist eine aufgedrückte Demokratie, die nicht an unsere Gesellschaft angepasst wurde. Sie führt nur dazu, dass die Nigrer gespalten werden und der soziale Zusammenhalt zerstört wird. Das heißt, wir sind zwiegespalten, was das Militär an der Macht angeht: Wir wissen nicht mehr, was wir sagen sollen. Denn es wäre hypokritisch, die Demokratie zu preisen, aber es wäre genauso hypokritisch, die militärische Geschichte zu verdammen oder zu loben.

Kommen wir zurück zur Frage nach dem Gewinn durch den Uranbergbau: Sollte der Preis neu verhandelt werden können, würde dies auch der Bevölkerung zugutekommen?

Mit dem Geld könnte man einige Lebensbedingungen verbessern, zum Beispiel Krankenhäuser bauen, aber auch Straßen, Schulen, Brunnen und vieles mehr. Man könnte Unterstützungsmaßnahmen für Schüler angehen. Das sind die Prioritäten der Nigrer*innen. Und all das wäre möglich! Zugleich ist es wichtig, die Natur, die Umwelt, die Flora und Fauna zu respektieren. Und auch die Arbeiter. Zum Beispiel ist die schlechte Behandlung der Zulieferer inakzeptabel. Das sind auch Dinge, die es zu verhandeln gilt. Ein weiteres Thema ist, wie wir Strom bekommen. Denn aktuell gibt es kein Kraftwerk für uns. All die Energie, die Orano produziert, geht nur in den Abbau von Uran – die Anwohner haben währenddessen keinen Strom. Und dieses Uran wiederum wird benutzt, um AKWs in Europa, vor allem Frankreich, zu befeuern. Das ist doch absurd!

Es gibt immer wieder Beispiele, wo höhere Staatseinnahmen nicht zu den Investitionen in Infrastruktur geführt haben, die Sie fordern. Eine Neuverhandlung der Verträge an sich bedeutet also nicht, dass auch der Großteil der Nigrer*innen davon profitiert, oder?

Auf kommunaler Ebene wurden die Einnahmen durch den Uranexport oft schlecht eingesetzt. Deshalb hat die nationale Regierung aufgehört, das Geld an die Kommunen weiterzugeben. Die Folge ist, dass die Kommunen jetzt Schulden beim Nationalstaat haben. Wenn man die Gelder gut begleiten würde, könnten sie aber schon sinnvoll eingesetzt werden.

Historisch betrachtet ist der französische Orano-Konzern über seine Beteiligungen an den nigrischen Bergbaugesellschaften Somaïr und COMINAK der wichtige Uranproduzent in Niger. Fürchten Sie, dass Frankreich – direkt oder via die ECOWAS – militärisch in den Niger eingreift, um seine Uran-Interessen zu schützen?

Ja, ich habe tatsächlich Angst, dass Frankreich militärisch eingreift. Frankreich hat das schon mehrfach gemacht, beispielsweise in Mali, in der Elfenbeinküste, im Tschad – sozusagen überall. Warum also nicht auch im Niger? Frankreich respektiert die internationalen Konventionen, die Grenzen, die Staaten, das Völkerrecht nicht. Die französische Regierung sagt, dass sie das täte, aber die Realität sieht anders aus. Von dem her schließe ich eine Militärinvasion Frankreichs nicht aus. Aber es wäre wirklich schlimm, wenn die ganze Welt zulassen würde, dass Frankreich so weitermacht wie in der Vergangenheit. Allerdings scheint es mir so, als nutzten andere Staaten Frankreich für genau diese Interventionen. Um Ihre Frage zu beantworten: ja, ich habe Angst um Niger. Der Westen ist dabei, die ECOWAS so weit zu pushen, dass sie interveniert. Wenn die Forderungen der ECOWAS nicht erfüllt werden, weiß ich nicht, was passiert.

Niger gehört trotz Uranreichtum zu den ärmsten Ländern der Welt und liegt auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen auf dem drittletzten Platz aller Staaten, auch deshalb, weil Niger zu wenig Geld für das geförderte Uran erhalten hat. 45 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze, jedes zweite Kind ist unterernährt. Wäre es nicht besser, wenn der Uranbergbau in Niger komplett eingestellt würde? Oder wäre das für die Menschen wirtschaftlich eine Katastrophe?

Derzeit ist der Abbau von Uran ein Desaster für Niger. Er ist ein ökonomisches und ökologisches Desaster, denn das Uran wird auf unkontrollierte Weise abgebaut. Man kann sogar von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen. Wenn weiterer Abbau bedeutet, dass die Verschmutzung so weitergeht wie bisher, dann ist es besser, damit aufzuhören.